Kriminalitätsstatistik Jugendkriminalität in Sachsen: Bagatelldelikte, Straßengewalt und "Jugendpornos"
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31. März 2023, 19:30 Uhr
Während der Coronapandemie sind vor allem in Ermangelung entsprechender "Tatgelegenheiten" die Zahlen vieler Straftatbestände gesunken, die 2022 wieder gestiegen sind. Darunter auch für Kinder und Jugendliche typische Delikte wie "Schwarzfahren" und Ladendiebstahl als Mutproben oder Sachbeschädigungen mit vergleichsweise geringen Schadenssummen. Einige Entwicklungen betrachten polizeiliche Ermittler und Kriminologen allerdings als durchaus alarmierend.
- Die SOKO Iuventus ermittelt gegen Jugendliche, die Gleichaltrige ausrauben.
- Die Sonderkommission arbeitet für ihre Abschaffung. Das soll erreicht werden beim Rückgang der Straftaten auf ein "erträgliches Maß".
- Wichtig für Jugendliche: Auch Smartphone-Flirts unter beinahe Gleichaltrigen können ein Verbrechen sein.
2022 stieg laut Kriminalstatistik die Zahl tatverdächtiger Kinder, Jugendlicher und Heranwachsender in Sachsen um 13,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch gegenüber dem letzten "Vor-Pandemiejahr" 2019 fällt dieser Anstieg deutlich geringer aus: Mit 18.505 ermittelten Tatverdächtigen bei den unter 21-Jährigen liegt die Steigerung bei vergleichsweise moderaten 3,3 Prozent.
Solche Gesamtwerte zu betrachten, ist wegen der darin enthaltenen, höchst unterschiedlichen Delikte jedoch wenig hilfreich: Die Bandbreite reicht vom Ladendiebstahl niedrigpreisiger Produkte über nicht gelöste Fahrscheine bis zu schweren Gewaltstraftaten.
Daher lohnt sich ein Blick auf jene Delikte, deren Entwicklung auch von Experten verstärkt in den Fokus gerückt wird: beispielsweise Raubstraftaten und die Darstellung sexualisierter Gewalt an Kindern - umgangssprachlich eher unzutreffend als "Kinderpornos" bezeichnet.
Eine SOKO für Raubdelikte durch junge Menschen
Die jährlichen Veränderungen der Fallzahlen bei Körperverletzungs- und Raubdelikten durch junge Tatverdächtige im Bereich der Polizeidirektion Dresden wirken zunächst unauffällig. In den vergangenen fünf Jahren schwankten diese zwischen 558 und 769 Fällen, das vergangene Jahr liegt mit 677 Fällen durch Tatverdächtige aus dieser Altersgruppe also im Mittelfeld.
Auffällig sind aber die Raubstraftaten an Gleichaltrigen, zumeist durch Gruppen begangen. Mit 112 Fällen lagen diese 2022 deutlich über dem Durchschnittswert der Vorjahre mit 73 polizeilich erfassten Fällen.
Im November hat die Polizeidirektion Dresden für dieses Phänomen eine eigene Sonderkommission gegründet, die "SOKO Iuventus". Deren Leiterin ist die Kriminalhauptkommissarin Nadine Schaffrath. Sie erklärt: "Es handelt sich um das sogenannte 'Abziehen', um mal die Jugendsprache zu verwenden, von beispielsweise Bargeld, Airpods (Anm. d. Red.: hochpreisige Kopfhörer) oder Markenbekleidung und so weiter. (…) Es mag sein, dass es dieses 'Abziehen' schon immer gegeben hat, aber in dem Ausmaß sicherlich nicht und bei uns kommt noch hinzu, dass die Gewalt eine große Rolle spielt." Die Hemmschwelle der Gewaltanwendung sei gesunken.
Die Hemmschwelle der Gewaltanwendung ist ziemlich gesunken.
SOKO will sich selbst überflüssig machen
Die SOKO-Leiterin empfiehlt Betroffenen solcher Raubüberfälle, nicht zu versuchen, sich zur Wehr zur setzen, sondern die geforderten Gegenstände widerstandslos herauszugeben. Das garantiere zwar nicht, unverletzt und vergleichsweise glimpflich aus der Situation herauszukommen, verringere aber das Risiko. Entsprechende Empfehlungen ergingen auch durch das Landesamt für Schule und Bildung an Schulleitungen in Dresden.
Als Erfolg wertet Kriminalhauptkommissarin Nadine Schaffrath die hohe Aufklärungsquote ihrer SOKO, begünstigt durch das jugendtypische Vorgehen der Tatverdächtigen mit wenig Rücksicht auf das Risiko, identifiziert werden zu können: "Wir haben in den vier Monaten SOKO-Arbeit bereits 117 unterschiedliche Tatverdächtige ermitteln können. Davon befinden sich sieben in Untersuchungshaft und vier sind gegen Auflagen noch auf freiem Fuß. Das sind die, gegen die wir die Ermittlungsarbeit priorisieren, weil das solche sind, die mehrere Taten begangen haben und wo eine erzieherische Maßnahme nicht mehr greift. Wenn wir die von der Straße kriegen, reduzieren wir auch die Nachahmungseffekte." Die SOKO müsse irgendwann mal ein Ende haben - Ziel sei es, das Phänomen zurückzudrängen, möglichst auf ein "erträgliches Maß", so Schaffrath.
Wir haben in den vier Monaten SOKO-Arbeit bereits 117 unterschiedliche Tatverdächtige ermitteln können.
"Freizügige Flirts" mit fatalen Folgen
Ein anderer Deliktbereich, bei dem sich die Fallzahlen mit jungen Tatverdächtigen in Dresden in den vergangenen fünf Jahren sogar verzehnfacht haben, ist die "Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung jugendpornografischer und kinderpornografischer Inhalte".
Hier sind die Fallzahlen bundesweit gestiegen und vor allem der Anteil minderjähriger Tatverdächtiger. Laut der am Donnerstag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgestellten polizeilichen Kriminalstatistik waren vergangenes Jahr 41,1 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen selbst jünger als 18 Jahre.
Mit Sexting können sich Jugendliche strafbar machen
Im Interview mit MDR SACHSEN warnt Cyberkriminologe Prof. Thomas-Gabriel Rüdiger allerdings eindringlich davor, Tatverdächtige dieser Altersgruppe in einen Topf zu werfen mit pädokriminellen Erwachsenen, die Darstellungen schwerster, sexueller Gewalt gegen Minderjährige sammeln und verbreiten. Dem Experten zufolge seien vor allem Jugendliche betroffen, die sogenanntes Sexting betreiben, also Nacktbilder tauschten. Hier könnten sich Jugendliche unter Umständen strafbar machen.
MDR (pri)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 31. März 2023 | 19:00 Uhr