Abschreckung gegen Russland Verstärkung im Ernstfall: Thüringer Bundeswehr-Einheiten sollen Litauen unterstützen

10. April 2025, 20:12 Uhr

Die Strategen von Nato und Bundeswehr blicken verstärkt nach Osteuropa. Wird Russland nach der Ukraine bald weitere Nachbarländer überfallen? Diese Sorge ist vor allem in den baltischen Staaten groß. In Litauen baut die Bundeswehr deshalb eine neue Panzerbrigade auf. Und bis die einsatzbereit ist, sollen Bundeswehr-Einheiten auch aus Thüringen zur Unterstützung im Ernstfall zur Seite stehen.

Porträt Autor Dirk Reinhardt
Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

"Vielleicht ist dies der letzte Sommer, den wir noch im Frieden erleben." Mit dieser Aussage in einer ARD-Talksendung sorgte der Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel vor kurzem für Aufsehen. Eine Rhetorik, die geschichtsinteressierte Zeitgenossen eher mit dem Sommer 1914 in Verbindung bringen, der in der Literatur als der letzte friedliche Sommer vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschrieben wird. Der letzte friedliche Sommer vor einer Ära der heißen und kalten Kriege mit Millionen Toten und verheerenden Auswirkungen auf Europa und die Welt.

Sönke Neitzel
Prof. Sönke Neitzel, Militärhistoriker an der Uni Potsdam (Archivbild) Bildrechte: MDR/Kai Bublitz

Seine düstere Prophezeiung zieht Neitzel wohl aus dem, was im Osten Europas vor sich geht und vielleicht bald vor sich gehen könnte. Russlands Präsident Putin, der einen Krieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, könnte in seinem Machthunger bald auch andere ehemalige Sowjetrepubliken angreifen. Im Fokus die drei baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen, die sich Anfang der 1990er-Jahre von der auseinanderbrechenden Sowjetunion losgesagt hatten und unabhängige Staaten wurden.

Weil die drei kleinen Staaten im Baltikum Mitglieder des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato sind, blicken deren Militärstrategen seit Jahren mit Sorge dorthin. Würde auch nur eines der drei kleinen Nato-Mitglieder angegriffen, könnte der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages eintreten. Die anderen Nato-Mitglieder wären danach aufgefordert, dem bedrängten Mitglied zu Hilfe zu kommen - auch militärisch.

Besorgte Blicke in Thüringer Kasernen nach Litauen?

Auch in Thüringer Bundeswehr-Kasernen dürfte mancher Soldat und manche Soldatin derzeit besorgt in Richtung Litauen blicken. Denn seit Jahresanfang ist die Panzergrenadierbrigade 37 "Freistaat Sachsen", zu der die Bundeswehr-Einheiten in Bad Frankenhausen, Bad Salzungen, Gotha und Gera gehören, so eine Art Eingreiftruppe der Nato in Litauen. Was das bedeutet, erklärt Brigadekommandeur General David Markus im Gespräch mit MDR THÜRINGEN:

"Der Auftrag der Brigade ist es, so lange für die litauische Bevölkerung zur Verfügung zu stehen, bis die Panzerbrigade 45, die wir für Litauen vorgesehen haben, einsatzbereit sein wird. Das wird aufgrund auch der aktuellen infrastrukturellen Herausforderungen sicherlich noch ein bisschen dauern. Und bis die dann komplett in Litauen stehen werden, also Ende 2027, bis dahin macht das die Brigade 37 aus Frankenberg."

Brigadegeneral David Markus im Gespräch mit einem niederländischen Offizier.
Brigadegeneral David Markus (Mitte) im Gespräch mit einem niederländischen Offizier. Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

In den nächsten zwei bis drei Jahren steht die Brigade mit ihren insgesamt acht Bataillonen in Sachsen, Thüringen, Bayern und Nordrhein-Westfalen also in einer Art ständiger Alarmbereitschaft. Sollte die Lage in Litauen "heiß" werden, sollten sich also aus Nato-Sicht bedenkliche Truppenansammlungen in Russland und Belaus an den Grenzen zum Baltikum feststellen lassen, kann die Brigade mit ihren rund 6.500 Männern und Frauen alarmiert werden und binnen weniger Tage nach Litauen ausrücken. Um dort, wie General Markus es beschreibt, in erster Linie mögliche Angreifer abzuschrecken, letztlich aber auch zusammen mit der litauischen Armee und Truppen anderer Nato-Partner "das Nato-Bündnisgebiet in Litauen zu verteidigen".

