Landespolitik Darf Wagenknecht das eigentlich? Über die Mitgliederaufnahme beim Thüringer BSW
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08. November 2024, 18:17 Uhr
Während in Thüringen Koalitionsverhandlungen laufen, tobt im BSW ein Machtkampf. Zuletzt nahm Bundeschefin Wagenknecht einen Schwung neuer Thüringer Mitglieder auf - ohne Absprache mit dem Landesverband. Wie weit darf sie gehen? Die fünf wichtigsten Fragen.
Inhalt des Artikels:
1. Wie hat sich der BSW-interne Konflikt hochgeschaukelt?
BSW gegen BSW. So liefen - grob zusammengefasst - die vergangenen Wochen. Die Kurzfassung:
Ende Oktober sondiert der Thüringer BSW-Landesverband mit der CDU und der SPD. Man prüft vorsichtig, ob man gemeinsam eine Regierung bilden will. Doch die Gespräche geraten ins Stocken. Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht soll unzufrieden mit einem Präambeltext zum Thema Außenpolitik gewesen sein.
Kurze Zeit später einigen sich die Thüringer Verhandler doch auf einen Text. Sie äußern darin gemeinsame, aber auch unterschiedliche außenpolitische Vorstellungen - doch Wagenknecht bezeichnet das Papier als einen "Fehler".
Die Thüringer Partner - allen voran die SPD - und deren Basis reagieren gereizt. Doch man ringt sich weiter durch in Thüringen. Dann, kurz bevor in dieser Woche die konkreten Koalitionsverhandlungen beginnen, wird dem Thüringer BSW um Katja Wolf klar: In ihren Reihen gibt es neue Mitglieder. Ohne, dass die Thüringer davon gewusst haben.
Wagenknecht nimmt an Thüringen vorbei Mitglieder auf
Bei den Mitgliederzahlen wird es jedoch undurchsichtig: Die Bundesspitze teilt auf Nachfrage mit, dass es in Thüringen aktuell 89 Mitglieder gibt. Am vergangenen Dienstag hatte der Thüringer Landesverband dem MDR noch mitgeteilt, es gebe 83.
Dazu passt aber nicht die Zahl der Neuen, die der Bundesvorstand am Landesverband vorbei in den vergangenen Tagen aufgenommen haben soll - und die am Wochenende Thüringer BSWler gegenüber der "Thüringer Allgemeinen" auf 21 schätzten.
Wir bleiben weiterhin bei unserem Kurs.
Weitere MDR-Nachfragen blieben bis Redaktionsschluss am Freitag sowohl von der Bundesspitze als auch gänzlich vom Thüringer BSW unbeantwortet. Die Bundesspitze teilte nur mit, man nehme "auch künftig regelmäßig neue Mitglieder aus allen Bundesländern auf" - auch aus Thüringen. Und: "Wir bleiben weiterhin bei unserem Kurs eines langsamen und kontrollierten Wachstums."
Diesmal ist es halt anders gelaufen.
Noch im Sommer gab es allein in Thüringen laut eigenen Angaben beim BSW etwa 1.000 Anwärterinnen und Anwärter. Auf das eigene Vorschlagsrecht hatten die Thüringer vor der Landtagswahl noch stolz verwiesen. "Diesmal ist es halt anders gelaufen", beschwichtigt ein BSW-Mitglied, das in Thüringen von Anfang an mit dabei ist und anonym bleiben möchte.
Bei Landesvorsitzender Katja Wolf klang das am Wochenende beim Mitgliedertreffen in Erfurt ein bisschen anders. Man sei "überrascht" gewesen. Und, so sagt es Wolf gegenüber der "Thüringer Allgemeinen": "Ich bin etwas verwundert." Wolf ist dabei nicht allein - ein anderes BSW-Mitglied wundert sich ebenfalls, warum Wagenknecht die Entscheidung an Thüringen vorbei getroffen hat. "Die Frage stellt sich wirklich."
Mitgliederaufnahme Dauerthema beim BSW
Der Aufnahmeprozess von neuen Mitgliedern war von Anfang an ein Thema beim BSW. Die Bundessatzung legt in Artikel 4 fest, dass die Landesverbände zwar vorschlagen dürfen, wen sie aufnehmen wollen. Das letzte Wort wird aber "grundsätzlich" in Berlin gesprochen. Und: "Die Ablehnung des Antrags bedarf keiner Begründung." (Ein kurzer Vergleich: Bei der SPD entscheidet grundsätzlich der Vorstand des jeweiligen Ortsvereins.)
