Demonstration Corona-Fackel-Aufzug vor Wohnhaus für Köpping "widerwärtig und unanständig"

04. Dezember 2021, 18:57 Uhr

In mehreren sächsischen Städten haben am Freitagabend Gegner der aktuellen Corona-Politik protestiert. In Grimma standen rund 30 Menschen mit Fackeln und Plakaten vor dem Wohnhaus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping. Die Ministerin war einem Medienbericht zufolge zu Hause. Sie verurteilte die Demonstration scharf.

In Grimma haben Gegner der aktuellen Corona-Politik am Freitagabend vor dem Wohnhaus von Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) protestiert. Das teilte eine Sprecherin der Polizei am Sonnabend mit. Ihren Angaben zufolge hatten sich etwa 30 Menschen vor dem Haus in Grimma versammelt und Fackeln und Plakate gehalten.

Köpping: "Protest widerwärtig und unanständig"

Petra Köpping hat die Fackel-Demonstration vor ihrem Privathaus scharf verurteilt. Sachliche Kritik an den Corona-Einschränkungen sei völlig legitim. "Ich bin immer gesprächsbereit. Fackel-Proteste vor meinem Haus aber sind widerwärtig und unanständig." Köpping sagte, sie wisse, dass das keine Proteste seien, sondern organisierte Einschüchterungsversuche von Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubigen, die leider viel zu oft vorkämen - vor Arztpraxen, an Impfzentren und Krankenhäusern, adressiert an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und andere engagierte Menschen. Nicht selten endeten solche Einschüchterungsversuche gewalttätig. Das sei gefährlich für jeden Einzelnen und für den Zusammenhalt.

Ich danke für die vielen unterstützenden Schreiben und Anrufe und werde mich von den permanenten Pöbeleien und Attacken auch weiterhin nicht einschüchtern lassen. Es geht bei der derzeit notwendigen Bekämpfung der Corona-Pandemie um Menschenleben.

Petra Köpping Gesundheitsministerin Sachsens

Bundesweite Empörung über Fackel-Aufmarsch

Kritik äußerte der scheidende Bundesinnenminister Horst Seehofer. "Was wir da in der Nähe von Grimma gesehen haben, ist kein legitimer Protest. Dieser Fackelumzug ist organisierte Einschüchterung einer staatlichen Repräsentantin", sagte der CSU-Politiker. "Das erinnert mich an die dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte."

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte auf dem Parteitag in Berlin, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit hier überschritten worden sind. Es könne nicht sein, dass Politiker bedroht würden und sich "rechte Verschwörer und Schwurbler" mit Fackeln vor dem Haus einer Ministerin versammelten. "Das braucht eine Antwort in der vollen Härte des Rechtsstaats, es braucht einen Widerspruch der Anständigen in diesem Land", betonte Klingbeil. Köpping versicherte er: "Wir stehen alle an deiner Seite."

Scharfe Kritik kam auch von den Jusos, der Jugendorganisation der SPD, sowie den SPD-Bundesvorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Walter-Borjans twitterte am Samstagmorgen, was sich vor dem Haus von Petra Köpping zugetragen habe, habe mit Sorge und Freiheitsdrang nichts zu tun. "Das ist in Art und Auftritt faschistoid", schrieb der Parteichef wörtlich. Esken äußerte sich ähnlich. Auch die SPD in Sachsen verurteilte den Protest vor dem Haus der SPD-Ministerin.

Saskia Esken
Bildrechte: imago images / Rüdiger Wölk

Auch wenn die paar Hansel da versuchen, Angst und Schrecken zu verbreiten: Die Vernunftbegabten und Verantwortungsbereiten sind die große Mehrheit, und die steht an deiner Seite!

Saskia Esken SPD-Parteichefin

Baden-Württembergs Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann verurteilte den Vorfall ebenfalls scharf und zog Parallelen zu den Nationalsozialisten des Dritten Reichs.

Das sind Methoden, die hat die SA erfunden.

Winfried Kretschmann Ministerpräsident Baden-Württembergs

Sachsens Regierungssprecher Ralph Schreiber sieht in der Fackel-Demonstration ebenfalls einen Einschüchterungsversuch. "Die Staatsregierung sieht darin eine Grenzüberschreitung mit dem Ziel, Verantwortungsträger einzuschüchtern." Als Konsequenz würden die Schutzmaßnahmen für Amtsträger und ihre Familien weiter erhöht, so Schreiber.

Solidaritätsbekundungen kamen ebenfalls von Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Sachsens Justizministerin Katja Meier (B90/Grüne) sprach auf Twitter von einem "absoluten Tabubruch". Sachsens Linkspartei ist der Meinung, dass der Staat seine Amts- und Mandatsträger schützen muss, "sowohl im realen Leben als auch im Internet".

