Ein Schild weist den Weg zum Gesundheitsamt.
Thüringen will allen Gesundheitsämtern eine einheitliche Fachanwendung zur Verfügung stellen. Dafür gibt es auch Fördergelder. Aber die Auftragsvergabe stockt. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Bernd Wüstneck

Warten auf digitales Gesundheitsamt in Thüringen IT-Ausschreibung stockt – Bund verlängert Frist und zahlt mehr

17. August 2024, 09:58 Uhr

Thüringen will die Gesundheitsämter mit einer modernen gemeinsamen Datenbank-Software ausstatten und hat dafür vom Bund eine Förderzusage über 14,6 Millionen Euro. Im September läuft die Zusage aus, dabei ist der Auftrag für die Software noch nicht einmal vergeben. Dennoch verfällt das Geld nicht: Nach MDR-Informationen hat der Bund die Förderung bis 2026 verlängert und die Mittel aufgestockt.

Eigentlich sollte es schon diesem Sommer an den Start: Das eGesundheitsamt in Thüringen. Das zumindest geht aus der Ausschreibung des Projektmanagements für das eGesundheitsamt im Frühjahr 2023 hervor. "Ziel ist es, die ersten Ausschreibungen zur Programmierung der Plattform eGesundheitsamt und erster Module Anfang des III. Quartals 2023 zu veröffentlichen, so dass im II. Quartal des Jahres 2024 die "Plattform eGesundheitsamt" und erste Module nutzbar werden", heißt es darin.

Inzwischen ist klar: Bis September wird laut Thüringer Gesundheitsministerium maximal ein sogenanntes Kollaborationstool an den Start gehen – ein Werkzeug, das die sichere Kommunikation unter den 22 Behörden erleichtern soll. Die Ämter selbst arbeiten vorerst weiter mit unterschiedlichen Fachanwendungen wie "Octoware", "ISGA" oder "Mikropro".

Viele Programme verderben den Austausch

Diese Vielfalt behindert den Datenaustausch zwischen den Behörden. Selbst wenn diese die gleichen Fachanwendungen nutzen, ist laut Gesundheitsministerium die Kommunikation zwischen verschiedenen Ämtern nicht ohne Weiteres gewährleistet. "Schnittstellen verursachen immer wieder Probleme im Alltag", sagt Isabelle Oberbeck, Chefin des Thüringer Landesverbandes der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). "Als Beispiel möchte ich nennen, dass wir seit 1,5 Jahren auf die Online-Anbindung an das vom Land Thüringen vorgesehene Tool für die Hygienebelehrungen für Mitarbeiter im Lebensmittelbereich warten."

Max Kappelt leitet das durch den Digitalisierungspakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst geförderte "Projekt zur gesundheitlichen Unterstützung durch multimediale Beratung und Aufklärung (PUMBA)" in der Stadtverwaltung von Jena. Die Stadt wollte aus der Pandemieerfahrung heraus ein Multimedia-Studio für die Öffentlichkeitsarbeit einrichten und dieses zugleich für den Wissenstransfer unter den eigenen Mitarbeitern nutzen.

Die vom Ministerium geplante einheitliche Lösung für ganz Thüringen ist in seinen Augen hochattraktiv. "Dann können wir das gleich bearbeiten, rein digital. Das ist extrem ressourcenschonend für alle Beteiligten!" Denn mit dem eGesundheitsamt entstehen Kappelt zufolge thüringenweit einheitliche Arbeitswege und Standards in den Ämtern. Die Nachvollziehbarkeit steige. Auch für Bürgerinnen und Bürger würde es einfacher: Nach Anmeldung könnten sie datensicher Dokumente übermitteln. Der Weg ins Amt entfiele in den meisten Fällen. Dass sich das Projekt nun verzögert, "ist ein herber Schlag, weil wir händeringend darauf warten".

