
Reaktionen auf Kultusvorschläge "Spaltpilz", "Schlag ins Gesicht": Lehrer und Eltern kritisieren Pläne gegen Stundenausfall
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13. März 2025, 17:59 Uhr
Sachsen fehlen 1.400 Lehrerinnen und Lehrer an Schulen. Weil die Lücken nicht so schnell zu schließen sind, soll nun das Arbeitsvermögen der Lehrer, die da sind, effizienter genutzt werden. Dafür hat das Kultusministerium Vorschläge gemacht. Es soll weniger Abordnungen in die Schulverwaltungen geben, dafür mehr an Oberschulen, weniger Klausuren, weniger Abminderungsstunden und Änderungen für ältere Lehrer. Viele reagieren darauf frustriert und empört. Lehrer und Eltern machen Gegenvorschläge.
- Lehrer und Schulleiter kritisieren Vorschläge, die zu Lasten älterer Kollegen gehen.
- Verbände und GEW sprechen empört von "schwerem Angriff".
- Arbeitgeberpräsident sieht auch Familien in der Pflicht und verlangt Bürokratieabbau für Schulen.
Sachsens Kultusministerium will den Unterrichtsausfall halbieren und mehr Lehrer in den Klassen unterrichten lassen. Dafür hat das Kultus 21 Schritte vorgeschlagen, die ab nächstem Schuljahr gelten könnten. Beschlossen werden sollen sie Ende Mai.
Alles reduzieren, was nicht unmittelbar dem Unterricht dient
Vorgesehen ist unter anderem mehr Unterricht in digitalen Formaten und mehr fächerübergreifender Unterricht. Um den Korrekturaufwand zu senken, soll es weniger Klausuren und Klassenarbeiten geben. Oberschulen im Freistaat sollen personell verstärkt werden, indem deutlich mehr Grundschul- und Gymnasiallehrer an Oberschulen abgeordnet werden. Um größere fachliche Kapazitäten für den Unterricht zu haben, sollen die Altersermäßigungen für Lehrerinnen und Lehrer erst im 63. Lebensjahr greifen. Alle Tätigkeiten, die nicht unmittelbar dem Unterricht dienen, werden laut den Vorschlägen reduziert oder gestrichen.
So wie es jetzt ist, darf es nicht weitergehen.
Lehrer: Pläne für Kollegen über 50 Jahren "hart"
"Die Vorschläge des Ministeriums treffen verantwortungsvolle, engagierte Lehrkräfte am Gymnasium hart. Sie unterrichten meist im Kurssystem, sind häufig über 50 Jahre alt und teilweise auch in der Lehramtsausbildung oder als Fachberater tätig", schreibt Gymnasiallehrer Andreas Roschlau MDR SACHSEN aus Markranstädt.
Ines Hermann aus Dresden wird deutlicher: "Bei allem Verständnis für die schwierige Situation kann es nicht sein, dass gerade die älteren Lehrer (ab 58) wieder benachteiligt werden und es eine Abminderungsstunde erst ab 63 Jahren geben soll."
Ich sehe kritisch, dass die Einsparpotenziale gesehen werden auf dem Rücken der älteren Kolleginnen und Kollegen, die seit vielen Jahrzehnten tätig sind und ihr Bestes geben.
Lehrerverband: "Drastische Einschnitte auf Rücken der Lehrkräfte"
Zu den 21 Vorschlägen hat der Landesvorsitzende des Lehrerverbandes, Michael Jung, eine klare Meinung: "Erneut werden die Stellschrauben angezogen, ohne die eigentlichen Probleme zu lösen. Jahrzehntelange Versäumnisse und das kurzfristige Denken in Legislaturperioden führen jetzt wieder zu drastischen Einschnitten für das schulische Personal." Statt zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln, würden die Lasten einmal mehr auf dem Rücken der Lehrkräfte abgeladen.
Ich weiß nicht, woher Herr Clemens sein Wissen über Schulen bezieht, aber seine Vorschläge verschärfen die Probleme und bestrafen die, die gesundheitlich stark belastet, ihr Bestes für die Kinder geben.
Das sieht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auch so. GEW-Chef Burkhard Naumann spricht von einem "schweren Angriff" auf die Lehrkräfte. "An vielen Stellen trifft es ausgerechnet die älteren Kolleginnen und Kollegen, die seit vielen Jahren die politischen Fehler des CDU-geführten Kultusministeriums ausbaden müssen."
Ich finde die Maßnahmen gut, manchmal hart aber zwingend notwendig und hoffentlich bringen sie in unseren Schulen eine Verbesserung der Unterrichtsversorgung, des Schulklimas. Das kommt ja wieder allen zugute.
