Aufarbeitung sexualisierter Gewalt Betroffener: In Sachsens Kirche sind Missbrauchsopfer die "Nestbeschmutzer"

30. April 2024, 06:11 Uhr

Auf der zur Zeit stattfindenden Landessynode der Evangelischen Landeskirche Sachsen (EVLKS) in Dresden haben Missbrauchsbetroffene der Landeskirche und deren Kirchgemeinden schwere Vorwürfe gemacht. Es fehlten Aufarbeitungswillen, Konzepte gegen Missbrauch junger Menschen, Ansprechpersonen und der Wille, Betroffene ernst zu nehmen. Stattdessen würden Betroffenen wie "Nestbeschmutzer" behandelt, kritisierte einer von ihnen.

Missbrauchsopfer haben der Evangelischen Landeskirche und ihren Gemeinden vorgeworfen, sexualisierte Gewalt durch Kirchenmitarbeiter nur halbherzig aufzuarbeiten. Bei der Frühjahrstagung der Synode in Dresden fielen deutliche Worte: Die Kirche verfolge die Aufarbeitung nur "unlustig und lauwarm" und wolle offenbar, dass nicht zu viel "hochkocht", sagte der Betriebswirt Jochen Heimann.

Er kritisierte, dass es in der Landeskirche zum Thema keine klare Aufgabenstellung, keine Terminleiste und keine klaren Zuständigkeiten gebe. Viele Kirchengemeinden hätten auch weiterhin kein Konzept zur Prävention sexualisierter Gewalt. Auch fehlten Vertrauenspersonen, an die sich Betroffene wenden könnten.

Opfer: Keine Kritik- und Fehlerkultur

Der 81 Jahre alte Heimann gehört zur sogenannten Ströer-Gruppe. Dabei geht es um mindestens 30 Missbrauchsfälle, für die der 2013 gestorbene Chemnitzer Jugendwart und Diakon Kurt Ströer (1921-2013) verantwortlich gemacht wird. Von 1956 an soll er 30 Jahre lang junge Menschen missbraucht haben. Die Betroffenen verlangen unter anderem für die Aufarbeitung auch die Stasi-Akten mit einzubeziehen. Zudem müssten Anerkennungsleistungen individuell geregelt werden und nicht "per Fragebogen und Pauschalvergütung".

Andere Betroffene wie der frühere Pfarrer in Chemnitz, Christoph Wohlgemuth, sprachen von einem Glaubwürdigkeitsproblem der Landeskirche, von fehlender Kritik- und Fehlerkultur und von einer innerkirchlichen "Wagenburg-Mentalität". Betroffene würden häufig wie "Nestbeschmutzer" behandelt und ihre Perspektive ignoriert.

Sexuelle Gewalt Symbolbild
Betroffene von sexualisierter Gewalt fühlen sich von der evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen nicht ernst genug genommen (Symbolfoto). Bildrechte: picture alliance/dpa | Ole Spata

Bischof wirbt um Mitarbeit der Betroffenen

Der sächsische Landesbischof Tobias Bilz betonte, dass es einheitliche Standards und zugleich das Eingehen auf individuelle Schicksale brauche. "Das Persönliche darf nicht hinten herunterfallen", sagte Bilz auf der Synode - das ist das Kirchenparlament, das aktuell in Dresden tagt. Der Bischof warb weiter um die Mitarbeit der Betroffenen: "Wir brauchen ihre Rückmeldungen, das hat uns immer weitergeholfen."

Personelle Aufstockung zur Aufarbeitung angekündigt

Der Präsident des Landeskirchenamtes Sachsen, Hans-Peter Vollbach, hat eine personelle Aufstockung für die Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt angekündigt. 2,5 Personalstellen seien für die Meldestelle und für die Geschäftsstelle der geplanten unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommission vorgesehen.

Studie offenbart Missbrauch auch in Evangelischer Kirche

Im Januar war die sogenannte ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vorgelegt worden. Im Bereich der sächsischen Landeskirche sind für den Zeitraum von 1946 bis heute 110 Betroffene sexualisierter Gewalt und 56 Beschuldigte bekannt. Insgesamt wurden bisher rund 630.000 Euro "Anerkennungsleistungen" an 55 Betroffene gezahlt.

  • Mehr Infos zur ForuM-Studie finden Sie hier.

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MDR (kk)/epd

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 29. April 2024 | 19:00 Uhr

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