Hintergrund FAQ: Das müssen Sie zum Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen wissen
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04. Februar 2023, 05:00 Uhr
Abrechnungsbetrug und Korruption fügen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung jedes Jahr Millionenschäden zu. Der GKV-Spitzenverband als zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland spricht von einem Schaden in Höhe von 186 Millionen Euro, der allein 2018 und 2019 entstanden ist. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
Abrechnungsbetrug und Korruption werden laut zentraler Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland immer größer und komplexer mit zunehmend vernetzten Strukturen. Die meisten nachgewiesenen Fälle von Fehlverhalten gab es 2018/2019 demnach im Bereich der häuslichen Krankenpflege (2.809), ärztliche Leistungserbringer waren in 928 Fällen betroffen.
Was tun beim Verdacht auf falsche Abrechnung?
Seit 2004 haben die Kranken- und Pflegekassen Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen eingerichtet. Dorthin kann sich jeder Patient wenden, wenn er den Verdacht hat, dass bei ihm ärztliche Leistungen falsch abgerechnet wurden. Außerdem hat jeder (Kassen-)Patient das Recht, seine Abrechnungsunterlagen bei der Krankenkasse einzusehen.
Thüringen war 2007 bundesweit das erste Bundesland, dass eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur landesweiten Bekämpfung von Vermögensstraftaten im Gesundheitswesen einführte. Als nächstes folgte Bayern 2014. (Quelle: GKV Spitzenverband/ Bericht Fehlverhalten 2018/2019).
Wer ist die Dr. med. Kielstein ambulante Medizinische Versorgung GmbH?
Die Dr. med. Kielstein Ambulante Medizinische Versorgung GmbH betreibt aktuell sechs Medizinische Versorgungszentren mit 42 Praxen vorrangig in Thüringen, aber auch in Sachsen-Anhalt und Berlin. Angestellt sind insgesamt rund 600 Mitarbeiter, davon 120 Ärzte. Die nächsten Praxiseröffnungen sind in Leipzig geplant.
Nach eigenen Angaben ist die GmbH mit Volker Kielstein als Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer damit einer der größten Träger medizinischer Versorgungszentren in Deutschland. Ähnlich groß ist nach Angaben der KV in Thüringen die krankenhausgeführten SRH Poliklinik Gera mit 114 angestellten Ärzten. Als Ziel gibt Kielstein an, gerade in unterversorgten Gebieten medizinische Versorgungszentren zu errichten.
Gestartet war Volker Kielstein 2007 in einer überörtlichen Hausarztgemeinschaft mit seiner Mutter in Jena. 2011 gründete er dann die Dr. med. Kielstein Ambulante Medizinische Versorgung GmbH und baute kontinuierlich vorrangig in Thüringen die Zahl der Praxen und Mitarbeiter aus. 2022 fand dann ein Trägerwechsel statt - statt der Niederlassung von Volker Kielstein ist seit dem 1.1.2022 das Krankenhaus Berlin-Schöneberg Träger der GmbH. Die Klinik Schöneberg gehört dabei anteilig Volker Kielstein und dem Finanzinvestor Triton. Kielstein begründete den Schritt damit, dass er sein Unternehmen zukunftsfest machen und von seiner Person lösen wollte.
Als arztgeführtes MVZ wäre im Fall der Pensionierung oder im Fall des Todes der Träger weggefallen. Innerhalb von sechs Monaten hätte dann ein neuer Betreiber für die GmbH gefunden werden müssen. Nach Unternehmensangaben finanziert Triton dabei neben dem Kauf der Klinik auch Digitalisierungsprojekte im Unternehmen und die Kielstein-Akademie zur Ausbildung des Ärzte-Nachwuchses. Kielstein ist weiterhin Geschäftsführer und ärztlicher Leiter.
Was sind die Vorteile und Nachteile von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) allgemein?
Nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen bieten MVZ vielen jungen Ärztinnen und Ärzten die Chance, ohne das finanzielle Risiko einer Praxisübernahme tätig sein zu können.
Auch der Thüringer Hausärzteverband sieht in Medizinischen Versorgungszentren eine sinnvolle Option. Auch der Verband der Ersatzkassen sieht in MVZ sowohl attraktive Arbeitgeber, als auch wichtige Akteure zur wohnortnahen Gesundheitsversorgung.
