Politik Wie Amerikanerinnen in Thüringen die US-Wahl sehen

02. November 2020, 13:42 Uhr

Wenn sich in der Nacht auf Mittwoch voraussichtlich entscheidet, wer neuer US-Präsident wird, werden auch Amerikaner in Thüringen gebannt auf ihre Heimat schauen. Im Interview mit MDR THÜRINGEN erzählen zwei Amerikanerinnen, wie sich die USA in vier Jahren Trump verändert haben und was sie nach der Wahl erwarten.

Katy Larkin (36) und Julie Linn (27) leben erst seit wenigen Wochen in Thüringen. An der Universität Erfurt haben sie im Oktober ein Masterstudium "Globale Kommunikation: Politik und Gesellschaft" begonnen. Sie sind beide Anhänger der Demokratischen Partei, aber Fans des demokratischen Bewerbers Joe Biden sind sie nicht. Larkin ist in Texas geboren und aufgewachsen, lebte später in Alaska, Colorado und zuletzt in San Francisco im US-Bundesstaat Kalifornien, wo sie die "Black Lives Matter"-Proteste vor Ihrer Haustür miterlebte. Julie Linn ist gebürtige New Yorkerin. Sie wuchs in Seattle auf, wo sie zuletzt ein Bachelor-Studium in Journalismus abgeschlossen hat.

MDR THÜRINGEN: In Ihrem Land wird am Dienstag ein neuer Präsident gewählt, es ist eine Wahl, auf die die ganze Welt schaut. Sind Sie überrascht, dass die Präsidentschaftswahl der USA auch hier in Deutschland so ein wichtiges Thema ist?

Larkin: Nein, eigentlich nicht. Die USA haben einen großen globalen Einfluss. Es ist also sehr verständlich, dass die Wahlen von der ganzen Welt beobachtet werden.

Linn: Ich bin nicht überrascht. Politisch, wirtschaftlich und medial nehmen die USA Einfluss auf die ganze Welt. Wenn jetzt die Person gewählt wird, die für ein solches Land verantwortlich ist, erregt das natürlich die Aufmerksamkeit.

Wie ist es bei Ihnen und Ihren Bekannten - spielt die US-Politik eine große Rolle?

Linn: Ich will es mit einem Bild ausdrücken: Politik ist für meine Familie wie eine Regenwolke, die über unseren Köpfen hängt. Wir sind relativ privilegiert, haben ein gutes Einkommen. Was die Politik beschließt, hat weniger Einfluss auf unser Leben. Klar, auch wir werden vielleicht etwas nass, wenn es regnet, aber es gibt keine Flut. Bei vielen meiner Freunde ist das jedoch anders. Sie sind viel stärker von politischen Entscheidungen betroffen, und nur weil die Flut mein eigenes Haus verschont, heißt das nicht, dass mir das Haus meines Nachbarn egal ist.

Larkin: In der Vergangenheit habe ich Politik eher als hintergründig wahrgenommen. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Insbesondere wegen des systematischen Rassismus im Land habe ich begonnen, mich weitaus mehr mit Politik zu beschäftigen.

Aus der deutschen Perspektive - die durch die Nachrichten natürlich etwas verzerrt ist - stellt sich die Situation in den USA unter Trump als andauernde Krise dar. Wie schätzen Sie die Situation in den USA selbst ein?

Linn: Das geht uns mit den US-Medien nicht anders, auch sie stellen die Ereignisse immer etwas verzerrt dar. Davor bin auch ich nicht gefeit und ja, ich habe das Gefühl, dass sich mein Land in einer Krise befindet. Ich glaube jedoch auch, dass Probleme in den USA kommen und gehen.

Larkin: Ich denke, dass sich die Situation der USA in den letzten zwei Jahren dramatisch verändert hat. Die ersten beiden Jahre von Trumps Präsidentschaft ging alles weiter seinen Gang, außer dass Trump mit seiner Art von "Schockpolitik" für Aufmerksamkeit sorgte. Bis dahin war Krise das falsche Wort. Es war eher der Konflikt zwischen den beiden Parteien, die immer sturer wurden und immer weniger zusammenarbeiteten. Aber die Verwendung des Wortes "Krise" ist aufgrund der letzten Monate immer treffender geworden. Zum Beginn der "Black Lives Matter"- Proteste war ich in San Francisco. Die Proteste waren da nur eine Meile von meinem Haus entfernt. Eine Woche lang kreisten Hubschrauber über dem Viertel, nachts im Schlafzimmer konnte ich draußen Explosionen hören. Am Morgen war die Nachbarschaft voller Graffiti und Glasscherben. Es hat definitiv einen Übergang von Konflikt zu Krise gegeben.

Haben Sie Angst davor, wie sich Ihr Land verändert hat?