Weitere Stimmen und Vorschläge zur Abhilfe (zum Aufklappen)
- Michael Heisler aus Leipzig schreibt MDR SACHSEN: "Das Dramatischste an der Situation ist, dass die offizielle Zahl von 1.400 fehlenden Lehrkräften mit ziemlicher Sicherheit nicht ausreicht. (...) Mich wundert nur, dass es noch keinen Vorschlag gibt, die Klassenstärke wieder auf 40 Lernende hochzufahren. Aber dazu müsste ja die Infrastruktur geändert werden."
- Lehramtsstudentin aus Leipzig via Instagram "Vielleicht mal lieber die Studis an den Unis fragen, welche Neuerungen in der Ausbildung angestrebt werden müssen, anstatt den Lehrkräften ihren Beruf unattraktaktiver zu machen."
- Tobias Stankewitz, Gymnasiallehrer aus Dresden: "Wie kann man als Minister so viel Zeit in Schulen verbringen und dann diese Änderungen vorschlagen? Wäre es ein Praktikumsbericht, wäre der Verfasser mangels Realitätsbezug und Logik durchgefallen. Am schlimmsten finde ich, dass durch die krasse Kürzung der Abminderungsstunden ein Spaltpilz in die Schulen getragen wird, der jedes Kollegium vergiften wird."
- Rebecca L. via Instagram: "Ein-Fach-Lehrkräfte würden sehr viel Sinn ergeben! Ich arbeite ausschließlich als Musiklehrerin an einer Oberschule, unterrichte alle Klassen. Gerade Studierende und arbeitssuchende Absolventen könnten super die Lücke füllen. Das würde evtl. auch das Verständnis für den Beruf und den aktuellen Zustand der Gesellschaft verbessern."
- Erzieherin Uli: "Sinnvoll z.B. an Grundschulen wäre es, Lehrer und Erzieher zusammen in den Unterricht zu schicken. Zwei Menschen, die die Kinder supergut kennen, arbeiten Hand in Hand. (...) Auch an der Schule, an der ich Erzieherin bin, arbeiten wir sehr eng und gut zusammen, aber wenn ich im Unterricht dabei bin, ist es oft meine 'Freizeit' und andere Sachen bleiben liegen."
- An. N. via Instagram: "Andere pädagogische Abschlüsse akzeptieren. Ich könnte mit meiner Qualifikation Sport in Grundschulen unterrichten, wird aber leider nicht anerkannt."
Lehrer: Vorschläge sind "Schlag ins Gesicht"
Martin Jahn aus Johnsdorf findet den Wegfall der Altersabminderungsstunden "hart". Er sieht darin ein Zeichen "der mangelnden Anerkennung der jahrelangen Berufspraxis", was "einzelne sehr persönlich trifft. Zusätzlich fehlt dann im Kollegium die Expertise und der Weitblick dieser erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, da sie nur damit beschäftigt sind durchzuhalten. Leider ein fatales Signal für alle, die in dem Beruf alt werden wollen."
Die Maßnahmen, die Clemens nun vorschlägt, sind ein verbaler Schlag ins Gesicht der Lehrer:innen in Sachsen, die ohnehin schon ihr Möglichstes tun, um die Schulen vor einem Kollaps zu bewahren.
"Ich stimme zu, dass es in den Ämtern Lehrer gibt, die besser in der Schule sein könnten. Aber sind es dann wirklich gute Lehrer?", fragt sich eine Lehrerin aus Mittelsachsen. Und: "Wer will bitte noch Fachberater werden, wenn es noch weniger Stunden dafür gibt. Hier wird an der falschen Stelle gespart!"
Praktische Gegenvorschläge
Annett Brückner aus Groitzsch hat mehrere Gegenvorschläge gemailt: "Praktika der Lehramtsstudenten auf acht bis zwölf Wochen erweitern. Denkbar wäre ein wöchentlicher Praktikumstag in Präsenz in einer Schule/Klasse. So können diese nach Einarbeitung den Unterricht begleiten und Lehrer und Schüler aktiv unterstützen. Am Ende der Ausbildung würde ein Jahr Referendariat ausreichen." Zudem müsste ihrer Meinung nach die Unterstützung durch FSJ, Schulsozialarbeit und Assistenten erweitert werden. Schulassistenten müssten auf die Unterstützung in der Schule vorbereitet werden und "nicht einfach weitere Aufgaben übernehmen müssen." Fürs flexible Budget bei Ganztagsangeboten sollte es einen eigenen "Geldtopf" geben.
Mutter nennt Vorschläge "Aktionismus"
Für eine Mutter zweier Teenager aus dem Raum Leipzig werden die "beschriebenen Maßnahmen auch nicht ändern, dass wir als Eltern die Lehrpläne prüfen, Dinge nachholen, die nicht oder nicht hinreichend vermittelt wurden. Wir zahlen extra privat für Unterricht, der hätte gehalten werden müssen. Wir holen immer noch Stoff aus Corona auf", kritisiert sie. In ihrer Mail an MDR SACHSEN nennt sie die Vorschläge "Aktionismus". Und sie ärgert sich, dass sich die Stundenpläne täglich ändern würden. "Das macht die Kinder, Eltern und auch die Lehrer kaputt. Wie soll da guter Unterricht stattfinden?"