Brigade mit der höchsten Einsatzbereitschaft

Warum die Brigade 37 mit ihren großteils in Thüringen beheimateten Truppenteilen für diese Aufgabe ausgewählt wurde, hatte der Kommandeur des Feldheeres der Bundeswehr, General Harald Gante, im Dezember via Pressemitteilung erklärt. Sie sei "die Brigade mit der höchsten Einsatzbereitschaft des Heeres". Seinen Grund dürfte das mit der Aufgabe als Teil der Nato Eingreiftruppe NRF in den Jahren 2022 bis 2024 haben. Hier war die Brigade mit allerlei neuem Material ausgestattet worden. Unter anderem hatte das in Bad Frankenhausen stationierte Panzerbataillon 44 neue Leopard-Panzer des Typs A7V bekommen. Und schon als NRF-Einheit musste die Brigade in der Lage sein, innerhalb weniger Tage an jeden Ort des Nato-Bündnisgebietes zu verlegen. Trainiert wurde das unter anderem im Mai 2023 mit einem Manöver auf der italienischen Mittelmeer-Insel Sardinien.

Geübt für den Litauen-Auftrag wurde in den vergangenen Tagen im Gefechtsübungszentrum des Heeres in der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts. Hier war das Panzergrenadierbataillon 391 aus Bad Salzungen gemeinsam mit einer niederländischen Brigade unterwegs. Das Thüringer Bataillon solle das Verteidigen trainieren, so Brigadekommandeur Markus im MDR-Interview.

Der Kommandeur der 13. Leichten Brigade der niederländischen Armee, Brigadegeneral Gert-Jan Kooij, bei der Übung "Bastion Lion" in der Altmark.
Im Gefechtsübungszentrum in der Altmark trainierten die Salzunger Grenadiere gemeinsam mit der 13. Leichten Brigade der Niederlande. Im Bild deren Kommandeur, General Gert-Jan Kooij (Mitte). Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

Schon mehrmals in Litauen im Einsatz

Erfahrungen mit Litauen haben die Salzunger Grenadiere allemal. Vor einigen Jahren war das Bataillon Leitverband der EFP-Battlegroup der Nato in dem baltischen Land. Die wurde nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch russischer Truppen in der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim im Jahr 2014 gegründet. Die rund 1.000 Mann starke Battlegroup wird von der Bundeswehr geführt, weitere sieben Länder stellen hierfür Truppen bereit. Auch Teile der Panzertruppe aus Bad Frankenhausen und der anderen Thüringer Bundeswehr-Einheiten waren mit unterschiedlicher Stärke wiederholt für mehrere Monate in dem baltischen Land im Einsatz.

Das ist definitiv ein Vorteil. Also die Kräfte, die Kameraden aus Bad Salzungen kennen sich gut aus. Die sind erfahren sowohl in Litauen aber auch in anderen Gebieten. Die wissen, worauf es ankommt, und auf die ist immer Verlass.

Brigadegeneral David Markus

Doch ist der neue Auftrag in Litauen für die Soldatinnen und Soldaten kein Spaß. Im Unterschied zur NRF habe die Brigade nun für die nächsten Jahre ein konkretes Einsatzgebiet, sagt Markus. Und die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes - und sei es "nur" zur Abschreckung, ist heute deutlich größer. Auch wenn wohl niemand hoffen dürfte, dass die düstere Prognose des Militärhistorikers Neitzel Realität wird.

So manchen Soldaten mag das erschrecken. Zumindest lässt sich dies aus der diplomatischen Antwort von General Markus auf die Frage nach der Motivation seiner Leute herauslesen. Die Motivation sei gut, betont er. Aber: "Sie wissen ja, wie das ist. Es gibt immer mal wieder Männer und Frauen, die gute persönliche Gründe haben, gewisse Dinge nicht mitmachen zu können. Das ist eine Frage, die wir aktuell erstmal angehen, und dass wir deren persönliche Herausforderungen lösen können, um dann gemeinsam als Brigade dort erfolgreich sein zu können."

Manöver im Herbst in Litauen

Im Herbst planen Russland und Belarus nach allem, was bisher bekannt ist, neue Manöver mit dem Namen "Sapad" in Belarus. Ein solches Manöver war im Februar 2022 auch Ausgangspunkt des Einmarsches russischer Truppen in der Ukraine. Für den Herbst plant die Panzergrenadierbrigade 37 gemeinsam mit weiteren Nato-Truppen ebenfalls eine Übung in Litauen.

Marder-Schützenpanzer fahren auf einer Straße in Litauen
Panzergrenadiere aus Bad Salzungen in Litauen auf dem Weg zu einem Manöver im Herbst 2023 Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

Hauptauftrag werde sein, die schnelle Verlegung nach Litauen zu üben und vor Ort gemeinsam mit litauischen und anderen Nato-Einheiten die Verteidigung des Landes zu trainieren, sagt Markus. "Ob dann Russland im Rahmen seiner Übung im September oder wann auch immer da Dinge tut, mögen sie gerne machen. Wir sind bereit."

MDR (dr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 10. April 2025 | 19:00 Uhr

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