Kommunalwahlen in Sachsen Nur ein Name auf dem Stimmzettel: Fehlende Bewerber bei Bürgermeisterwahlen
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30. Mai 2022, 18:30 Uhr
Am 12. Juni finden in 184 sächsischen Städten und Gemeinden Bürgermeisterwahlen statt. In 72 Städten und Gemeinden gibt es jeweils nur einen Bewerber beziehungsweise eine Bewerberin. In 61 von 72 Fällen tritt dabei der Amtsinhaber beziehungsweise die Amtsinhaberin wieder zur Wahl an. Doch warum ist das so?
Thomas Kunack ist seit sieben Jahren Bürgermeister von Bad Schandau. Für ihn ist der diesjährige Wahlkampf für seine Wiederwahl eine ungewohnte Situation, denn er wird der einzige sein, der auf dem Stimmzettel steht.
Wahlkampf ohne Plakate
"Es ist anders als ein normaler Wahlkampf", sagt Kunack. Er habe aber trotzdem Veranstaltungen in den einzelnen Stadtteilen geplant. "Ich möchte meine neuen Pläne erklären und mit den Menschen ins Gespräch kommen", sagt er. Auf Wahlplakate wird er allerdings verzichten. "Das sind Ressourcen, die nicht unnötig produziert und weggeworfen werden müssen", so Kunack.
Seine Wiederwahl ist ihm sicher. Trotzdem hofft Kunack auf eine hohe Wahlbeteiligung. "Es ist auch eine Art Selbstreflektion", sagt er. "Wieviel Rückhalt habe ich wirklich unter den Bürgern?" Deswegen sei es wichtig, dass die Einwohnerinnen und Einwohner von Bad Schandau aktiv entscheiden.
"Zum Bürgermeister muss man sich berufen fühlen"
Doch warum tritt niemand gegen Kunack an? "Vielleicht habe ich in meiner Amtszeit nicht so viel falsch gemacht", mutmaßt er schmunzelnd. Bürgermeister sei kein normaler Job. Man müsse sich dazu berufen fühlen. "Man hat viel Verantwortung und ist auch Dienstherr einer Behörde", so Kunack. Dazu komme, dass es in vielen Gemeinden ein Ehrenamt sei und damit schwer mit einem Beruf vereinbar. "Man sollte wissen, worauf man sich einlässt", sagt er. Die Familie müsse die Entscheidung mittragen. "Man hat keine normalen Arbeitszeiten und man steht auch ganz anders in der Öffentlichkeit."
Anfeindungen gegen Bürgermeister steigen
Arndt Leininger, Inhaber der Juniorprofessur Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden an der TU Chemnitz, sieht ebenfalls das Ehrenamt als einen der Gründe für die wenigen Bewerber. "Die Aufwandsentschädigung steht in keinem Verhältnis", sagt er. Es gebe bereits eine politische Debatte um die Einführung hauptamtlicher Bürgermeister. "Aber es ist ein großer Kostenpunkt für die Gemeinden", sagt Leininger. Dort sieht er einen möglichen Ansatzpunkt für Subventionen vom Land.
Zudem gebe es vermehrt Klagen von Bürgermeistern, dass die Anfeindungen gestiegen seien. "Das macht ein Ehrenamt nicht attraktiver", so Leininger. "In kleinen Gemeinden sind solche Anfeindungen noch bedrohlicher."
Leere Zeile auf dem Stimmzettel
- Der Stimmzettel muss die Bezeichnungen und die Bewerber der zugelassenen Wahlvorschläge enthalten.
- Ist nur ein Wahlvorschlag zugelassen worden, muss der Stimmzettel neben Bezeichnung und dem Bewerber dieses Wahlvorschlags eine freie Zeile enthalten.
- Ist kein Wahlvorschlag zugelassen worden, muss der Stimmzettel eine freie Zeile enthalten.
- Die freie Zeile ist für Vorschläge der Wähler gedacht. Hier kann eine wählbare Person eingetragen werden.
