Fachkräftemangel Sachsens Hausärzte suchen händeringend Praxishilfen
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27. März 2023, 07:00 Uhr
Sächsische Hausärzte und Hausärztinnen müssen sich künftig stärker ins Zeug legen, um medizinische Fachangestellte zu gewinnen und zu halten. Zwar führt der Beruf das Ranking der beliebtesten Ausbildungsberufe bei Frauen an, doch deckt der Nachwuchs den Bedarf nicht. Für die Hausärzteschaft sowie Patientinnen und Patienten wird der Fachkräftemangel laut zuständigem Berufsverband bald zum riesigen Problem. Es brauche mehr Geld und Wertschätzung. Auch Ausbildungsbedingungen scheinen problematisch.
- Die Sächsische Ärztekammer beklagt schlechte Prüfungsergebnisse und dass zu viele Azubis ihre Ausbildung abbrechen.
- Die Medizinische Fachangestellte (MFA) Anke Bernheiden findet ihren Beruf abwechslungsreich und erfüllend.
- Schlusslicht Sachsen: Nirgendwo sonst in Deutschland bekommen MFA weniger Geld als in Sachsen.
Die Landesärztekammer und der Hausärztinnen- und Hausärzteverband in Sachsen schlagen Alarm: Sie befürchten in absehbarer Zeit einen eklatanten Fachkräftemangel bei den Medizinischen Fachangestellten (MFA) in den Hausarztpraxen. Patientinnen und Patienten drohe eine deutlich schlechtere medizinische Versorgung. Denn die MFA halten den Hausärzten den Rücken frei, unterstützen bei Untersuchungen und Hausbesuchen und erledigen viel Bürokratie, betont die Vize-Vorsitzende des Sächsischen Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Susann Hennesthal, im Gespräch mit MDR SACHSEN.
Mehr Ausbildungsverträge, aber das reicht nicht
Laut Bundesinstituts für Berufsbildung ist die Zahl der in Sachsen abgeschlossen Ausbildungsverträge im vergangenem Jahr um 15 Prozent gestiegen. Doch das reicht bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken, befürchtet der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer und Allgemeinmediziner, Erik Bodendieck. Zu viele Ältere würden demnächst in Rente gehen, die Konkurrenz mit Krankenkassen und Klinken, die Medizinische Fachangestellte besser bezahlen, sei groß. Zudem würden seiner Meinung nach Politik und Patienten die Arbeit der MFA zu wenig wertschätzen.
Viele waren während der Pandemie verbal aggressiv und haben bei uns den Frust abgelassen über die ihrer Meinung nach 'verkorkste Gesundheitspolitik'.
Wenn am Tresen alles abgeladen wird
Fehlende Wertschätzung kennt Anke Bernheiden. Die 48 Jahre alte Medizinische Fachangestellte ist seit 30 Jahren im Medizinbereich tätig. Seit knapp drei Jahren arbeitet sie in einer Gemeinschaftspraxis in Coswig. Sie schätze die Arbeit in ihrem Team, den Kontakt mit Menschen und geregelte Arbeitszeiten.
Doch gerade zu Hochzeiten der Corona-Pandemie sei es anstrengend gewesen: "Man war für alle der Prellbock vorne am Tresen. Viele waren während der Pandemie verbal aggressiv und haben bei uns den Frust abgelassen über die ihrer Meinung nach 'verkorkste Gesundheitspolitik'. Wer da zart besaitet war, hatte es schwer." Mit dem Wegfall von Maskenpflicht und Schutzmaßnahmen seien die Leute wieder entspannter geworden, hat die gelernte Krankenschwester festgestellt. Doch für die Sprechstundenhilfen hat während der Pandemie niemand geklatscht.
Keine Corona-Prämie während der Pandemie
Landesärztekammerpräsident Erik Bodendieck sieht noch einen anderen Aspekt als fehlende Wertschätzung: Etwa 60 Prozent aller Corona-Patienten sind ambulant in Hausarztpraxen versorgt worden, aber die Medizinischen Fachangestellten gingen bei der Corona-Prämie leer aus. Anders als Pflegekräfte in Altenheimen und Krankenhäusern bekamen sie keine Bonuszahlungen vom Staat. Das ärgert Bodendieck, zumal die Berufsgruppe ohnehin schon eher wenig Geld bekomme.
