Gummistiefel
Mit Kindergummistiefeln in gelber Farbe vor dem Neuen Rathaus in Leipzig machten die Tageseltern mit ihren Kindern am Mittwoch auf ihre Situation aufmerksam. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Aktionswoche Tageseltern in Leipzig zwischen Existenzangst und Leidenschaft für den Beruf

30. Mai 2024, 10:30 Uhr

Seit 50 Jahren gibt es Kindertagespflege in Deutschland. Für Kinder im Alter bis zu drei Jahren ist sie eine Alternative zur Betreuung durch die Eltern oder Kinderkrippe. In Sachsen gibt es mehr als 1.300 Tagesmütter und Tagesväter. Sie betreuen mehr als 5.500 Kinder. Doch Tageseltern haben es schwer. Geburtenrückgang, höhere Kosten und teilweise auch Probleme mit Krippen beeinflussen ihren Berufsalltag.

Rund 25 Wagen mit jeweils bis zu fünf Kindern mit gelben Jacken an Bord haben beim "Kinderwagenkonvoi" am Mittwoch in der Leipziger Innenstadt demonstriert. Sie fuhren vom Augustusplatz zum Neuen Rathaus. Dort stellten sie zeitweilig gelbe Kindergummistiefel als Blickfang ab: "Wir wollen sichtbar sein und zeigen, dass Tagespflege ganz individuell ist. Wir sind beispielsweise in Krippenwagen, mit Lastenrad, mit Zwei- oder Vierlingswagen oder nur zu Fuß unterwegs", sagte Madeleine Hoffmann im Gespräch mit MDR SACHSEN.

Hoffmann ist im Vorstand des Vereins Leipziger Tageseltern und selbst seit 14 Jahren als Tagesmama "Maddi" in Plagwitz ansässig. Mit ihren maximal fünf zu betreuenden Kindern verfolgt sie ein naturpädagogisches Konzept. Dafür hat sie einen Garten am Cospudener See gemietet: "Von den Eltern bekomme ich oft die Rückmeldung, dass die Kinder nachmittags sehr entspannt sind". Andere Tageseltern hätten beispielsweise ein musikalisches Konzept, berichtete sie.

Weniger Kinder sorgt für Existenzängste

Der "Kinderwagenkonvoi" fuhr als Teil der Kindertagsespflege-Aktionswoche. Wie Hoffmann sagte, sei diese bisher erfolgreich verlaufen - trotz des Regenwetters. Hauptgrund für die Aktionen ist, dass viele Tageseltern Existenzängste plagten. Aufgrund von Geburtenrückgang, Inflation und verfügbaren Plätzen in den Krippen befürchten sie, nicht mehr gebraucht zu werden.

Konflikte mit Kinderkrippen

Immer häufiger passiere es derzeit auch, dass Tageseltern die Kleinkinder in ihre Betreuung eingewöhnen. Doch diese werden dann im Rahmen der ein- bis dreimonatigen Kündigungsfrist von den Tageseltern in die Krippe "abgezogen", wie Hoffmann formulierte. "Die Eltern haben ein Wunsch- und Wahlrecht. Das sollen sie nutzen. Wenn sie sich für eine Krippe entscheiden, ist das völlig in Ordnung. Was nicht in Ordnung ist, wenn Leitungen in den Kitas die Kinder rausziehen. Es geht nicht um Polstermöbel, sondern um Kinder", ärgerte sich die Tagesmama. Man sei im Gespräch mit der Stadt und mit Stadträten und hoffe, dass sich die aktuelle Situation beruhige.

Menschen stehen mit Kinderwagen auf einem Weg
Im Oktober hat der Verein Leipziger Tageseltern nach eigenen Angaben das nächste Gespräch mit Verantwortlichen der Stadt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Es geht nicht um Polstermöbel, sondern um Kinder.

Madeleine Hoffmann Vorstand Leipziger Tageseltern e.V.

Kita-Anrufe bei Eltern "nicht in Ordnung"

Dass Eltern von Tagespflegekindern teilweise angerufen und gefragt werden, ob sie nicht doch lieber in die Kita-Einrichtung wollen, kann Jana Baumbach bestätigen. Sie ist Fachberaterin bei Känguru Leipzig, einem gemeinnütziger Träger der IFB Stiftung, der derzeit 23 Tagespflegepersonen betreut und fünf eigene Kitas hat. "Das ist ab und zu gängige Praxis. Das finde ich auch nicht in Ordnung".

Krippe oder Kindertagespflege - Was ist der Unterschied? (zum Ausklappen)

  • Ab dem vollendeten 1. Lebensjahr hat ein Kind Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Dabei können Eltern gemäß Sächsischem Kitagesetz zwischen Tageseltern oder einem Platz in einer Kinderkrippe wählen.


  • Diese Angebote sind für Kinder im Alter bis drei Jahren. In den Gruppen sind im Gegensatz zur Kinderkrippe nur maximal fünf Kinder in Betreuung. Dadurch entsteht, so die Argumentation, eine individuellere Bildung und Bindung. Die Kleinkinder haben eine konstante Bezugsperson und auch die Eltern ausschließlich einen Ansprechpartner.


  • Die Elternbeiträge für Tagespflege sollen laut Kitagesetz denen der Krippe vergleichbar sein. Zu den Vorbehalten von Eltern gegenüber den Tageseltern gehören u.a. teilweise kürzere Betreuungszeiten sowie weniger sichere Vertretungsmodelle. Tageseltern arbeiten selbstständig, während Kitas städtisch oder von privaten Trägern verwaltet werden.

Menschen schieben Kinderwagen einen Weg entlang
Die Tageseltern wollen in der Aktionswoche Sichtbarkeit für Kindertagespflege erreichen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schild an einem mit Kindern besetzten Handwagen
Beim "Kinderwagenkonvoi" kamen die Tageseltern mit den Kindern, die sie täglich betreuen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Tagespapa: Das ist die ideale Kinderbetreuung

Jörg Wickler ist Tagespapa seit 17 Jahren im Zentrum-West. Er ist überzeugt, dass die Tagespflege die ideale Betreuung für Kinder in dieser Altersgruppe ist: "Wir leisten einen wichtigen Beitrag und sind notwendig für die Kinder", meinte er. Er kennt die Kinder in- und auswendig, pflegt enge Kontakte zu den Eltern. Er könne ebenso wie Krippen eine Betreuungszeit von neun Stunden anbieten.

"Im Gegensatz dazu, dass Tagespflege früher ein Selbstläufer war, bemerkt man jetzt schon Veränderungen", so Wickler. Mittlerweile sei er viel mehr auf Eigenwerbung angewiesen. "Wir können überzeugen, indem wir gute Arbeit machen. Der Rest ist dann Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Eltern".

Ein Mann hält ein Baby im Tragegurt.
Jörg Wickler ist seit 17 Jahren Tagespapa im Leipziger Zentrum-West. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch Kitas unter Druck

Dass Kultusminister Christian Piwarz (CDU) Schirmherr der Aktionswoche ist, findet Wickler gut. "Auch die Kitas stehen unter dem Druck, Plätze besetzen zu müssen, damit sie keine Erzieher entlassen müssen. Der wirtschaftliche Druck muss aus der frühkindlichen Bildung genommen werden", ist er sich sicher.

Die sächsischen Kindertagesstätten machen selbst im Rahmen des Bündnisses "Starke Kitas für starke Kinder" aktuell auf die Probleme und die notwendigen Investionen aufmerksam.

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MDR (sme)

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