Eine Frau alleine in einer Kirche
Die ostdeutsche katholische Kirche will Fälle sexualisierter Gewalt aufarbeiten. Aus Sicht der Betroffenen geht es dabei aber trotz einer eigens eingesetzten Kommission nicht voran. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/photothek

Katholische Kirche in Sachsen Missbrauchsaufarbeitung: Betroffene fühlen sich übergangen und nicht ernst genommen

30. September 2024, 19:28 Uhr

Jahrzehnte lang wurden die Fälle sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche auch in Sachsen vertuscht – eine Kommission aus Staat und Bistümern soll die Taten seit knapp anderthalb Jahren untersuchen. Doch die Betroffenen fühlen sich weiter übergangen. Und eine wissenschaftliche Studie verzögert sich.

Michael Köst möchte Licht in das Dunkel bringen, das er in seiner Kirche erleben musste. Seit Mai 2023 arbeitet der Katholik aus Hainichen in einer Kommission der ostdeutschen Bistümer mit, die aufarbeiten soll, was er selbst erleiden musste: sexualisierte Gewalt in der Kirche. Fast anderthalb Jahre später ist der Jurist ernüchtert. "Die Aufarbeitungskommission hat weder ein offenes Ohr für die Betroffenen der Betroffeneninitiative, mit der wir gut zusammenarbeiten, noch haben wir den Eindruck, dass die Themen, die uns als Betroffene wichtig sind, tatsächlich Gehör finden."

Kommission sollte alles besser machen

Dabei sollte die Interdiözesane Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs (IKA) alles besser machen. Nach Jahrzehnten des Verschweigens endlich den Blick auf die Betroffenen, die Täter und die Strukturen des Vertuschens in der Kirche lenken. Auch der Staat beteiligt sich: Vier der zehn Fachleute in der ostdeutschen Kommission wurden von den Bundesländern entsandt, drei von den Bistümern. Die drei von den Betroffenenverbänden entsandten Mitglieder indes fühlen sich in der Aufarbeitungskommission immer wieder überstimmt.

"Es werden selbst einfache Anträge, wie zum Beispiel, dass Betroffenenthemen überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt werden, mit der Mehrheit der Nicht-Betroffenenvertreter abgelehnt", kritisiert die Chemnitzerin Sabine Otto. Sie arbeitet für den Betroffenenbeirat Ost in der Kommission mit. Dieses Vorgehen belegen auch Protokolle von Sitzungen, die dem MDR vorliegen.

Auch eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene hat die Aufarbeitungskommission bisher nicht eingerichtet und auch keinen Jahresbericht vorgelegt, obwohl ihr beides von den ostdeutschen Bischöfen auf die Aufgabenliste geschrieben worden war.

Sabine Otto vom Betroffenenbeirat Ost
Sabine Otto ist als Vertreterin der Betroffenen in der Aufarbeitungskommission. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Es werden selbst einfache Anträge, wie zum Beispiel, dass Betroffenenthemen überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt werden, mit der Mehrheit der Nicht-Betroffenenvertreter abgelehnt.

Sabine Otto Betroffenenbeirat Ost

Betroffene: Bischöfe versteckten sich hinter der Kommission

Mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit stoße die Kommission an Grenzen, räumt ihr Vorsitzender Andreas Hilliger ein: "Die IKA hat bisher darauf verzichtet, selbst als Ansprechstelle für Betroffene zu fungieren", antwortet der ehemalige Abteilungsleiter des Brandenburger Bildungsministeriums. "Die Kommission befasst sich eher mit System- und Strukturfragen und sieht ihren Schwerpunkt bisher nicht in der Schaffung von Nebenstrukturen zu bestehenden Hilfeangeboten."

Vertreter von Betroffenen kritisieren das scharf. "Die IKA blockt alles ab", sagt Ben, der als Mitglied der Betroffeneninitiative Ost nur seinen Vornamen nennen will, dem MDR. "Die Bischöfe, wie unser Bischof in Dresden-Meißen, verstecken sich dahinter und sagen: Die IKA kümmert sich. Die IKA macht aber gar nichts."

