Bundesländer Kommentar: Was ein CDU-SPD-Senat in Berlin für Thüringen bedeuten könnte
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02. März 2023, 18:36 Uhr
Die SPD in Berlin hat einer Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition in der Hauptstadt eine Absage erteilt. Die Sozialdemokraten verzichten auch darauf, mit Franziska Giffey weiter die Regierende Bürgermeisterin zu stellen. Stattdessen will man mit der Berliner CDU über eine Koalition unter Führung der Union verhandeln.
Von Berlin lernen - das will in Thüringen eigentlich keiner so gerne. Aber dennoch setzen die Sozialdemokraten in der Hauptstadt ein wichtiges Zeichen. Zugegebenermaßen bedeuten Koalitionsverhandlungen noch keine Regierungsbildung. In der eher linken Funktionärsebene der SPD und bei den Jusos brodelt es gewaltig. Aber mit dem Schritt vom Mittwochabend sagen die Sozialdemokraten erstmal ganz klar nein zur Postengier und ja zum Pragmatismus. Die SPD erkennt zum einen an, dass die Union der klare Wahlsieger ist, und zum anderen erkennt sie an, dass ihr die Rolle als Ausputzer für linke Enteignungs- und grüne Multikulti-Fantasien in der Hauptstadt nicht gut bekommen ist.
Was hat das mit Thüringen zu tun? Ich finde, sehr viel. Wir leben im Bundesland, in dem Mehrheitsbildungen nach bisherigen Denkmustern nicht möglich sind. Das liegt daran, dass mit Linke und AfD die beiden Parteien am Rande des politischen Spektrums gute Chancen haben, auch bei der nächsten Landtagswahl eine Mehrheit zu bekommen, die herkömmliche Koalitionen unmöglich macht. Das wird von allen Beteiligten noch mehr Pragmatismus und Mut verlangen, als ihn die Berliner SPD jetzt aufbringen musste.
Wo bleiben die Thüringer Sozialdemokraten?
Fangen wir an bei der SPD hierzulande. Die hat sich mit Ergebnissen um die zehn Prozent satt eingerichtet in einer rot-rot-grünen Koalition, bei dem sie Posten und Pöstchen vergeben kann, die in groteskem Widerspruch zu ihren Wahlergebnissen stehen. Schlicht und einfach deswegen, weil die fast viermal so starke Linke gar nicht das Personal hat, um adäquat Stellen zu besetzen. Alle Ministerien der Linken werden mittlerweile von Ost-Importen geleitet. Wie wäre es, wenn die SPD mal wieder den Anspruch auf ihre Führungsrolle im Mitte-Links-Lager erhebt, aus den Filzpantoffeln schlüpft und wenigstens darum kämpft, auf Augenhöhe mit Linke, CDU oder AfD zu landen? Es ist gerade einmal 17 Monate her, dass die SPD bei der Bundestagswahl in Thüringen bei rund 24 Prozent landete. Gelänge Ähnliches bei der Landtagswahl, könnte die SPD mit Fug und Recht die Führung der Landesregierung beanspruchen.
Union unter Zugzwang
Oder die CDU: Nein, liebe Christdemokraten, das wird jetzt kein Plädoyer für Schwarz-Rot in Thüringen. Wobei diese Konstellation besser wäre als die momentanen Verhältnisse mit einer weitgehend lahmgelegten Minderheitsregierung. Dazu muss aber auch die Union Farbe bekennen. Die Union muss eines ihrer beiden Tabus aufgeben. Also entweder bereit sein, mit der AfD oder der Linken bei der Regierungsbildung zu kooperieren. Wenn man sich zwischen dem sozialen Demokraten Bodo Ramelow und dem sozialen Nationalisten Björn Höcke entscheiden muss, dürfte die Wahl nicht so schwer fallen. Die AfD ist in den zehn Jahren ihrer Existenz so oft rechts abgebogen, dass auf Jahre hinaus über eine Kooperation mit ihr noch nicht mal nachgedacht werden muss. De facto toleriert die CDU Ramelow schon jetzt - zumindest das muss sie den Wählern auch vor der nächsten Wahl zusagen.
Pragmatismus statt Postengeschacher
Und was heißt das für Ramelow und seine Linke? Längst ist klar, dass er sein Lebenswerk krönen möchte, indem er 2024 eine Koalition mit der CDU unter seiner Führung schmiedet. Aber dazu muss er erstmal ein ähnlich überragendes Ergebnis einfahren wie 2019. Dabei ist er mehr denn je auf sich allein gestellt. Die langjährige Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow ist ihm schon abhandengekommen. Fraktionschef Steffen Dittes macht spätestens mit der Wahl 2024 den Abflug. Dazu kommt der desolate Zustand der Bundespartei. Wenn Ramelow in eineinhalb Jahren ein deutlich schwächeres Ergebnis einfährt, wird er möglicherweise seinen Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt aufgeben müssen, um für eine Person Platz zu machen, die auch für die CDU wählbar ist. Am Mittwoch hat Ramelow davon gesprochen, dass sich die SPD in Berlin kleingemacht hat. Ich wünsche mir, dass die demokratischen Parteien in Thüringen nach der nächsten Wahl Größe zeigen, indem sie sich bei der Pöstchenjagd klein- und beim Pragmatismus großmachen.
MDR (cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 02. März 2023 | 19:30 Uhr