Bundeswehr Eingreiftruppe und Battlegroup in Litauen: Thüringer Soldaten im Einsatz für die Nato

22. November 2023, 22:23 Uhr

Seit 2015 unterhält die Nato in den drei baltischen Staaten sowie in Polen sogenannte EFP-Battlegroups. Diese Bataillone, jeweils aus Soldaten mehrerer Nato-Staaten zusammengestellt, sollen dabei helfen, den Nachbarn Russland von Angriffen auf die vier Länder abzuhalten. Das Bataillon in Litauen steht unter deutscher Führung - und derzeit sind rund 150 Thüringer Bundeswehr-Soldaten dort stationiert. Und sie sind nicht die einzigen Soldaten aus Thüringen, die derzeit für die Nato im Einsatz sind.

Porträt Autor Dirk Reinhardt
Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

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Nachts auf Feldposten im Wald

Ein Waldstück bei Rukla im Südosten von Litauen. An einem Abend Mitte Oktober. Es ist regnerisch und kühl - typisches Grenadierwetter, wie man bei der Bundeswehr sagt.

Oberleutnant Jordan (den Nachnamen dürfen wir nicht nennen) ist unterwegs zu seinen Leuten. Der 27-jährige Offizier ist Zugführer des Panzergrenadierbataillons 391 aus Bad Salzungen und seit Sommer 2023 hier in Litauen im Einsatz. Sein Zug ist der sogenannte Sicherungszug. Seine Hauptaufgabe: Den Gefechtsstand seiner Battlegroup vor Angriffen zu schützen.

Jordans Leute haben sich mit ihren vier Marder-Schützenpanzern in dem Waldstück verteilt. Sie verstecken ihre Panzer so gut es geht im Gelände, tarnen sie mit Zweigen und Grünzeug. Der Zugführer lässt sich von seinen Truppführern erklären, wie sie sich im Fall eines Angriffs verhalten werden:

Das ist die Alarmstellung. Meine Absicht ist: Wenn das hier stockfinster ist, will ich hier nicht groß Verschiebungsballett machen, sondern ich fahre dann an die Waldkante ran, um bei auftretendem Feind schnellstmöglich reagieren zu können.

Truppführer

"Abgesessener Kampf ist möglich"

Ausgiebig begutachtet der Zugführer die Stellung seines Trupps und geht dann zum nächsten. Inzwischen ist es dunkel geworden. Der nächste Truppführer hat das ihm zugewiesene Areal mit Stöcken und Steinen in einer Art Sandkasten nachgebaut und erklärt seinem Chef im tiefsten Südthüringer Dialekt seinen Plan. Die Wege böten gute Sicht und Schussentfernungen bis zu 500 Meter. Der Kampf mit dem Schützenpanzer oder "abgesessener Kampf durchaus möglich auf weite Sichtstrecken".

Nato-Battlegroups als Reaktion auf Krim-Annexion

Verteidigen und Sichern - was Jordans Zug in kleinem Rahmen macht, ist im Großen die Aufgabe der EFP-Battlegroup der Nato in Litauen. Im Jahr 2015 hatte die Nato diese und drei weitere multinationale Kampfeinheiten ins Leben gerufen und in den drei baltischen Staaten sowie in Polen stationiert. Ihre Aufstellung war eine Reaktion auf die Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel Krim durch Russland im Jahr davor. Hauptaufgabe der Enhanced Forward Presence (EFP), also der "Verstärkten Vornepräsenz": Russland vor Angriffen auf die vier Nato-Länder abschrecken.

Jede der Battlegroups wird von einem Nato-Land dauerhaft geführt. Die in Litauen steht unter der Führung Deutschlands mit seiner Bundeswehr. Rund 1.700 Soldaten und Soldatinnen sind derzeit bei der EFP Lithuania in einer Kaserne der litauischen Armee in Rukla stationiert. Die Hälfte davon stellt die Bundeswehr, die andere Hälfte der Truppe kommt aus den Niederlanden, Norwegen, Belgien, Tschechien und Luxemburg.

Stationiert in der Nähe der Suwalki-Lücke

Die Battlegroup hat ihren Standort in der Nähe der sogenannten Suwalki-Lücke. So bezeichnen die Nato-Strategen die etwa 100 Kilometer lange Grenze zwischen Litauen und Polen. Im Westen endet sie am Gebiet der russischen Exklave Kaliningrad, im Osten an der Grenze zu Belarus - dem Verbündeten Russlands, der im Februar 2022 auch als Aufmarschbasis für russische Truppen bei ihrem Einfall in die Ukraine diente. Die baltischen Staaten wie auch die Nato befürchten, dass Russland von beiden Seiten in Litauen einfallen und so die Nato-Mitglieder Litauen, Lettland und Estland vom Rest des Bündnisses abschneiden könnte.

"Unser Auftrag: Feindlichen Anmarsch verwehren"

Zurück im Wald. Oberleutnant Jordan hat seinen Rundgang beendet und gibt nun - versteckt unter einer Zeltplane als Schutz vor Luftaufklärung - seinen Leuten letzte Anweisungen. "Unser Auftrag: Feldposten verwehrt feindlichen Anmarsch, verwehrt Aufklärung eigener Stellung, vernichtet mindestens zwei feindliche Schützenpanzer."