Die Bischöfe, wie unser Bischof in Dresden-Meißen, verstecken sich dahinter und sagen: Die IKA kümmert sich. Die IKA macht aber gar nichts.

Ben Betroffener

Es rumort in der Aufarbeitungskommission

Auch sonst ist viel Schweigen um die Arbeit der Aufarbeitungskommission. Die Präsidentin der sächsischen Landesdirektion, Regina Kraushaar, die vom Land Sachsen in die IKA entsandt wurde, lasse ihre Mitarbeit gerade aus "persönlichen Gründen ruhen", ließ sie mitteilen. Der vom Bistum Dresden-Meißen in die Kommission geschickte ehemalige sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl verwies auf MDR-Anfrage an den Vorsitzenden. Es rumort auch zwischen den IKA-Mitgliedern vernehmlich.

"Wir sehen es schon mit einer gewissen Besorgnis, wenn wir hören, dass es innerhalb der Kommission Unstimmigkeiten gibt", sagt Michael Baudisch, der Sprecher des Bistums Dresden-Meißen. "Aber wir achten es, dass es ein unabhängiges Gremium ist. Deshalb müssen diese Dinge innerhalb dieses Gremiums geklärt werden."

Aufarbeitung: Aufgabe des Bischofs

Dabei ist das Bistum selbst in der Pflicht zur Aufarbeitung. Allein im Bistum Dresden-Meißen sind 63 Betroffene bisher bekannt, 20 Priester sind beschuldigt. Die Aufarbeitung dieser Taten sei zuallererst Aufgabe des jeweiligen Bischofs, heißt es in der Ordnung der Kommission. "Damit wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass die IKA weder die Ressourcen noch die Gestaltungsbefugnisse hat, die Verantwortung für die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in den ostdeutschen Bistümern zu übernehmen", so der Kommissionsvorsitzende Andreas Hilliger dem MDR.

Studie verzögert sich weiter

Hinzu kommen Pannen. Etwa, als eine Betroffenenbeauftragte des Bistums Dresden-Meißen in wenigsten einem Fall Akten schreddern ließ. "Sie hat zum Ende ihrer Amtszeit mit Blick darauf, dass sie davon ausgegangen ist, dass sie die Unterlagen nicht mehr benötigt, und mit Blick auf Datenschutzfragen die Unterlagen vernichtet", erklärt der Sprecher des Bistums Dresden-Meißen, Michael Baudisch. "Es wurde seitens der Datenschutzbehörde bestätigt, dass das auch korrekt gewesen sei."

Für Betroffene indes ist das ein erneuter Grund für Misstrauen. "Das darf überhaupt nicht passieren, dass Akten von Betroffenen vernichtet werden. Denn sie dienen als Grundlage für die Aufarbeitung", kritisiert Michael Köst vom Betroffenenbeirat Ost.

Michael Köst vom Betroffenenbeirat Ost
Michael Köst ist von der Arbeit der Aufarbeitungskommission enttäuscht. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das darf überhaupt nicht passieren, dass Akten von Betroffenen vernichtet werden. Denn sie dienen als Grundlage für die Aufarbeitung.

Michael Köst Betroffenenbeirat Ost

Das wichtigste Ergebnis der bisherigen Arbeit der Aufarbeitungskommission: Ein Konzept für eine Studie, in der unabhängige Wissenschaftler das ganze Ausmaß der Taten untersuchen sollen. Maßgeblich erarbeitet von den Vertretern der Betroffenen in der IKA. Im Juni hat die Kommission diese Vorarbeit an das Erzbistum Berlin übergeben mit der Bitte, die Forschungsarbeit auszuschreiben. Doch auch das verzögert sich schon wieder.

"Diese Intransparenz und dieses Schweigen gegenüber einer Aufarbeitungskommission und den Betroffenen halten wir für unseriös", kritisiert die Chemnitzerin Sabine Otto. Die Hoffnung von Betroffenen wie ihr, dass es wirklich zu einer Aufarbeitung des Leides kommt, das ihnen angetan wurde – sie wird einmal mehr auf eine harte Probe gestellt.

MDR (vis)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 27. September 2024 | 19:00 Uhr

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