Über ein, zwei Punkte könnten wir ernsthaft diskutieren, der Rest ist einfach lächerlich und sorgt dafür, dass Qualität und Quantität von Bildung weiter den Bach herunter gehen. Wenn ich nicht bereit bin, in die Zukunft zu investieren, habe ich als Kultusministerium meinen Job nicht verstanden.
"Um den Korrekturaufwand und den Leistungsdruck zu senken, sollten nicht die Klausuren gestrichen werden, sondern mal grundsätzlich über den Lehrplan geschaut werden, ob das alles noch sinnvoll ist", findet Cindy Rasokat aus Dresden. Und: "Wenn die Angst so groß ist, dass die Lehrer Sachsen verlassen, sollte sich das Land mal stark dafür machen, dass Schulbildung Bundessache wird und nicht jedes Bundesland vor sich hinkleckert."
Elternstimmen mit weiteren Vorschlägen zur Abhilfe (zum Ausklappen)
- Steffi Erdmann aus Dingelstädt: "Es sollte sich grundsätzlich etwas ändern. Hauswirtschaft, Sport, Musik, Religion und Ethik sollten abgeschafft werden. Dafür sollte sich mehr um die prüfungstelevanten Fächer wie Deutsch Mathematik, Englisch ,Physik und Chemie gekümmert werden."
- Ilka R. schreibt an MDR SACHSEN: "Weniger sinnlose Inhalte in lebensnäheren Lehrplänen, mehr Plädoyer für pädagogische Verantwortung für Eltern, die gern alles an die Schulen delegieren."
- Julie Wiegand aus Leipzig: "Meiner Meinung nach sollte man noch viel stärker auf externe Lösungen setzen, um den Unterrichtsausfall zu lindern. Es gibt bereits Initiativen, die unterstützen können – zum Beispiel LifeTeachUs. Dort bringen ehrenamtliche Menschen aus der Praxis ihr Lebenswissen direkt in die Schulen ein, sei es zu Themen wie Unternehmertum, Finanzbildung oder Sozialkompetenzen."
- Conny via Instagram: "Bin selbst kein Lehrer, habe aber Kinder und ziehe meinen Hut vor dem Job - immer in Präsenz sein ist wahnsinnig anstrengend. Es würde mich nicht wundern, wenn Leute vermehrt das Handtuch schmeißen."
Arbeitgeberchef sieht auch Elternhäuser in der Pflicht
Der sächsische Arbeitgeberpräsident Jörg Brückner findet, es müsse "oberstes politisches Ziel sein, Lehrer vor die Schulklassen zu bringen". Vorfahrt für Lehrer heißt für ihn, dass auch "ein Heer von Sozialpädagogen oder multiprofessionellen Teams gut ausgebildete Lehrkräfte nicht ersetzen" könne.
Die Bedingungen seien so anzupassen, "dass das Arbeitsvermögen der Lehrer stärker als bisher in die Unterrichtsversorgung fließt", so Brückner. Abordnungen in die Schulverwaltung und schulbezogene Anrechnungsstunden sollten schulartübergreifend verringert und dafür Anreize geschaffen werden, "damit mehr Lehrkräfte in Vollzeit arbeiten oder ihre Arbeitszeit ausweiten".
Lehrern und Schulleitern gebührt mehr Achtung – ihr Status als Respektspersonen darf nicht weiter erodieren. Zudem muss der bürokratische Ballast weg, der Schulen zunehmend zu Verwaltungsbehörden macht.
Gleichzeitig sollten Schulen nicht "als gesellschaftlicher Reparaturbetrieb all das heilen" müssen, "was in manchen Elternhäusern unterbleibt." Stattdessen muss laut Brückner die Eigenverantwortung der Familien gestärkt und Lehrern und Schulleitern mit mehr Achtung begegnet werden.
Politische Reaktionen
Aus Sicht der Linken im Landtag schlägt das Kultusministerium viele richtige Schritte vor. Bei anderen gebe es aber Diskussionsbedarf, sagt die Linken-Abgeordnete Luise Neuhaus-Wartenberg. Es sei unverständlich, dass die Staatsregierung die Integration von Kindern mit Migrationsgeschichte erschweren wolle.
Die Grünen sehen Licht und Schatten. "Die Lehrkräfte sollen weiterhin die verfehlte Bildungspolitik der CDU ausbaden. Die Devise sollte aber sein: Mehr Unterstützung statt mehr Druck", betont Bildungspolitikerin Christin Melcher (Grüne). Die SPD-Fraktion kündigt eine Prüfung der Vorschläge an.
Lehrer sollen Verständnis entwickeln für die eine desaströse Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte. Genau mein Humor...
MDR (kk)/dpa/epd
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 12. März 2025 | 06:00 Uhr
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