Ausstellung zur Völkerfreundschaft Grassi Museum beleuchtet Hobby-Indianer in der DDR

von Wolfgang Schilling, MDR KULTUR

01. Dezember 2023, 16:20 Uhr

Darf man eigentlich noch Indianer sagen? Das ist eine Frage, die in der neu gestalteten Ausstellung zur Völkerfreundschaft des Grassi Museums für Völkerkunde in Leipzig gestellt wird. Darin verarbeitet das Museum seine kolonialistische Geschichte, zeigt Beninbronzen im queer-feministischen Kontext und macht Hobby-Indianer aus der DDR zum Ausstellungsgegenstand.

Die klassischen Völkerkundemuseen sind aus bekannten Gründen in die postkoloniale Erklärungsnot gekommen. Das Leipziger, im Grassimuseum beheimatete, macht daraus seit drei Jahren schon eine Tugend und erfindet sich im Rahmen des Zukunftsprogramms "Reinventing Grassi" Schritt für Schritt neu.

Jetzt wurde im Rahmen des "Re:Opening No. 04" die Ausstellung "Völkerfreundschaft" eröffnet. Wer die besucht, bekommt auf seinem Weg durch die bereits umgestalteten Ausstellungsbereiche eine Ahnung davon, was das angestrebte "Netzwerkmuseum" der Zukunft vom guten alten Völkerkundemuseum unterscheidet.

Beninbronzen im queer-feministischen Kontext

Es geht vorbei an Beninbronzen, die noch nicht zurückgegeben wurden, und die man mit Geschichten von Frauen aus dem ehemaligen Königreich im Westen Afrikas auflädt, die sich den Normen der dort herrschenden patriarchalischen Gesellschaft widersetzten und den Lauf der Geschichte auf ihre Art beeinflussten. In der neu eröffneten Abteilung "(un)sichtbar" wird der ethnologische Blick in Richtung Geschlecht und Sexualität geweitet, das bislang übliche Mann-Frau-Bild der Betrachtung infrage gestellt.

An einer "Widerstandswand" kann man sich über historische Persönlichkeiten der feministischen Bewegung informieren, an einem Spieltisch die männlich-weiblich unterschiedenen Kleiderordnungen durcheinanderbringen oder an Screens etwas über Schwurjungfrauen in Albanien erfahren. Frauen sind das, die aufgrund von Männermangel die Rolle des Familienoberhaupts – von der Gesellschaft allgemein als Mann akzeptiert – übernommen haben, um fortan in neuer, fremder Individualität zu leben.

Honecker-Vase, Damen-Pistole und Indianer-Tipi

Und dann steht man in der Abteilung "Völkerfreundschaft". In der man sehr viel will. Zu viel, auf zu wenig Raum. Da werden Staatsgeschenke an die DDR präsentiert. Es geht um die Umstrukturierung der Völkerkundemuseen und Sammlungslandschaft in der DDR und ganz grundsätzlich die Frage, wie ein eingesperrtes Volk im allgemeinen und die Ethnologen im speziellen überhaupt forschen und Völkerfreundschaft schließen konnten. Ein sehr spezieller Weg war der, der von den vielen Indianistik-Klubs der DDR beschritten wurde.   

Ein Tipi aus Taucha

Letztlich in der letzten Ecke der Ausstellung geht es um die Geschichte dieser Graswurzelbewegung, die sich in einer Nische ihre ganz eigene, nahezu perfekte nordamerikanische Indianerwelt geschaffen hat. Und dafür neuerdings unter Aneignungsverdacht gestellt wird. Und hier mischt sich das Museum klug und geschickt in die Debatte ein.

Da werden originale Bestände aus der Sammlung präsentiert und solchen gegenübergestellt, die von den Indianistikern selbst angefertigt wurden. Mit einer Akribie und Präzision, die sie nicht von den echten Museumsstücken unterscheiden lässt. Ein Tipi made in GDR steht im Raum. In Interview-Montagen erzählen die Indianistiker von ihren Beweggründen für ihr Hobby. Damals in der DDR und wie sie es heute weiterleben lassen.

Man sieht sie auf Fotos, gleichsam selbst zum Ausstellungsobjekt geworden. Was von den Indianistikern, die zur Eröffnung gekommen waren, mit Stolz, aber auch dem komischen Gefühl, damit selbst zum Objekt geworden zu sein, quittiert wurde. Zumal sie bei der Gestaltung, wie sie mir sagten, nicht mit einbezogen worden waren. Da hat das Netzwerkmuseum der Zukunft offensichtlich noch Reserven.

Politisch korrektes Verhalten am Lagerfeuer

"Darf man eigentlich noch Indianer sagen?" – ist auf einem Flugblatt zum mit nach Hause nehmen zu lesen. Und wir erfahren, dass wir das als Deutsche durchaus dürfen. Nicht zuletzt, weil auch in den USA noch von "American Indians" gesprochen wird. Allerdings findet das auch dort nicht jeder und immer gut.

Da geht das Flugblatt erklärend dann in die Tiefe und endet mit der Botschaft: "Egal, für welchen Begriff ihr euch entscheidet und mit wem ihr diskutiert: Begegnet einander mit Respekt … Wenn ihr mit indigenen Personen sprecht, fragt sie einfach, welche Bezeichnung sie für sich bevorzugen. Bei der nächsten Person kann die Antwort dann schon wieder ganz anders ausfallen."

Weitere Informationen

Grassi Museum für Völkerkunde
Johannisplatz 5–11
04103 Leipzig

Öffnungszeiten:
täglich außer montags, 10 bis 18 Uhr

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 01. Dezember 2023 | 08:10 Uhr

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