Thüringen profitiert von Bundesförderung

Tatsächlich sei die sogenannte digitale Reife in den Thüringer Gesundheitsämtern "stark entwicklungsfähig", heißt es in der Projektmanagement-Ausschreibung. Doch auch bundesweit ist nicht gut um den sogenannten "Digitalen Reifegrad" in Gesundheitsämtern bestellt. Aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie heraus hat der Bund daher im "Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst" bis 2026 vier Milliarden Euro bereitgestellt. Mehr als 800 Millionen davon sollen in die Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes fließen, das "Digitale Gesundheitsamt 2025", wie eine Sprecherin vom Bundesgesundheitsministerium MDR Investigativ mitteilte.

Von diesem Fördertopf profitiert auch Thüringen – über einen Förderzuschuss von rund 14,6 Millionen Euro für eine Digitalplattform für die Gesundheitsämter, das eGesundheitsamt, und einen weiteren über 1,4 Millionen für eine Erweiterung der Plattform, wie das Gesundheitsministerium in Erfurt mitteilte.

Viel Geld für ein ambitioniertes Ziel: Das "eGesundheitsamt" soll modern und bürgernah sein sowie die Gesundheitsämter besser vernetzen, die Beschäftigten entlasten respektive deren Zufriedenheit steigern, erläutert eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums mit. Ein zentrales Online-Angebot für den Gesundheitsdienst mit verschiedenen Komponenten und Funktionalitäten, mit Online-Terminvergabe, Videoberatung, Online-Formularen und -Meldungen – alles mit dem Ziel, dass es flotter geht als jetzt und ein besseres Gesamtbild ermöglicht als jetzt. Bürgern und allen anderen externen Nutzern soll es nutzungsfreundliche digitale Dienste sowie relevante Gesundheitsinformationen für eine verbesserte Gesundheitskompetenz bieten.

Auftrag bis jetzt wegen "Komplexität des Vergabeverfahrens" noch nicht vergeben

Die Vision ist schön, doch es gibt ein Problem: Bis jetzt ist das Los für die die Plattform "eGesundheitsamt" noch nicht einmal vergeben, das Vergabeverfahren für die mit Hilfe eines externen Dienstleisters erarbeitete Ausschreibung nach Ministeriumsangaben noch nicht abgeschlossen. Der Förderaufruf des Bundes über rund 14,6 Millionen Euro läuft seit Oktober 2022 bis jetzt, dem 30. September.

Fördermittel im Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst

  • 4 Milliarden insgesamt, 800 Millionen für "Digitales Gesundheitsamt.
  • Gefördert werde Modellprojekte von Gesundheitsämtern und kommunalen Einrichtungen des ÖDs und und Projekte des Landes.
  • Alle sind hier abrufbar: https://gesundheitsamt-2025.de/projekte/gesamtprojektliste.

Drei Förderaufrufe und drei Anträge

Es gibt drei Förderaufrufe vom Bundesgesundheitsministerium und drei Förderanträge aus Thüringen:

  1. Förderaufruf mit der Zusage über rund 14,6 Millionen Euro
  2. Förderaufruf mit der Zusage über rund 1,4 Millionen Euro (Höhe auf der BGM-Seite ist laut TMG falsch hinterlegt)
  3. Förderaufruf mit der Zusage über rund 900.000 Euro und Fristverlängerung – laut TMG mit und ohne Aufstockung, laut Bundesgesundheitsministerium ausgabenneutral.

Die "Plattform eGesundheitsamt" besteht aus drei Komponenten:

  1. zentrales webbasiertets Fachverfahren,
  2. öffentliches ÖGD-Fachportal/Bürgerportal,
  3. ÖGD-Kollaborationstool,
  4. Datawarehouse.

Die "geplanten Meilensteine bis zum September 2024" könnten nicht erreicht werden, räumt eine Sprecherin des Ministeriums ein. Grund seien die "Komplexität des Vergabeverfahrens für das zentrale webbasierte Fachverfahren" sowie eine noch nicht vorliegende Verlängerungszuschusszusage. "Da die anderen Komponenten der eGAT-Plattform mit Ausnahme des Kollaborationstools direkt vom zentralen Fachverfahren abhängen, können diese nicht vorgezogen werden".