Aus Sicht der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) sind MVZ für Patienten grundsätzlich sinnvoll. Weil meist viele Fachrichtungen unter einem Dach zu finden seien, ermöglichten sie eine integrierte Versorgung.
Problematisch sieht die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) die Entwicklung, dass durch das Wachsen der MVZ die Zahl der freien Arztsitze sinkt. Rechtlich gibt es keine Obergrenze, wie viele Standorte oder angestellte Ärzte ein Medizinisches Versorgungszentrum haben darf. Jungen Ärztinnen und Ärzten bleibe damit der Weg in die Selbstständigkeit verwehrt. Außerdem kommt es nach Angaben der KVT auch immer wieder vor, dass MVZ aufgekaufte Arztsitze nicht mehr nachbesetzen können. Diese seien in der Bedarfsplanung bis zu einem Jahr blockiert, ohne dass tatsächliche ärztliche Hilfe angeboten wird.
Auch ein häufiger Wechsel der Ärzte in den jeweiligen Praxen sei ein Problem - damit fehle es an der klassischen Beziehung von Hausarzt zu Patient, der die Krankengeschichte über viele Jahre kenne.
Die Bundesärztekammer befürchtet in ihrem Positionspapier vom Januar, dass MVZ für einzelne Fachgebiete in einzelnen Regionen Monopole bilden. Damit wäre es Patienten verwehrt, wohnortnah einen alternativen Arzt aufzusuchen. Der Thüringer Hausärzteverband fordert in diesem Zusammenhang, dass Niederlassungen wieder deutlich attraktiver werden müssen.
Wo liegen die besonderen Gefahren von investorengeführten MVZ?
"Derzeit sind keine empirischen Daten vorhanden, die belastbare - positive oder negative - Zusammenhänge zwischen Versorgungsqualität in MVZ und bestimmte MVZ-Träger belegen können." So steht es in einem im November 2020 veröffentlichten Rechtsgutachten zu Medizinischen Versorgungszentren im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums.
Nach Einschätzung des Experten für Finanzinvestitionen im Gesundheitsbereich - Rainer Bobsin - hat sich bis heute daran nichts geändert. Dass es an Daten fehlt, sei dabei allerdings kein Beleg dafür, dass es keine Unterschiede gebe, so Bobsin.
Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland sieht die größte Gefahr darin, dass Patienten unnötig operiert werden - in Kliniken des gleichen Trägers. In kaum einem anderen Land würden so viele und teilweise auch unnötige planbare Operationen durchgeführt wie in Deutschland. Der Thüringer Hausärzteverband befürchtet, dass bei finanzkräftigen Investoren nicht mehr die Versorgung der Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehe sondern reine Gewinnmaximierung.
Die Bundesärztekammer kritisiert in ihrem Positionspapier von Januar 2023: "Für Finanzinvestoren wie Private Equity Gesellschaften sind MVZ eine attraktive Geldanlage, da die Erlöse durch die Finanzierung aus der Sozialversicherung praktisch abgesichert sind."
Auch der Verband der Ersatzkassen sieht die Gefahr, dass Ärztliche Entscheidungen durch ökonomische Interessen beeinflusst werden. Eine Untersuchung des IGES Institutes im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern kommt zu dem Schluss, dass in Praxen, die Finanzinvestoren gehören, das abgerechnete Honorar pro Behandlungsfall um mehr als zehn Prozent höher liegt als in einer Einzelpraxis, bei gleicher Patientencharakteristik.
Die Forscher haben dazu Daten aus Arztpraxen von sieben verschiedene Fachrichtungen in Bayern aus den Jahren 2018 und 2019 analysiert. Der Experte für Finanzinvestitionen im Medizinbereich, Rainer Bobsin, sieht jedoch methodische Mängel in der Studie. So kritisiert Bobsin unter anderem, dass von Ergebnissen gesprochen wird, die über alle Fachgruppe hinweg gelten sollen, die Daten bei den MVZ, die Finanzinvestoren gehören, zum überwiegenden Teil aber auf Daten zweier Augenarztkonzerne beruhen.
Von der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen hieß es, sie sehe keine pauschalen Unterschiede in der Qualität ärztlicher Leistungen.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 04. Februar 2023 | 06:00 Uhr