Transformationsprozess Lehrerin aus Leipzig: Schulen in Sachsen durchlaufen digitale Pubertät

14. Januar 2023, 06:00 Uhr

Sachsen investiert kräftig in seine digitale Bildung. 99,5 Prozent seines Anteils am "Digitalpakt Schule" des Bundes hat Sachsen verteilt, ist damit im bundesweiten Vergleich Spitzenreiter. Doch wie läuft die Transformation des Schulalltags von analog zu digital? MDR SACHSEN hat nachgefragt - an der Werner-Seelenbinder-Oberschule in Bad Lausick und bei der Gerda-Taro-Schule in Leipzig.

Die Gerda-Taro-Schule in Leipzig ist, was die technische Infrastruktur angeht, fast wie ein Unternehmen ausgestattet. Es gibt für alle Lehrkräfte Laptops oder Tablets, die Klassenräume sind mit Beamern oder Smartboards, also digitalen Tafeln, ausgestattet. WLAN liegt in allen Räumen an, drei Computerkabinette mit je 16 Plätzen stehen zur Verfügung. Auch das digitale Klassen- und Notenbuch wird genutzt. Zudem kann die Schule auf vier I-Pad-Koffer mit je 16 Geräten zurückgreifen. Sogar eine sogenannte I-Pad-Klasse gibt es an dem städtischen Gymnasium, die ausschließlich mit dieser mobilen Technik arbeitet. Kein Schleppen von Büchern und Heften mehr.

Ein Schild an einem Betonblock auf dem der Name einer Schule steht, im Hintergrund sieht man das Schulgebäude
Technisch ist die Gerda-Taro-Schule in Leipzig gut aufgestellt. Doch allein mit Bereitstellung der Technik ist die Digitalisierung des Schullalltags nicht geschafft. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Sabine Baumbach, Lehrerin für Mathematik und Sport, ist an der Gerda-Taro-Schule zuständig für die Digitalisierung. Sie sagt im Gespräch mit MDR SACHSEN, die Digitalisierung sei ein kompletter Transformationsprozess und stelle alle vor große Herausforderungen: "Die Lehr- und Lernkultur ändert sich dadurch. Das benötigt Zeit. Zeit, um sich Dinge neu anzueignen, neu zu bewerten." Dazu komme der akute Lehrermangel. "Wir haben eigentlich einen Mangel an Manpower, aber stehen vor einem riesigen Berg an Herausforderungen, die Zeit brauchen, um sich damit zu beschäftigen", erklärt Baumbach.

Die Lehr- und Lernkultur ändert sich dadurch. Das benötigt Zeit. Zeit, um sich Dinge neu anzueignen, neu zu bewerten.

Sabine Baumbach Mathematik-/Sportlehrerin Gerda-Taro-Schule Leipzig

Gesamtstrategie noch nicht vorhanden

Baumbachs Kollege Kevin Henning, Fachleiter für Naturwissenschaften an der Gerda-Taro-Schule, sieht vor allem noch keine wirkliche Gesamtstrategie, wie die digitale Infrastruktur an den sächsischen Schulen gewinnbringend für alle Seiten eingesetzt werden kann. Beispiel digitale Lehrbücher. Drei Verlage bieten diese für die I-Pad-Klasse an. Heißt, drei verschiedene Zugänge zum Lehrmaterial: mit Passwort, über Cloud oder Anmeldung. Bei den Apps gebe es eine große Auswahl, die theoretisch für den Unterricht zur Verfügung stehen. Jede davon werde anders bedient. Das bedeute Aufwand und Zeit. "Man muss sich eigentlich darauf verständigen, welche Programme man nutzt, bei welchen Programmen man den größten gemeinsamen Nenner hat, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu überfrachten", sagt er.

Man muss sich eigentlich darauf verständigen, welche Programme man nutzt, bei welchen Programmen man den größten gemeinsamen Nenner hat, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu überfrachten.

Kevin Henning Fachbereichsleiter Naturwissenschaften Gerda-Taro-Schule

Auch Videokonferenzen sieht Henning etwas kritisch. Sie seien ja im weitesten Sinn ein gutes Mittel, wenn nur der analoge Unterricht nach Hause zu den Schülerinnen und Schüler gespiegelt werden soll. Wirklich gewinnbringend sei deren Einsatz aber nicht. Fakt sei, so Henning, dass Videokameras bei Schülern unbeliebt und Headsets zu Hause plötzlich verschwunden sind, eine echte Interaktion zwischen Lehrer und Schüler finde so nicht statt. Das habe der letzte Online-Lerntag wieder gezeigt, erzählt Henning.

Hybridunterricht mit Videokonferenzen seien gegen Lehrer- und Schülermangel auch nicht die Lösung, ergänzt Baumbach. "Wir produzieren mit so einer Art Unterricht meiner Ansicht nach Bildungsverlierer, weil Kinder und Jugendliche einen analogen Menschen vor sich brauchen. Eine gewisse Motivation, um dabei zubleiben."