Entsetzen in Grimma

Viele Menschen in Grimma sind geschockt von den gestrigen Geschehnissen und distanzieren sich davon. Sie bezeichnen die Aktion als "unfair" und "feige". Kritik könne kundgetan werden, aber nicht vor dem Privathaus von Politikern. Oberbürgermeister Matthias Berger sagte im Interview mit MDR SACHSEN, dass es bei der "Fackel-Demonstration" nicht um eine sachliche Auseinandersetzung und Meinungsverschiedenheit sondern um Einschüchterung ging.

Kritik am Innenministerium

Der sächsische Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (B90/Grüne) sagte, der Vorfall sei ein weiterer Tabubruch - "ermuntert auch dadurch, dass Schwurbler zu oft ungehindert durch sächsische Städte ziehen konnten. Corona-Leugner und die Rechtsextremisten an ihrer Seite werden immer dreister und radikalisieren sich". Er erwarte eine klare Priorisierung durch das Innenministerium. Der Fraktionschef der Linken im sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, sowie die Landeschefs der Linken, Susanne Schaper und Stefan Hartmann, sagten, der Vorfall sei eine klare Grenzüberschreitung. Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) müsse endlich vom Beobachten zum Handeln übergehen. Kritik gegenüber Wöller und seinem Ministerium kommt ebenfalls von Dirk Panter, dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag.

Innenminister Wöller für schnelle Ahndung

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hat ein "klares und schnelles Signal des Rechtsstaats" gefordert. "Es kommt jetzt auch darauf an, dass wir mit der Staatsanwaltschaft eine Verfahrensweise finden, um begangene Verstöße schnell zu ahnden", sagte er am Samstag. Ihm fehle jedes Verständnis, wenn Amts- und Verantwortungsträger und deren Familien in ihrem privaten Raum bedroht würden.

Es ist unfassbar, wie hemmungslos Hass und Hetze verbreitet werden. Diese Grenzüberschreitung ist auch der Versuch, die freiheitliche Demokratie zu delegitimieren. Es braucht in der Gesellschaft mehr Zivilcourage. Gerade in einer solchen Krise brauchen wir gemeinsame Werte und Zusammenhalt.

Roland Wöller Innenminister Sachsens.

Staatsschutz ermittelt

Am Samstagmorgen twitterte die Polizei zudem, dass "alle rechtlichen Schritte sowie in Betracht kommenden Straftatbestände" gegen die Protestierenden geprüft würden. Demnach übernahm das Staatsschutz-Dezernat der Polizeidirektion Leipzig die Ermittlungen.

Polizei nahm Personalien auf

Als die Polizei am Freitagabend an Köppings Wohnhaus eintraf, seien die Menschen in mehreren Fahrzeugen geflüchtet. 15 Autos wurden demnach von der Polizei angehalten, die Identitäten von 25 Menschen wurden festgestellt. Auf einem Twitter-Video ist zu sehen, dass Mindestabstände nicht eingehalten und Masken nicht getragen wurden. Die Polizei erstattete Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und prüft Verstöße gegen die Corona-Verordnung. Die sächsische Corona-Notfallverordnung lässt derzeit nur Versammlungen mit maximal zehn Menschen an einem festen Ort zu.

Video auf Twitter belegt Szenen

Nach Informationen der "Bild"-Zeitung war die sächsische SPD-Gesundheitsministerin zu Hause. Die Partei "Freie Sachsen" veröffentlichte auf Twitter ein Video, auf dem mehrere Menschen mit Fackeln, Trillerpfeifen und Trommeln in den Händen vor einem Haus zu sehen sind. Dazu schreibt die Partei, dass es sich um Köppings Haus handele. In dem Video rufen die Demonstranten "Freiheit" und "keine Diktatur".

Die Partei "Freie Sachsen" wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft und wird beobachtet. Ihr gehören auch sogenannte Querdenker an. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte der Partei vor Tagen vorgeworfen, Propaganda, Hass und Hetze unter anderem auf dem Messenger-Dienst Telegramm zu schüren. Auch vor Kretschmers Haus wurde schon protestiert.

Proteste auch in Freiberg und Leipzig

Zuvor hatte die Polizei am Freitag bereits in Freiberg und Leipzig-Großzschocher Proteste gegen die Corona-Maßnahmen aufgelöst. Bereits am Montag hatte es in mehreren Städten Proteste gegeben. Die Polizei ließ die Menschen gewähren und war dafür kritisiert worden.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 04. Dezember 2021 | 19:00 Uhr

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