Demografische Entwicklung macht Kandidatensuche schwerer
Ein weiterer Grund für die wenigen Kandidierenden sei die demografische Entwicklung. "Der Pool möglicher Kandidierender wird durch Wegzug und Alterung kleiner", sagt Leininger. Deswegen müssten die Kommunen darüber nachdenken, wie junge Leute zurückgeholt werden könnten. Dazu komme, dass Frauen oft nicht für ein Amt kandidieren würden. "Das Personalproblem könnte auch eine Chance sein", sagt Leininger. "Der Druck auf die Gemeindestrukturen wird erhöht, dass sie offener werden und Frauen mehr einbeziehen."
Schwere Entscheidung bei vielen Kandidaten
Doch nicht nur in kleinen Kommunen findet sich nur jeweils ein Kandidat auf dem Stimmzettel. Auch bei der Oberbürgermeisterwahl in Mittweida steht nur der Amtsinhaber Ralf Schreiber (CDU) zur Wiederwahl. "Ich wusste gar nicht, dass gewählt wird", sagt eine ältere Frau auf der Straße. "Aber wenn es nur einen Kandidaten gibt, dann wählen wir den oder eben nicht", sagt sie. Wenn es viele Kandidierende geben würde, würde ihr eine Entscheidung schwer fallen.
Ein 22 Jahre alter Student sieht das etwas kritischer. "Wählen ist wichtig", sagt er. "Aber eigentlich ist es sinnfrei, wenn nur eine Person draufsteht." Trotzdem ergebe sich am Ende zumindest ein Stimmungsbild. "Aber wenn es keiner machen will, gibt es eben keinen anderen Kandidaten", so der 22-Jährige. "Man kann es ja auch nur falsch machen, bei so vielen Interessengruppen", sagt er. Er würde selbst auch nicht antreten wollen.
Doch warum haben die Parteien, die im Stadtrat von Mittweida sitzen, keinen eigenen Kandidaten aufgestellt? Zum einen scheinen sie sich einig zu sein, dass sie mit dem amtierenden Oberbürgermeister bislang gut zusammenarbeiten. Das gaben die FDP, die Grünen und die AfD auf Anfrage von MDR SACHSEN an.
Fachkräftemangel auch bei Bürgermeisterwahlen
"Es fehlt überall an Fachkräften", sagt Frank Böttger, der für die FDP im Stadtrat von Mittweida sitzt. "Das wirkt sich auch auf die Bürgermeisterwahl aus. Es braucht Vorkenntnisse." Die FDP wolle sich auf die Kommunalwahlen 2024 konzentrieren und sich kontinuierlich weiterentwickeln. Eine geeignete Person, um für die Oberbürgermeisterwahl zu kandidieren, habe sich nicht gefunden.
"Eine Wahl ohne Gegenkandidaten ist im Grunde keine Wahl"
Ähnlich sieht es in der Fraktion der AfD aus. "Ein potenzieller Bewerber mit enger Bindung an Mittweida außerhalb unserer Fraktion hat sich nicht aufgezeigt", gab die Fraktion auf Anfrage von MDR SACHSEN an. Jemand aus der Fraktion sei nicht in Frage gekommen, da die Fraktion sonst ein Mitglied verloren hätte. Ein Nachrücker stände nicht mehr zur Verfügung. "Eine Wahl ohne Gegenkandidaten ist im Grunde keine Wahl", gibt die Fraktion aber zu bedenken. "Hier wird sich im Zuge der Wahlbeteiligung zeigen, auf wie viel Zustimmung der Bürger Amtsinhaber Ralf Schreiber setzen kann."
Jeder kann sich bewerben
Auch bei den Grünen habe sich kein geeigneter Kandidat gefunden. Die Partei habe im ländlichen Raum keinen großen Rückhalt und daher auch wenig Aktive, so Grünen-Stadtrat Klaus Geweniger. Doch auch bei nur einem Bewerber hätten die Einwohner eine Wahl: "Bei nur einem Wahlvorschlag kann man den Namen einer wählbaren Person auf den Wahlzettel schreiben", so Geweniger. "Gerne stelle ich dafür meinen zur Verfügung." Außerdem stehe es jedem frei, sich im Vorfeld der Wahl zu bewerben. "Ich ermuntere jeden, der mit der aktuellen Amtsführung unzufrieden ist und sich dieses Amt zutraut, dies zu tun", sagt Geweniger.
MDR (al)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 10. Mai 2022 | 19:00 Uhr