2. Wie geschlossen steht das Thüringer BSW noch?
Wie viel Einfluss nimmt Sahra Wagenknecht damit auf die Mehrheitsverhältnisse des Thüringer Landesverbandes?
Dass es im Thüringer BSW längst eine Lagerbildung gibt, bestätigen Parteimitglieder in Gesprächen. Während es in Sachsens BSW offenbar erhebliche Differenzen über den Abbruch der Sondierungsgespräche gibt, betont die Thüringer Führung stets die eigene Geschlossenheit.
Im Kern geht es aber stets um das Thema Krieg und Frieden. Einerseits ist da das Lager um die Landesvorsitzende Katja Wolf, das schon jetzt Regierungsverantwortung anstrebt und sich auf die Umsetzung von Landespolitik konzentrieren möchte. Diesem Lager dürfte der Großteil der Thüringer BSW'ler - geschätzt zwei Drittel - zuzuordnen sein.
Das macht eine innere Enttäuschung.
Ein Mitglied, das mit dem BSW politisch zum ersten Mal aktiv wurde, spricht davon, dass in den vergangenen Monaten durch die internen Machtdynamiken viel Idealismus und politische Kraft verloren gegangen sei. "Man ist zurückhaltender geworden und geht nicht mehr so gemeinsam nach vorne." Natürlich ginge es ihnen beim BSW um Frieden, "aber um inneren Frieden, damit Thüringen regierbar wird". Das Mitglied kritisiert, dass die Aufnahme von neuen Mitgliedern Transparenz vermissen ließ. "Das macht eine innere Enttäuschung" - und offenbar die Sorge, in welche Richtung sich die Lagerbildung entwickeln könnte.
Andererseits gibt es im Thüringer BSW auch das Lager derer, die den Kurs von BSW-Namensgeberin und Bundesvorsitzenden Sahra Wagenknecht unterstützen und sich auch mit einer Rolle in der Opposition anfreunden könnten. Beispielhaft dafür steht eine Wortmeldung der ehemaligen Linken Anke Wirsing, die zu den Gründungsmitgliedern des Thüringer BSW zählt. Sie schrieb auf X, sie sei nicht ohne Grund von den Linken zum BSW gewechselt und werde nicht gegen den Bundesvorstand agieren.
Parteitag wird es zeigen
So richtig weiß im BSW-Landesverband niemand, wer die Neuen sind. Es hält sich bei Thüringer Mitgliedern bislang auch das Gerücht, dass in den kommenden Tagen weitere, von Berlin aufgenommene Mitglieder aufgenommen werden könnten. Doch auch dazu äußerte sich die Bundesspitze auf MDR-Nachfrage nicht.
Wie geschlossen das Thüringer BSW aktuell ist, ist schwer abzusehen. Am 23. November will der Landesverband über einen dann fertig ausgehandelten Koalitionsvertrag abstimmen. Spätestens dann könnten mögliche Unterschiede offen zutage treten.
3. Ist es rechtens, dass Wagenknecht über die Mitgliederaufnahme entscheidet?
Parteien haben in Deutschland viel Gestaltungsfreiheit.
Artikel 10 des Parteiengesetzes sagt beispielsweise, dass die Parteien mit ihrer Satzung "frei über die Aufnahme von Mitgliedern" entscheiden dürfen. Und Artikel 21 des Grundgesetzes räumt Parteien generell eine große Bedeutung ein: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit."
Was aber, wenn eine Partei wie das BSW in Thüringen fast 16 Prozent der gut 1,2 Millionen Wählerstimmen holt - gleichzeitig aber nur etwa 100 Menschen momentan Mitglied der Partei im Freistaat sein dürfen?
Parteienforscherin: Aufnahmepraxis ist rechtswidrig
"Das halte ich tatsächlich für nicht konform mit dem Parteiengesetz", sagt Professorin Sophie Schönberger. Die Expertin für Parteienrecht forscht an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und hat zur BSW-Aufnahmepraxis aktuell einen wissenschaftlichen Aufsatz in Vorbereitung. Sie verweist im Interview auf Artikel 10 des Parteiengesetzes, wo ebenfalls steht: "Allgemeine, auch befristete Aufnahmesperren sind nicht zulässig."
