Trotz Schutzmaßnahmen Immer mehr Wolfsrisse in Sachsen gemeldet
Hauptinhalt
30. November 2022, 12:22 Uhr
Seit der Wolf vor mehr als 20 Jahren nach Deutschland zurückgekehrt ist, scheidet er die Gemüter. Leistet er für die einen einen wichtigen Beitrag zum Arten- und Naturschutz, ist er für die anderen ein Dorn im Auge. Besonders betroffen von seiner Rückkehr sind Nutztierhalter in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Deren Tiere fallen vermehrt Wolfsrissen zum Opfer. Dabei werden die Wölfe immer kreativer um an ihre "Beute" zu kommen, wie ein Fall aus Löbau zeigt.
- Bereits seit Oktober 2022 mehr Schadensfälle als im gesamten Vorjahr registriert.
- Im Raum Löbau gab es vermehrt Wolfrisse. Allein ein Gehege wurde in fünf Fällen von einem kletternden Wolf attackiert.
- Wolfsrudel breiten sich in Sachsen aus.
- Die Fachstelle Wolf rät Tierhaltern, mit Schutzzäunen vorzusorgen.
Die Zahl der Angriffe von Wölfen auf Nutztiere in Sachsen ist weiter gestiegen. Wie das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie mitteilte, wurden bis Anfang Oktober 178 Schadensfälle mit 586 getöteten, verletzten oder vermissten Nutztieren gemeldet. Im gesamten Vorjahr waren es 164 Meldungen mit 383 geschädigten Tieren. Grund für den Anstieg sei die deutliche Zunahme von Wolfsrissen in Ostsachsen bei Löbau, Görlitz und Weißenberg mit allein 200 Tieren. Das entspreche einer Verdreifachung der Fallzahlen in dieser Region im Vergleich zum Vorjahr. Dabei hätten einzelne Wölfe offenbar gelernt Schutzmaßnahmen wie hohe Zäune mit Untergrabschutz oder mobile Elektrozäune zu überwinden. Selbst Herdenschutzhunde konnten demnach Übergriffe nicht verhindern.
Wolf erklettert sich Zugang zu Damwildgehege
Das Damwildgehege von Ralf Nahrstedt im Löbauer Ortsteil Krappe hatte im vergangenen Monat gleich fünf Angriffe von Wölfen gemeldet. Dabei waren 19 Tiere getötet worden. Nahrstedt war anfangs verwundert, wie es der Wolf es in sein Gehege geschafft hat, trotz fast zwei Meter hoher Zäune und sogenanntem "Untergrabschutz".
Ich konnte es erst einmal nicht glauben, dass der Wolf es ins Gehege geschafft hat. Mittlerweile wissen wir, dass er klettert.
Rolf Nahrstedt ist der Meinung, dass in der Region zu viele Wölfe leben. Um herauszufinden wo genau der Wolf in das Gehege gekommen beziehungsweise geklettert ist, hat Nahrstedt Kameras aufgestellt. Auch Patrick Irmer von der Fachstelle beim Landesumweltamt Sachsen ist verwundert über die Klettereinlage. So etwas gehöre seiner Meinung nach per se nicht zum natürlichen Verhalten eines Wolfes, könne aber durch Lerneffekte provoziert werden.
Wir nehmen die Situation sehr ernst, weshalb wir die Monitoring-Maßnahmen jetzt auch dahingehend verstärkt haben, dass wir auch durch Videokameras eine stärkere Überwachung vor Ort haben.
Einen Grund für die Kletteraktion des Wolfes sieht der Experte darin, dass das Raubtier im Wald nicht mehr genügend Nahrung findet. So werde er kreativ und lerne neue Verhaltensweisen, um an Futter zu kommen.
Jäger beobachten: Weniger Rehe und Notgemeinschaften
Der 74 Jahre alte Gotthard Jaeschke ist seit seiner Jugend als Jäger in der Lausitz auf der Pirsch und auch er meint: "Der Wolf findet in freier Wildbahn immer weniger zu fressen. Wir haben vier Hasenjagden im Jahr gehabt und jede Strecke brachte ohne Probleme bis zu 80, 90 Hasen und so um die 70 bis 80 Stück Rehwild. Doch heute? Nichts mehr."
Ein Jägerkollege will bei Rehen eine Veränderungen festgestellt haben, seitdem der Wolf wieder heimisch ist: "Sie bilden in der Oberlausitz sogenannten Notgemeinschaften. Ungewöhnlich viele Tieren tun sich zusammen, damit immer einige in alle Richtungen äugen können und so die Gemeinschaft schützen", beschreibt der Jäger Wolfgang KIeßlich aus Eibau seine Beobachtungen. Wie nahe Wölfe dem Menschen kommen können, hat Hans-Dietmar Dohrmann in seinem Revier erlebt. Der Ex-Bürgermeister von Rothenburg saß in einer Schneise auf einem kleinen Hocker an, als sich ihm ein neugieriger Wolf bis auf wenige Schritte genähert habe.
Zurück zum aktuellen Fall: Das Landratsamt in Görlitz geht bei Nahrstedts Angriffen von einem einzelnen Wolf aus, der das Klettern für sich entdeckt hat. Das Amt sehe in dem Fall dringenden Handlungsbedarf, bis hin zu einer sogenannten "Entnahme eines Wolfes". Dabei wird das Tier vergrämt oder getötet. Wölfe unterliegen einem besonderen Schutz durch deutsches, europäisches und internationales Recht.
Zahl der Wolfsrudel in Sachsen und Deutschland steigt
Die Zahl der in Sachsen lebenden Wolfsrudel ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Wie das Bundesamt für Naturschutz und die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf mitteilte, wurden im Beobachtungsjahr 2021/2022 insgesamt 31 Wolfsrudel, vier Wolfspaare und ein Einzeltier in Sachsen gezählt. Demnach lebten im vergangenen Jahr nur 29 Wolfsrudel und damit zwei Wolfsrudel weniger in Sachsen.
Seit seiner Rückkehr im Jahr 1998 breitet sich der Wolf in der gesamten Bundesrepublik immer weiter aus. Vom 1. Mai 2021 bis zum 30. April 2022 stieg die amtlich bestätigte Zahl der Wolfsrudel in Deutschland von 158 auf 161. Zusätzlich wurden 43 Wolfspaare und 21 sesshafte Einzelwölfe bestätigt. In Brandenburg wurden im deutschlandweiten Vergleich die meisten Wolfsrudel (47) nachgewiesen. In Sachsen-Anhalt zählten die Experten 24 und in Thüringen ein Wolfsrudel.
Sachsen finanziert Herdenschutz
Die Fachstelle Wolf rät betroffenen Tierhaltern in der Region zu erhöhter Aufmerksamkeit und zur Vorsorge hinsichtlich der Schutzmaßnahmen für ihre Tiere. Wer Unterstützung brauche, könne jederzeit eine kostenlose Herdenschutzberatung in Anspruch nehmen. Zudem bittet die Fachstelle Wolf, Risse über die 24-Stunden-Hotline 0800 555 0 666 zu melden. Sachsen fördert Vorrichtungen gegen Wölfe, die dem Schutz von Schafen, Ziegen sowie Gehege- oder Damwild dienen, zu 100 Prozent.
MDR (koh, uwa)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | im Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 29. November 2022 | 16:30 Uhr