Larkin: Ja definitv. Das liegt vor allem daran, dass ich eine weiße Amerikanerin aus der Mittelschicht bin und nie zuvor solche Erfahrungen gemacht habe. Ich habe die Proteste und die Polizeibrutalität mit eigenen Augen gesehen. Plötzlich sind diese Dinge für mich sehr real geworden. Und es gibt das Internet, wo die Proteste live gestreamt und Polizeiaktionen auf Video aufgenommen werden.  Das Ausmaß der Polizeibrutalität ist erschreckend und die Regierung ist sehr gewalttätig gegen die Demonstranten vorgegangen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich eines Tages die Straße entlangfuhr und plötzlich ein SWAT-Team – bestimmt 100 Mann in voller Montur – sah, die sich auf den Abend vorbereitete, weil sie Proteste erwarteten. Das habe ich vorher noch nie erlebt.

Was sind - Ihrer Meinung nach - die drängendsten Probleme der USA?

Larkin: Systemischer Rassismus und Polizeibrutalität – ganz klar. Natürlich gibt es eine lange Liste mit Problemen, aus denen ich wählen könnte, aber ich denke, das sind die dringendsten.

Linn: Für mich ist es die Pandemie, obwohl das zu einfach ist. Eigentlich geht es um den Umgang damit und vor allem die Fehlinformationen. Es empört mich, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten unbewiesene Medikamente zur Behandlung von Covid-19 anpreist, die Schwere der Pandemie herunterspielt und versucht, das Vertrauen der Öffentlichkeit in wissenschaftliche Institutionen zu zerstören.

Donald Trump hat den politischen Stil der USA völlig verändert. Wie zufrieden sind Sie mit ihm als Präsidenten?

Linn: Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Die Integrität des Präsidentenamtes ist ruiniert, vielleicht für immer. Trump hat nicht nur Grenzen überschritten, sondern zerstört diese gerade. Er schafft mit seiner Art der Politik einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft der USA.

Larkin: Er ist als Präsident der Vereinigten Staaten eindeutig nicht fähig. Das Schlimmste an seiner Präsidentschaft sind jedoch die rassistischen Kommentare, die er regelmäßig von sich gibt. Er befördert damit rassistische Gewalt im ganzen Land.

Wie schätzt Sie seinen Herausforderer Joe Biden ein?

Larkin: Es gibt eine Bewegung namens "Settle for Biden", in der sich Unterstützer von Sanders und Warren zusammentun und Biden unterstützen. Nicht weil sie Biden viel zutrauen, sondern weil sie glauben, Amerika übersteht keine vier weiteren Jahre Trump. Er ist also nicht die Lösung für unsere Probleme, aber er ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Linn: Biden ist ein Karrierepolitiker, dem ich nicht viel zutraue. Karrierepolitiker bleiben jedoch aus verschiedenen Gründen ein Leben lang im Spiel und einer dieser Gründe ist: Pragmatismus. Biden ist keineswegs ein progressiver Kandidat, aber ich glaube, er ist fähig die Interessen der Amerikaner  zu vertreten.

Donald Trump hat wiederholt gesagt, dass er eine Niederlage nicht anerkennen würde. In deutschen Medien wurde deshalb auch immer wieder diskutiert, was bei einer Niederlage Trumps passieren könnte. Sogar von Bürgerkrieg war die Rede. Halten Sie das für möglich?

Linn: Es schmerzt mich das zugegeben zu müssen, aber ich halte einen Bürgerkrieg für möglich.

Larkin: Nein, ein realistisches Szenario ist, dass es eine Menge Chaos und Verwirrung geben wird. Ich denke, am 2. November wird nicht ganz klar sein, wer Präsident ist. Vor allem wegen Covid, den Briefwahlstimmen, dem Gerede über Wahlbetrug und genau der Art und Weise, wie unser politisches Gespräch in den letzten Jahren verlaufen ist. Wenn Trump aber für weitere vier Jahre Präsident gewählt werden sollte, dann wäre ein Bürgerkrieg meiner Meinung nach ein viel realistischeres Szenario.

Ist es Ihnen also leicht gefallen sich zwischen den beiden Kandidaten zu entscheiden oder haben Sie sich vielleicht dazu entschieden, nicht zu wählen?

Linn: Für mich war es eine naheliegende Wahl, für Biden zu stimmen.

Larkin: Ich fand es sehr einfach und ja, ich habe abgestimmt, bevor ich nach Deutschland kam.

Wie fühlt es sich an, die Wahlen von einem anderen Kontinent aus zu beobachten?

Larkin: Ich bin viel beruhigter, seit ich hier bin. Bevor ich ging, hat mir das alles ziemliche Angst gemacht. Ich bin sehr dankbar, diesen Abstand zu haben, weil die letzten Monate mich wirklich sehr erschüttert haben.

Linn: Eigentlich hat es sich für mich immer so angefühlt, als ob ich Wahlen aus der Ferne gesehen habe. Die amerikanische Politik fühlt sich oft groß und unnahbar an.

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der Corona-Pandemie sind beide Interviews getrennt voneinander geführt worden. Die Fragen waren jedoch identisch.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 02. November 2020 | 19:30 Uhr

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