Das digitale Gesundheitsamt in Thüringen kann also nicht so schnell an den Start gehen wie geplant. Das ist nicht nur in Thüringen so. Auch andere Länder haben sich laut Thüringer Gesundheitsministerium bereits im Sommer 2023 für eine Verlängerung des Förderprogramms eingesetzt, weil sich laut Ministerium zeigte, "dass insbesondere die komplexen landeskoordinierenden Maßnahmen nicht im geltenden Förderzeitraum umgesetzt werden" könnten.

Gesundheitsministerium: Bund fördert länger und investiert mehr

Eine entsprechende Verlängerung hat auch Thüringen beantragt. Erfolgreich, wie die Ministeriumssprecherin Ende Juli mitteilt. Das Ministerium habe inzwischen vom Bund eine Vorab-Information erhalten, "dass die Laufzeit des Zuschusses bis 31. März 2026 verlängert wird und dieser noch um 900.000 Euro erhöht wird".

Offen bleibt, warum das Projekt noch nicht einmal vergeben ist, wenn es doch schon jetzt laufen sollte. Nach Einschätzung des Ministeriums gab es keine unerwarteten Hindernisse oder Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ausschreibung und auch nicht darüber hinaus. Belegt sind allerdings fünf Änderungen an der Ausschreibung in den ersten beiden Monaten nach Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt.

"Spiegel": Angeblich bremst Rüge Verfahren aus

Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichtete zuletzt von einer Rüge, die das Verfahren ausbremst. Eine Information, die dem MDR auch vorliegt. Auf die Nachfrage, ob tatsächlich wie vom Nachrichtenmagazin berichtet eine Rüge oder eine Beschwerde das Verfahren ausbremsten, antwortet das Ministerium, unter Verweis auf Paragraf 5 Vergabeverordnung könne "hierzu keine Auskunft erteilt werden".

Die Thüringer Landesvergabekammer, die im Landesveraltungsamt in Weimar angesiedelt ist, räumt indirekt ein, dass sie das Verfahren prüft. Eine Anfrage des MDR nach Rügen oder Beschwerden im Verfahren wird mit der Antwort beschieden, der Kammer sei es "aufgrund ihrer fachlichen Unabhängigkeit verwehrt", Auskünfte zu laufenden Nachprüfungsverfahren zu geben. Fragen, wie häufig solche Verfahren vorkommen, lässt der Sprecher der Kammer offen und verweist auf eine Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums. Warum das Amt nicht einmal diese Frage beantwortet, lässt er offen.

Offen ist ebenfalls, wie viele und welche Unternehmen ihren Hut in das Verfahren geworfen haben. Das Ministerium verweist bei Nachfragen in diesem Zusammenhang ebenfalls auf Paragraf 5 Vergabeverordnung und schweigt. Weitere Fragen wie beispielsweise, welche Kosten damit auf die Kommunen zukommen und wann das neue elektronische Gesundheitsamt an den Start geht, können laut Ministerium erst beantwortet werden, wenn das Projekt vergeben ist.

Ärzte im ÖGD dafür - letzte Zustimmung der Kommunen noch offen

Die Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst jedenfalls begrüßen das Projekt. "Prinzipiell ist dies aus meiner Sicht sinnvoll", sagt ÖGD-Landeschefin Oberbeck. Der Zeitdruck aber sei ein großes Problem ebenso wie "fehlende gesetzliche Grundlagen, die eine einheitliche Nutzung vorschreiben". Damit bleibe offen, welche Kommunen und Landkreise sich anschlössen. Ob die Kommunen mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung überhaupt das neue Tool nutzen werden - wenn es denn einmal da ist, dass muss sich also noch herausstellen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 17. August 2024 | 09:05 Uhr

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