Unter den Zuhörern ist auch Major Johannes. Er ist Kompanie-Chef bei den Grenadieren, zu seiner Einheit gehört auch der Zug von Oberleutnant Jordan. Hier in Litauen ist der Major allerdings nicht als Kompanie-chef eingesetzt. Er gehört zum Team des Gefechtsstandes der Battlegroup und ist außerdem verantwortlich für die Ausbildung von Soldaten.

Unterwegs mit belgischer Infanterie

Was das bedeutet, kann unser MDR-Team am nächsten Tag beobachten: Der Major begleitet eine belgische Infanteriekompanie bei einer Übung. Deren Aufgabe: Einen eingedrungenen Feind zurückzuschlagen. Wir sind nicht die einzigen Zuschauer: Mehrere Generäle und hohe Offiziere der belgischen Armee sind zur Inspektion angereist und schauen interessiert zu. Major Johannes bittet die Besucher in das Zelt des Gefechtsstands und informiert sie. "Every day a different company. I started with the german. Yesterday we trained the dutch company and today the belgian."

Apropos Inspektionsreisen - bei der Bundeswehr heißt das auch oft "Dienstaufsicht": Das ist, so hören wir unter der Hand, eine zusätzliche "Herausforderung" für die Battlegroup in Rukla. Nahezu im Wochentakt kommen Generäle, Minister, Abgeordnete und andere wichtigen Besucher aus den Nato-Ländern her, um sich bei der Truppe umzuschauen. Während wir den Major im Gespräch mit den belgischen Generälen beobachten, fährt eine Wagenkolonne mit Blaulicht an dem Gefechtsstand vorbei. Ein hoher General aus Deutschland, heißt es.

Zurück zur Übung: Die belgische Kompanie hat sich mittlerweile am Rand eines Wäldchens versammelt und wird vom Grenadier-Major aus Thüringen in die Übung eingewiesen. Dann geht es los. Die Soldaten und Soldatinnen laufen in langgezogener Formation los, in die Richtung, wo der Feind sein soll. Die Waffen schussbereit im Anschlag. Bald gerät die Kompanie in heftiges Gewehrfeuer und muss sich wehren. Doch langsam rückt sie vor und drängt den Feind zurück.

Das Gefecht dauert mehr als zwei Stunden, mehrere Kilometer ist die belgische Infanterie-Einheit durch den Wald vorgerückt. Sie hat eine Minensperre umgangen und einige Verwundete zu beklagen. Doch sie hat den Feind zurückgedrängt.

Warum machen wir das? Wir sind natürlich hier, um Verteidigung auszubilden. Aber zu jeder Verteidigung gehören offensive taktische Aktivitäten mit dazu. Das heißt, wenn ich den Feind dann irgendwann vor meiner Minensperre aufgehalten habe, dann möchte ich ihn da ja nicht belassen. Das ist ja vielleicht auch eine Lehre, die man in der Ukraine auch sehen kann. Da muss das Ziel dann auch sein, den Raum auch wieder zurückzugewinnen oder die Feindkräfte dort, wo sie dann sind, dann zu zerschlagen.

Major Johannes

Einige Tage später rücken Oberleutnant Jordan und seine Leute wieder zur nächsten Übung aus. In langen Marschkolonnen aus Panzern, Lkw und Jeeps verlegt die EFP-Battlegroup auf den Übungsplatz bei Pabrade weiter im Osten des Landes, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu Belarus. Hier findet die Übung "Iron Wolf" statt, ein gemeinsames Manöver der Battlegroup mit Teilen der litauischen Armee.

Panzer-Schießtraining in der Lüneburger Heide

Etwa zur gleichen Zeit im Oktober auf dem Truppenübungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide. Das Panzerbataillon 393 der Bundeswehr aus Bad Frankenhausen übt hier das Gefecht im großen Verband: Knapp 30 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 aus Thüringen sowie 14 Puma-Schützenpanzer des Panzergrenadierbataillons 112 aus Bayern sind beteiligt.

Muss schnell sein: schnelle Eingreiftruppe VJTF

Die beiden Bataillone gehören ebenso wie weitere Einheiten in diesem Jahr zu schnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF. Diese umfasst insgesamt rund 10.000 Mann und muss innerhalb von zwei bis sieben Tagen zum Verlegen an jeden Ort im Bündnisgebiet bereit sein. Denn die Eingreiftruppe soll als "Speerspitze" der Nato Response Force als erste einem möglichen Angreifer auf das Nato-Gebiet entgegentreten.

In den vergangenen Monaten hatte die Panzereinheit aus Bad Frankenhausen intensiv trainiert und sich für ihren Auftrag fit gehalten. Unterwasserfahrten standen ebenso auf dem Programm wie ein Nato-Manöver auf Sardinien.

General Ruprecht von Butler, Chef der 10. Panzerdivision, zeigt sich hier in der Lüneburger Heide zufrieden mit der Leistung der Truppe.

Ich glaube, die Truppe, die wir heute gesehen haben, die kann sich mit jedem Gegner messen. Auf der anderen Seite hoffe ich aber, dass sie das niemals tun muss.

General Rupret von Butler, Kommandeur 10. Panzerdivision

MDR (dr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt - Die Story | 22. November 2023 | 20:45 Uhr

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