Finanzierung der Digitalisierung Seit 2019 unterstützt der Bund mit dem Digitalpakt Schule (Gesamtvolumen 6,5 Milliarden Euro) den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Sachsen hat seinen Anteil von 325 Millionen Euro bereits abgerufen und verteilt. 24 Millionen Euro wurden vom Land für Administratoren bewilligt. Um Schulen in unterversorgten Bereichen mit schnellem Internet bis 2025 auszustatten, werden von Sachsen noch einmal 21,8 Millionen Euro bereitgestellt. Das betrifft laut Kultusministerium 280 Schulen in Sachsen. Zusätzlich will das Land zusammen mit kommunalen Spitzenverbänden ab 2025 die Anschaffung schulgebundener mobiler Endgeräte für Schülerinnen und Schüler zur Hälfte finanzieren. Insgesamt geht der Freistaat davon aus, dass nach 2025 ein Mehrbedarf von bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr für die Wartung, den Support und die Ersatzbeschaffung notwendig sind, exklusive der Grundkosten wie WLAN, LAN oder Server. Sächsisches Kultusministerium

Chancengleichheit und was ist mit der Medienkompetenz?

Bei dem Prozess von analog zu digital muss die Chancengleichheit gewahrt bleiben, fordert zudem Baumbach. "Es ist absolut notwendig, auch wenn das natürlich viel Geld kostet und gerade für die Stadt Leipzig auch aktuell überhaupt nicht zur Debatte steht, dass jedes Kind mit einem digitalen Endgerät einheitlicher Art ausgestattet wird", erklärt sie. Dass jeder sein eigenes Tablet mitbringt, mache keinen Sinn. Zum einen habe nicht jeder ein mobiles Endgerät, zum anderen könne sie als Lehrerin nicht mittels eines Tools auf diese zugreifen, um vielleicht bestimmte Apps oder den Browser zu sperren.

Es ist absolut notwendig, dass jedes Kind mit einem digitalen Endgerät einheitlicher Art ausgestattet wird.

Sabine Baumbach Mathematik-/Sportlehrerin Gerda-Taro-Schule Leipzig

Jaspar Jona Jaroslawski hat ein solches digitales Endgerät einheitlicher Art. Der Neuntklässler geht in die I-Pad-Klasse der Gerda-Taro-Schule. Probleme von analog auf digital zu wechseln habe er nicht gehabt und sieht viele Vorteile in dieser Art des Unterrichts: Angefangen bei der leichteren Schultasche, weil es in seiner Klasse die digitalen Lehrbücher gibt, bis hin zu Gruppenarbeiten, die wesentlich mehr Spaß machten. Aber auch Jasper sieht Baustellen im digitalen Schulalltag. Wie funktioniert der Datenschutz? Und wie wird Google eigentlich richtig benutzt?

Die Digitalisierung der Schule sei ja nicht damit erledigt, indem Endgeräte in einen Raum gestellt und von Schülern genutzt werden, stellt Baumbach fest. Kritisches Reflektieren, das Zurechtfinden in der digitalisierten Welt, dass seien nun die Kompetenzen, die den Schülerinnen und Schülern vermittelt werden müssten, sagt sie. "Das ist, glaube ich, die Herausforderung, vor der wir stehen."

Faktor Folgekosten und ein Recht auf Fehler

Fachbereichsleiter Henning sieht noch eine weitere Herausforderung: Der technische Support sei nicht mitgedacht worden. Es gebe keine externen Experten, die bei IT-Problemen zur Seite stünden. "Den Großteil machen unsere Informatiklehrer hier neben dem Unterricht, das kann nicht die Lösung sein", findet Henning. Geklärt werden müsse auch, wie durchgebrannte Lampen von Beamern, kaputte Ladekabel von Laptops oder der Ersatz eines kompletten Gerätes künftig bezahlt werden sollen. Das wird momentan aus dem Budget für Lehr- und Unterrichtsmittel beglichen.

Den Großteil machen unsere Informatiklehrer hier neben dem Unterricht, das kann nicht die Lösung sein.

Kevin Henning Fachbereichsleiter Naturwissenschaften Gerda-Taro-Schule

Dennoch möchten weder Henning, Baumbach noch Schüler Jasper auf die digitalen Möglichkeiten verzichten. "Es ist ein langsamer laufender Prozess und wir müssen uns Zeit geben. Wir müssen auch das Recht haben, Fehler zu machen", sagt Baumbach. "Es ist das Durchlaufen der digitalen Pubertät", fasst sie die derzeitige Situation zusammen. Nicht vergessen werden dürfe zudem, dass der Großteil der Lehrer gar nicht dazu ausgebildet sei, digitalen Unterricht zu machen, fügt Henning hinzu. Das sei alles Learning-by-doing. Um so wichtiger sei es, die Fehler, die man macht, zu reflektieren und dann zu optimieren.