BSW-Praxis ist Präzedenzfall
Schönberger sagt, die Aufnahmepraxis beim BSW "ist so restriktiv und mit Zielgrößen, wie viele Mitglieder man bis wann aufgenommen haben will - dass das eine Praxis ist, die sich nicht am Individuum orientiert. Also ich nehme denjenigen nicht auf, weil ich glaube, dass er nicht in die Partei passt. Sondern sie orientiert sich an absoluten Zahlen. Und das - würde ich sagen - ist der Sache nach eine Aufnahmesperre und damit rechtswidrig."
Das BSW, so die Parteienforscherin, schaffe einen Präzedenzfall. Aber: "Man muss das so auslegen, dass eine Partei grundsätzlich offen bleiben muss."
Das ist ein weiteres Problem.
In Artikel 4 der BSW-Satzung steht: "Über die Aufnahme entscheidet grundsätzlich der Bundesvorstand."
Welche Rolle spielt juristisch, dass der Bundesvorstand an Thüringen vorbei Mitglieder aufgenommen hat? "Das ist ein weiteres Problem", sagt Schönberger. Sie zieht dafür den Artikel 7 des Parteiengesetzes heran. Dort werden die Gliederungen von Parteien in "Gebietsverbände" definiert. "Da liest man rein, dass eben ein Verband auch substanziell eigene, selbständige Rechte haben muss." Auch das sei, so die Expertin, ein Präzedenzfall für Deutschland.
4. Können die Thüringer gegen die Neuaufnahme der Mitglieder vorgehen?
Präzedenzfall heißt: Noch ist nicht final geklärt, ob die Aufnahmepraxis rechtens ist.
Klären ließe sich das aber mit einem Gerichtsverfahren - meint die Parteienforscherin Sophie Schönberger. Sie betont, wie wichtig es sei, dass Parteien vor Eingriffsmöglichkeiten geschützt seien. Das deutsche Recht gehe daher davon aus, dass Mitglieder in Schiedsgerichten selbst juristische Fragen anstoßen. "Hier ist es natürlich besonders paradox, weil ja eben gerade nicht kritische Mitglieder in hinreichender Zahl aufgenommen werden."
Die einzige Lösung sei daher, so Schönberger, dass entweder abgelehnte Parteianwärter oder tatsächlich Mitglieder die Aufnahmepraxis vor einem Schiedsgericht oder einem zivilen Gericht anfechten.
Könnten Thüringer Einspruch erheben?
Stellt sich noch die Frage: Könnte der Thüringer Landesverband gegen die Aufnahme der neuen Mitglieder durch Wagenknecht vorgehen? Artikel 4 der BSW-Satzung erwähnt immerhin die Einspruchsmöglichkeit.
Anonym sagt ein BSW-Mitglied dem MDR: "Ich denke, da wird niemand von uns Einspruch einlegen." Und ein genauer Blick in den Paragraphen zeigt schnell, warum ein Einspruch wenig versöhnlich und aussichtsreich klingt: "Über den Einspruch entscheidet der Parteivorstand."
5. Wie zentralistisch ist das BSW generell?
"Im Prinzip hat Sahra Wagenknecht eine klar autoritäre Struktur etabliert", sagte der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke dem MDR bereits vergangene Woche. Das BSW bezeichnete er als Kaderpartei - die Mitgliederaufnahme als "heftiges Screening".
"Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also top-down." So etwas gebe es in Deutschland sonst gar nicht - man wolle offenbar bislang auch keine regionale Verwurzelung, so Lembcke.
Klare Handschrift der BSW-Spitze bei Parteitagen
Bemerkenswert anders ist auch, wie das BSW seine Parteitage durchführt, wie den am 23. November. Dem Bundesvorstand wird laut Satzung viel Macht eingeräumt bei der Planung und Durchführung der Parteitage. Um zum Beispiel einen Antrag einzubringen, müssen sich immerhin 15 Mitglieder zusammentun. Auch entscheidet der Bundesvorstand über die Form des Parteitags. Die Satzung regelt außerdem, dass nur einen Monat vor dem Treffen die Einladung rausgeschickt werden muss.
Bei der SPD beispielsweise ist die Vorlaufszeit mit drei Monaten deutlich länger. Damit haben auch Arbeitsgruppen oder Themenforen Zeit, Anträge mit einer Frist von zwei Monaten vorher einzubringen. Auch vor Ort können Sachanträge beim Parteitag von Einzelpersonen eingebracht werden.
Mitarbeit: Lars Sänger, Andreas Kehrer, Lukas Schliepkorte
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: Das Erste | Tagesschau24 | 04. November 2024 | 14:00 Uhr
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