Blick in einen Behandlungsraum im Mutter-Kind-Zentrum im Vivantes Klinikum in Berlin-Neukölln.
Die Kinderkliniken in Sachsen sind wegen RS-Virus-Erkrankungen stark belastet. Dabei liegen Kinder auch wegen Influenza und anderen Atemwegsinfekten auf den Intensivstationen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

Pflegepersonal umplanen? Trotz RSV-Wucht in Kinderkliniken: Sachsens Ärzte gegen Lauterbachs Personalvorschläge

06. Dezember 2022, 17:45 Uhr

Die Klinikbetten und Arztpraxen sind voll. Kinderärzte haben derzeit alle Hände voll zu tun, um Kleinkinder mit teils schwersten Atembeschwerden durch das RS-Virus und anderer Infekte zu versorgen. Dennoch lehnen Mediziner und Politiker den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ab, Pflegepersonal von Erwachsenenstationen in Kinderkliniken einzusetzen.

Die sächsische Krankenhausgesellschaft lehnt es ab, Pflegepersonal von Erwachsenen- auf Kinderstationen einzusetzen. Anlass für diese Diskussion ist eine derzeit kursierende Infektionswelle bei Kindern, die durch verschiedene Infekte, vor allem dem RS-Virus, verursacht wird. Kinderstationen arbeiten aktuell im Krisenmodus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will deswegen Personal aus anderen Stationen abziehen.

Personal in Kinderklinik nur bedingt einsetzbar

Der Vize-Geschäftsführer der sächsischen Krankenhausgesellschaft, Friedrich München, hält nichts von Lauterbachs Vorschlag. Personal sei auch auf Erwachsenen-Stationen knapp, sagte er MDR AKTUELL. Außerdem fehle den Kolleginnen und Kollegen die Ausbildung. "Wir haben in der Kindermedizin viele Mitarbeitende, die speziell Kinderkrankenpflege gelernt haben. Man kann nicht einfach jemanden von einer Erwachsenenstation abziehen und zum Beispiel Kanülen in der Kindermedizin legen lassen", erklärte München.

Man kann nicht einfach jemanden von auf einer Erwachsenenstation abziehen und zum Beispiel Kanülen in der Kindermedizin legen lassen.

Friedrich München Stellvertretender Geschäftsführer der sächsischen Krankenhausgesellschaft

Ähnlich reagierte der Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte. Schon jetzt werde bei Engpässen Pflegepersonal von anderen Stationen abgezogen, sagte Verbandspräsident Michael Weber: "Qualifiziertes Pflegepersonal woanders her zu bekommen, ist nahezu nicht möglich. Das Ganze ist Ausdruck einer seit Jahren verfehlten Krankenhauspolitik, die zu einer Ausdünnung der Kinderkliniken geführt hat."

Umschichtung von Pflegekräften nur Notlösung

Für die Co-Landesvorsitzende der Partei die Linke in Sachsen, Susan Schaper, kann das Umschichten von Krankenhauspersonal nur eine Notlösung sein. Schaper kennt als staatlich geprüfte Krankenschwester und diplomierte Pflegefachwirtin die Branche: "Das kann wirklich nur eine kurzfristige Maßnahme sein, um zu garantieren, dass überhaupt jemand am Kinderbett steht."

Das kann wirklich nur eine kurzfristige Maßnahme sein, um zu garantieren, dass überhaupt jemand am Kinderbett steht.

Susan Schaper Co-Landesvorsitzende der Partei Die Linke in Sachsen

Die Situation in den Kinderkliniken verschärfe sich von Jahr zu Jahr und werde auf den Rücken kranker Kinder ausgetragen, urteilte Schaper. Sie verlangt für bessere Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken: "Wir haben seit Jahren einen Abbau von Kinderintensivbetten. Das muss sofort gestoppt werden." Gesundheitsminister Lauterbach sei in der Pflicht, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, damit sich der Personal-Notstand in Kinderkliniken nicht verstetige, so die Linken-Politikerin.

Uni-Klinik Dresden: Zwei von drei Patienten haben RSV

Die Situation auf den Kinderstationen sei angespannt, so der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden, Reinhard Berner. Auf der Station, auf der überwiegend Atemwegs-Erkrankungen behandelt werden, seien zwei von drei Patienten RSV-Patienten. Zudem seien in den vergangenen Tagen vermehrt Kinder mit einer schweren Influenza in die Klinik gekommen, erklärte Berner.

Wegen der aktuellen Infektionswelle mussten laut Berner lange geplante Behandlungen verschoben werden. Nur dadurch seien bisher noch keine Patienten mit Atemwegs-Infekten abgewiesen worden. Die Welle der RSV-Erkrankungen sei in diesem Jahr noch einmal höher als im Vorjahr, schätzt Berner ein: "Es hat wohl in den letzten 30 Jahren keine vergleichbare Infektionswelle gegeben."

Kleinstkinder in Chemnitz und Plauen auf Station

In seiner Klinik müssen aktuell zwölf Patienten mit Atemwegsinfektionen behandelt werden, sagte der Chefarzt der Kinderklinik des Klinikums Chemnitz, Axel Hübler, auf Anfrage von MDR SACHSEN. Es seien mehrheitlich Säuglinge und Kleinkinder, die stationär behandelt werden und neben RSV auch an anderen Atemwegsinfekten leiden. Die Auslastung der Stationen sei deswegen sehr hoch, erklärte Hübler: "Das RSV-Infektionsgeschehen im Säuglings- und Kleinkindalter hat seit Ende vergangener Woche auch Chemnitz mit Wucht erreicht. Entsprechend hoch ist der stationäre Behandlungsbedarf in unserer Kinderklinik."

