FAKT IST! Zuhören und Bürgerdialoge sollen Diskussionskultur aufpäppeln

06. Dezember 2022, 07:23 Uhr

Wie sehr hat die Streitkultur zuletzt gelitten? FAKT IST! bot das Forum für die Meinungen dazu - über Schützengräben, Verletzungen und Zuhören bis zu ersten Erfahrungen bei einem Bürgerdialog über Lagergrenzen hinweg.

Für viele der Gäste im MDR-Landesfunkhaus hat sich etwas an der Diskussionskultur geändert in den vergangenen Jahren. "Etwas vorsichtiger an gewissen Stellen", nannte es Roland Wozniak aus Sonneberg. "Die Meinungen sind sehr gespalten", sagte Sophie Juraske aus Erfurt. Meinungen der Corona-Maßnahmenkritiker seien sogar unterdrückt worden, so sah es Ilka Förster aus Meiningen.

Als "durchaus sehr hitzig" bezeichnete es Miriam Binder. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling sprach wie der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl von aggressiveren Debatten auch im Landtag, und Kristin Gyza schilderte die Praxis, dass man sich regelmäßig einige, jetzt eben mal nicht über Corona oder bestimmte andere Themen zu reden, die schon auch Freundschaften gefährden könnten. Robin Wagner aus Saalfeld spricht zwar weiterhin mit allen wie immer, registrierte aber auch, dass Diskussionen öfter "unter die Gürtellinie" gingen und vieles persönlich genommen werde. Viele kritisierten vor allem den Ton im Internet.

Ist alles schlimmer geworden?

Die Erfurter Kommunikationswissenschaftlerin Veronika Karnowski bremste und plädierte für "weniger Aufgeregtheit". "Wir dürfen nicht vergessen, dass es schon immer hoch polarisierende Themen gegeben hat", sagte sie und verwies als ein Beispiel auf frühere Debatten über das Abtreibungsrecht. Wenn man sich einig sei, mal nicht über Politik zu sprechen, sei das dann ja Konsens und niemand werde das Wort verboten. Dass Themen tabuisiert würden, wies sie vehement zurück und: "Es wäre katastrophal, wenn alle zu einer Meinung kommen sollten."

Wie viele der Gäste zuvor nannte auch sie die Belastungen, Krisen und Reizthemen der vergangenen Jahre als einen Grund für Schärfen. "Sicher gab es außergewöhnliche Belastungen in der Gesellschaft, die bei allen tief in den Alltag eingegriffen haben."

Der Journalist und Autor Birand Bingül sah auch das immer wieder heftige bis scharfe Hin-und-Her im Studio zwischen den Diskutanten nicht als Problem, sondern ganz im Gegenteil: "Das ist die Herzkammer der Demokratie." Es könne jeder seine Meinung sagen, es könne dann aber eben auch Widerspruch dazu geben. Der "Krisenmodus" der vergangenen Jahre habe an den Nerven gezehrt. Es gebe unversöhnlichere Debatten und Feindbilder.

Kritisch sah er den Aufstieg von "Propagandaparteien", die ganz gezielt daran arbeiteten, Polarisierungen zu erhalten. Henfling kritisierte ausdrücklich die AfD im Landtag, die sich der Sachdiskussion entzöge. Auch CDU-Politiker Bühl sagte, die AfD habe eine andere Stimmung gebracht, woran sich wiederum die Linke riebe und dann bei ihren Positionen keine Diskussionsbereitschaft zeige.

Politiker: Wir sind erreichbar und präsent

Sowohl Bühl als auch Henfling wiesen Vorwürfe zurück, dass Politiker nicht für Gespräche erreichbar seien - sie seien kontinuierlich an Ständen und auch am Rand von Kundgebungen präsent und gesprächsbereit.

Dauerthema Corona

Wieder und wieder kehrte die Diskussion zum Thema Corona zurück - mit tiefen Emotionen und sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen. "Beschämung von Kritikern" kritisierte Förster und forderte "Aufarbeitung" und dass jetzt "Wahrheiten" ausgesprochen werden müssten - ein Begriff für eine Diskussion über Meinungen, dem Kommunikations-Expertin Karnowsky und Grünen-Politikerin Henfling widersprachen.

Was hilft für ein besseres Diskussionsklima?

Bühl warb dafür, das Gefühl zurückzugewinnen, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gebe. Wer das behaupte, erkläre nicht die Wahrheit.

Zuhören, vor allem noch mehr Zuhören sahen viele Gäste als wichtigen Punkt. "Aus den Schützengräben herauskommen" forderte Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder (SPD). Den Vorwurf, Menschen würden "in die (rechte) Ecke gestellt" wies er zurück. Es würden eben nicht alle Teilnehmer etwa von Corona-Demos pauschal als Nazis bezeichnet. Er forderte aber gleichzeitig hinzuschauen, hinter wem man herlaufe.

Auch wenn er immer gesprächsbereit gewesen sei, habe es zu Hochzeiten der Corona-Krise keine Offenheit gegeben. Jetzt sei die Situation besser, beschrieben er und Förster die Situation in Meiningen, die nun den Bürgerdialog "Meininger Stadtgespräch" ermöglicht habe.

Bei diesem Format, das es laut Henfling in nichtöffentlicher Form auch in Ilmenau und in anderen Städten gebe, darf kommen, wer mag. Rund 100 Meininger hatten sich am vergangenen Samstag zusammengefunden und wurden per Los quer über die Lager an Tische platziert. "Es hat sehr gut funktioniert", sagte Giesder.

Dass es nicht einfach ist, zeigte ein scharfer Kurzdisput zum Schluss. Die Meiningerin Ilka Förster verwendete den Begriff "Tyrannei der Ungeimpften", was Henfling als unpassend für einen Dialogauftakt kritisierte und Förster daraufhin diese Kritik nicht gelten lassen wollte. Kommunikationswissenschaftlerin Karnowski wollte noch entschärfen, dass außer Kritik und Gegenkritik "nichts passiert" sei, als die Sendezeit zu Ende ging und die Beteiligten dann nur noch ohne Kameras weiterdiskutieren konnten.

MDR (csr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | FAKT IST! aus Erfurt | 05. Dezember 2022 | 22:10 Uhr

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