Mehr direkte Demokratie Entwurf zur Verfassungsänderung für Sachsen steht
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03. November 2023, 19:55 Uhr
Sachsens Regierungsparteien haben sich auf einen Vorschlag zur Verfassungsänderung geeinigt. Damit würden sie eine für gescheitert gehaltene Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag erfüllen. Voraussetzung wäre aber: Der Entwurf schafft es noch vor den Landtagswahlen im Herbst 2024 durchs Parlament.
Es wäre erst das zweite Mal in der 31 Jahre währenden Geschichte der sächsischen Verfassung: Die Regierungsparteien im Freistaat wollen noch vor der Landtagswahl im kommenden Jahr eine Verfassungsänderung durchsetzen. Zuerst hatte darüber die Zeitung "Freie Presse" berichtet. Insgesamt acht Neuerungen sollen unter anderem mehr direkte Demokratie ermöglichen, lobt sich die Koalition aus CDU, Grünen und SPD auf Anfrage von MDR SACHSEN.
Der ganz große Wurf sei der Vorschlag aber nicht, meint die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Sabine Friedel: "Die Vorstellungen der drei Koalitionspartner sind einfach sehr weit auseinander. Aber wir haben etwas sehr Vernünftiges gemacht: Wir haben gesagt, wir sprechen erstmal nur über das, worüber wir uns einig sind. Das ist vor allem das Thema direkte Demokratie."
Niedrigere Quoren
Konkret bedeutet das: Die Hürden der Volksgesetzgebung sollen sinken. Laut Vorschlag würden die nötigen Unterschriften für Volksanträge und Volksbegehren in etwa halbiert werden. Bisher schreibt die Verfassung für einen Volksantrag 40.000 Unterschriften vor. Dieses Quorum ist deutlich zu hoch, findet der parlamentarische Geschäftsführer der sächsischen Grünen, Valentin Lippmann. "Wir haben in der Verfassung Fixzahlen stehen, das heißt, wenn die Bevölkerung schrumpft, steigt das Quorum automatisch. Weil da eine feste Anzahl von Personen und keine Quote drinsteht. Das ist absonderlich und das wollen wir ändern, damit immer der gleiche Teil relativ zur Bevölkerung ein entsprechendes Volksbegehren einleiten kann."
Künftig müssten laut Entwurf nur 0,6 Prozent der Stimmberechtigten in Sachsen für einen Volksantrag unterschreiben, damit sich der Sächsische Landtag mit dem Anliegen befassen muss. Aktuell entspräche das knapp 20.000 Menschen. Für ein Volksbegehren wären es Unterschriften von sechs Prozent der Stimmberechtigten, also etwa 200.000 anstatt der bisherigen 450.000 Befürworterinnen und Befürworter.
Möglichkeit zur Volksklage
Die wohl größte vorgesehene Neuerung wäre die sogenannte Volksklage. Ein ähnliches Konzept gibt es bereits im Bundesland Hessen. Demnach könnte die Bevölkerung vom Landtag verabschiedete Gesetze vor dem sächsischen Verfassungsgerichtshof anfechten. Auch hierfür sollen Unterschriften von 0,6 Prozent der Stimmberechtigten nötig sein.
Die Hürden seien damit relativ niedrig, urteilt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Sören Voigt. Für ihn passe die Idee "sehr in die Zeit". Und: "Noch mehr darauf zu hören, was die Bevölkerung auch in gesetzlichen Verfahren bewegt. Und dass man die Möglichkeit bietet, relativ einfach auf ein vom Landtag beschlossenes Gesetz in der Form zu reagieren. dass man es vor dem Gericht auch überprüfen lassen kann"
Dieser Weg ist bisher allein den Landtags-Fraktionen vorbehalten.
Bestimmung von Verfassungsrichtern
Sorgen vor einer Überlastung des Gerichts haben die Koalitionsparteien nach eigener Aussage nicht. Zumal die angestrebte Verfassungsänderung auch die Bestimmung von neuen Verfassungsrichtern im Landtag erleichtern soll. Statt einer absoluten Zweidrittel-Mehrheit soll laut Entwurf nur noch eine einfache Zweidrittel-Mehrheit nötig sein. Der Unterschied ist größer als er zunächst klingt: Bisher müssen zwei Drittel aller Abgeordneten im Landtag zustimmen. Das ist die absolute Mehrheit. Künftig wären es nur noch zwei Drittel der – Achtung – während der Wahl im Sächsischen Landtag anwesenden Abgeordneten.
Weitere Themen der geplanten Verfassungsänderung sind der Klimaschutz, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und der Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierung. Alle drei Positionen sollen in der Verfassung verankert werden.
Hürden für die Verfassungsänderung
Das Vorhaben, die Verfassung zu ändern, geht noch auf den Koalitionsvertrag von 2019 zurück. Noch ist die geplante Verfassungsänderung nicht in trockenen Tüchern. Die letzte planmäßige Sitzung des Landtags vor den Wahlen im September 2024 ist für Mitte Juni angesetzt. Spätestens dann muss der Entwurf diskutiert und verabschiedet werden.
Außerdem wäre auch dafür eine absolute Zweidrittelmehrheit nötig - die Zahl der Abgeordneten der Koalitionspartner reicht in dem Fall nicht aus. Eine Verfassungsänderung ist also nur mit der Unterstützung der AfD oder der Linken möglich. Bisher blieben aber beide Oppositionsparteien bei den Verhandlungen außen vor.
Übrigens kam die bisher einzige durchgesetzte Verfassungsänderung im Jahr 2013: Damals hatte der Landtag die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen. An ihr wird im aktuellen Änderungsvorschlag nach langem Ringen nicht gerüttelt.
MDR (kk)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 03. November 2023 | 19:00 Uhr