Das RSV-Infektionsgeschehen im Säuglings- und Kleinkindalter hat seit Ende vergangener Woche auch Chemnitz mit Wucht erreicht.

Axel Hübler Chefarzt der Kinderklinik im Städtischen Klinikum Chemnitz

Patienten wurden laut Hübler noch keine abgewiesen. Durch Verlegung von nicht infektiösen Kindern innerhalb der Klinik versuche sie, aufnahmefähig zu bleiben. Bleibe der Andrang jedoch weiter so hoch, werde geprüft, ob nicht geplante Untersuchungen und Behandlungen verschoben werden. Chefarzt Hübler verweist zugleich darauf, dass es in der Winterzeit gerade in den ersten Lebensjahren häufiger zu Atemwegs- und Magen-Darm-Infekten komme: "Bereits vor der Corona-Pandemie waren Kinderkliniken im Winterhalbjahr regelmäßig in der Situation, sehr viele Kinder mit akuten Infektionserkrankungen stationär zu behandeln."

Ein Kind wird gewickelt.
Kleinkinder und Babys mit RSV leiden unter teils starken Atembeschwerden. Sie sind deswegen auf intensive Versorgung angewiesen. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

In der Klinik für Kinder und Jugendmedizin in Plauen würden aktuell auffällig viele Kinder mit schweren Infekten behandelt, sagte Chefärztin Simone Pötzsch auf Anfrage von MDR SACHSEN. Das seien hauptsächlich Fälle von RSV, aber auch Influenza. Die Versorgung der erkrankten Kinder sei gewährleistet, aber herausfordernd, erklärte Pötzsch: "Die Betreuung der sehr jungen Patientinnen und Patienten, die unter starken Atembeschwerden leiden, ist sehr überwachungsintensiv." Pflegeplätze seien genügend vorhanden, so der Klinik-Sprecher Karsten Dietel: "Wir sind weit entfernt von der Kapazitätsgrenze."

Noch freie Betten in Kinderkliniken in Ostsachsen

Die Kinderkliniken in Hoyerswerda, Görlitz und Bautzen haben nach eigenen Angaben noch freie Betten und mussten bisher keine erkrankten Kinder abweisen. Die Lage im Klinikum Hoyerswerda sei "händelbar" und nicht vergleichbar mit der höheren Auslastung im vergangenen Jahr, so die Pressestelle. Kinder kämen nicht nur wegen dem RS-Virus auf Station, sondern auch wegen Influenza und Corona. Auf der Kinderstation des Krankenhauses Görlitz liegen den Angaben zufolge seit drei Wochen bis zu sieben Kinder mit RSV.

In der Kinderklinik für Bautzen und Bischofswerda werden nach eigenen Angaben aktuell bis zu 80 Prozent der Kinder wegen akuter Atemwegsinfektionen wie RSV, Influenza und Corona behandelt. Aktuell sei die Klinik nahezu ausgelastet. Obwohl bisher noch keine Patienten abgewiesen worden seien, würde der Personalmangel und der hohe Krankenstand die Situation verschärfen.

Kinderärztin: Kein Grund zur Panik

Auch bei den Kinderärzten ist die Lage angespannt. Derzeit kämen viele Eltern in ihre Praxis, die wegen des RS-Virus verunsichert sind. Melanie Ahaus habe in ihrer Leipziger Kinderarztpraxis deutlich mehr Patientinnen und Patienten zu versorgen als im vergleichbaren Zeitraum vor Corona. Die aktuelle Infektionswelle liege teilweise in den Lockdown-Maßnahmen, bei denen Kinder von Infektionsquellen relativ isoliert waren. Laut Kinderärztin Melanie Ahaus konnte das Immunsystem dadurch nicht so gut trainiert werden.

Grund zur Panik gebe es jedoch nicht, sagte Ahaus. Atemwegsinfekte in der Winterzeit seien auch bei kleinen Kindern in der Regel harmlos. Fieber sei dabei eine gesunde Reaktion des Körpers: "Man kann das Kind ruhig fiebern lassen, weil das hilfreich sein kann, um den Infekt zu bekämpfen. Ein Kind braucht in der akuten Phase viel Ruhe, Schlaf, Flüssigkeit und die Nähe zu den Eltern." Ein Arztbesuch sei erst angebracht, wenn das Kind länger als zwei bis drei Tage hoch fiebert. Bei Kindern unter einem Jahr sollte hingegen nicht länger als einen Tag gewartet werden, so Ahaus.

Ambulante Medizin sorgt für viele Patienten

Dass Kinderkliniken und Arztpraxen derzeit so belastet sind, erkennt die Kinderärztin und Sprecherin des Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Sachsen, Melanie Ahaus, in den politischen Versäumnissen der vergangenen Jahre: Kinderkliniken seien verkleinert, Betten reduziert worden. Zudem fehle das Personal. Doch auch der ambulante Bereich habe seit Jahren Probleme. Selbst Städte wie Leipzig mit vergleichsweise hoher Dichte an Kinderärzten stießen an ihre Grenzen: "Bei uns in der Praxis rufen täglich verzweifelte Eltern an, die für ihr Kind keinen Kinderarzt mehr finden." Der ambulante Bereich dürfe nicht vergessen werden. In diesem würden bis zu 85 Prozent der Erkrankten in Sachsen behandelt, so Ahaus.

Leipziger Klinikchef verlangt Runden Tisch

Der Chef der Leipziger Uni-Kinderklinik, Wieland Kiess, hat angesichts der steigenden Infektionen mit RSV bei Kindern unterdessen einen Runden Tisch gefordert. Politik, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte sollten sich über das weitere Vorgehen austauschen, so Kiess. Es brauche nicht mehr Betten, jedoch Zentren, in denen Betten vorgehalten werden.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 05. Dezember 2022 | 12:00 Uhr

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