Es ist das Durchlaufen der digitalen Pubertät.

Sabine Baumbach Mathematik-/Sportlehrerin Gerda-Taro-Schule Leipzig

Bewusst wurde an der Gerda-Taro-Schule vorerst nur eine I-Pad-Klasse als Pilotprojekt eingeführt. Das Ziel: Schwachstellen erkennen und ändern. Da hilft es auch, dass es eine eigene Initiative von Leipziger Lehrkräften gibt, die ihre Erfahrungen mit dem digitalen Unterricht sammeln und halbjährlich austauschen. Dieser Erfahrungsschatz wird im kommenden Schuljahr an der Gerda-Taro-Schule auch benötigt. Dann sollen alle Achtklässler I-Pads erhalten, die das Profil Medien, Informatik und Technologien - kurz M.I.T. - belegt haben.

Collage aus Bundesadler, Münzstapel, Hand, Paragrafenzeichen, Person am Schreibtisch und Deutschland mit eingezeichneten Ländergrenzen. Dazu der Schriftzug "Was ist der Digitalpakt?" 1 min
Bildrechte: MDR/MEDIEN360G
1 min

Wie war das nochmal mit dem Digitalpakt? Wer steckt hier wieviel Geld hinein? Wer bekommt dieses Geld am Ende und wofür darf es ausgegeben werden? Unsere Animation klärt die wichtigsten Punkte.

Di 28.04.2020 10:52Uhr 01:17 min

https://www.mdr.de/medien360g/medienwissen/was-ist-der-digitalpakt-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Halbzeit an Oberschule in Bad Lausick

Ganz anders sieht es in Bad Lausick aus. Digitales Klassenbuch, I-Pad-Klassen oder digitale Lehrbücher sind an der Werner-Seelenbinder-Oberschule nicht zu finden. Fragt man Schulleiterin Anke Schneider, wie weit ihre Schule beim Ausbau der digitalen Infrastruktur ist, kommt als Antwort: "Auf halber Strecke!" WLAN gebe es jetzt zwar in jedem Schulraum, auch zehn digitale Tafeln seien bereits installiert, sagte Schneider MDR SACHSEN. Allerdings fehlten der Schule weitere Smartboards.

Auch bei der Ausstattung an Endgeräten wie Tablets ist laut Schneider noch Luft nach oben. Zwar hätten alle Lehrkräfte Zugang zu einem der Endgeräte (30 Lehrkräfte/30 Lehrtablets), für die 343 Kinder und Jugendlichen an der Oberschule gebe es aber bislang nur 30 Tablets. Ebenfalls auf der To-Do-Liste steht an der Oberschule noch die Modernisierung der beiden Infokabinette mit 16 Computerarbeitsplätzen. Die soll nach Angaben Schneiders noch in diesem Jahr erfolgen. Digitale Medien sinnvoll und gewinnbringend für alle chancengleich einzusetzen, fällt damit in Bad Lausick erst einmal aus.

Langsames digitales Vortasten

Trotz Halbzeit beim Ausbau der digitalen Infrastruktur zeigt sich Schulleiterin Schneider erst einmal zufrieden mit dem Ist-Zustand an ihrer Schule. Denn für Schneider liegen die Vorteile der digitalen Unterrichtsbegleitung klar auf der Hand. Die Smartboards, mit der Möglichkeit interaktive Tafelbilder zu erstellen, seien unter den Lehrkräften heiß begehrt und würden zum Beispiel in Physik oder Biologie täglich genutzt, erzählt die Schulleiterin. Vor allem jüngere Kolleginnen und Kollegen würden die Tablets in ihren Unterricht einbinden - zum Beispiel für Rechercheaufgaben. Auch Learning-Apps würden verstärkt genutzt, so Schneider.

Wunsch nach digitalen Lehrbüchern noch Zukunftsmusik

Zwei Wünsche hat Schulleiterin Anke Schneider noch für ihre Oberschule. Ein digitales Noten- und Klassenbuch und digitale Lehrbücher. Von Ersterem verspricht sich Schneider eine Arbeitserleichterung und einfachere Kommunikation zwischen Schule und Schülern bzw. deren Elternhäuser.

Noten, Hausaufgaben und weitere Informationen könnten damit, so Schneider, einfach per App abgerufen werden. Die Kosten für eine Anschaffung seien bereits in den Haushaltsplan gestellt worden. Digitale Lehrbücher seien dagegen für ihre Schule wohl noch Zukunftsmusik, glaubt sie. Irgendwann wird das aber kommen, ist sich Schneider sicher. Bestimmt, in Leipzig wird damit ja schon gearbeitet.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 10. Januar 2023 | 20:00 Uhr

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