Sachsen Schlusslicht bei Bezahlung
Nirgendwo sonst in Deutschland werden MFA schlechter bezahlt als in Sachsen. Laut Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit bekommen ausgebildete MFA im Freistaat 2.123 Euro brutto im Monat, während die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg im Schnitt mehr als 550 Euro mehr im Monat bekommen. Ein riesiges Problem, findet Susann Hennnesthal vom Sächsischen Hausärzteverband: "Es ist wichtig, dass wir als Ärzte so bezahlt werden, dass wir unsere MFA auch so bezahlen können, wie sie es bei Krankenkassen bekommen können. Sie verdienen bei den Krankenkassen bis zu 1.500 Euro brutto mehr."
Die Unterschiede sind gewaltig.
Das Problem liegt Bodendieck zufolge darin, wie MFA in Deutschland bezahlt werden. Die Hausarztpraxen müssen das Gehalt der MFA selbst erwirtschaften. Wenn es nach ihm ginge, müssten sich die Krankenkassen an den MFA-Gehältern beteiligen. "Wir suchen nach Gehör in der Politik. Das finden wir nicht. Wir beobachten daher bei den medizinischen Fachangestellten eine Personalflucht in die Krankenhäuser oder Pflegedienste, wo besser gezahlt werden kann als in Hausarztpraxen", sagte Bodendieck.
So funktioniert die Bezahlung Medizinischer Fachangestellter
Hausärztinnen und Hausärzte behandeln nicht nur Kranke, sondern haben auch administrative Aufgaben. Ihr Geld bekommen sie aus den abgerechneten Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung oder aus besonderen Verträgen, die sie mit Krankenkassen abschließen.
Der Anteil von Privatpatienten ist in Ostdeutschland im Gegensatz zu den alten Bundesländern auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gering.
Aus den abgerechneten Leistungen müssen alle Kosten bezahlt werden. Dazu gehören Kredite für Investitionen in die Praxis, Energiekosten, andere laufende Kosten und eben auch die MTA-Gehälter.
"Erfüllender Beruf" mit viel Abwechslung und Bürokratie
Mit ihrem Gehalt ist die Medizinische Fachangestellte Anke Bernheiden zufrieden, wie sie sagt. Bei ihrer derzeitigen Stelle sei die Bezahlung deutlich besser als bei ihrem alten Arbeitgeber in einer anderen Praxis. Denn die Hausärzte hätten einen gewissen Spielraum. Generell sei sie mit ihrer Arbeit sehr zufrieden: "Der Beruf ist abwechslungsreich." Nur die Bürokratie nerve manchmal: "Die bringt uns immer weiter weg vom Patienten, so dass wir immer länger am Computer sitzen müssen", so Bernheiden.
"Viele denken ja, wenn wir nur bis elf Uhr Sprechstunde haben, dann ist danach bald Schluss. Doch das ist nicht so." Anders als viele andere in diesem Beruf, arbeitet Anke Bernheiden Vollzeit. Deutschlandweit ist gerade mal jede zweite Sprechstundenhilfe in Vollzeit beschäftigt. Arbeitsmarktforscher sagen, auch das müsse bei der Fachkräftemangel-Debatte im Blick sein.
Beliebtester Ausbildungsberuf bei Frauen
Der Ausbildungsberuf "Medizinische/r Fachangestellte/r" (MFA) zählt zu den beliebtesten in Deutschland. 2021 haben in keinem anderen Bereich so viele Frauen ihre Ausbildung begonnen.
Mit bundesweit 16.731 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen führten die MFA die Rangliste der beliebtesten Ausbildungsberufe für Frauen an. Nur knapp 670 Männer entschieden sich 2021 für diese Ausbildung.
Insgesamt absolvierten im Jahr 2021 42.540 Azubis eine Ausbildung als MFA, darunter 1.449 Männer.
2022 wurden in Sachsen 230 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Aktuell lernen 204 Azubis im 2. Ausbildungsjahr und 186 im 3. Lehrjahr.
Quellen: Statistisches Bundesamt/Bundesinstitut für Berufsbildung
Ausbildung: Schlechte Prüfungsergebnisse und hohe Abbruchquoten
"Zu viele schmeißen noch während der Ausbildung hin", beklagt Bodendieck von der Sächsischen Landesärztekammer. Die Abbruchsquote liege zwischen zehn und 20 Prozent. Problematisch sei auch die hohe Durchfallquote bei den praktischen Prüfungen. Sie liege bei ungefähr 40 Prozent. Nicht alle bestehen im Nachgang die Wiederholungsversuche. Hier brauche es bessere Absprachen zwischen den Ärzten, die die Praxishilfen ausbilden, und ein Rotationsprinzip, bei dem die Azubis auch Erfahrungen in anderen Praxen sammeln können, verlangt Bodendieck. Auch Vorbereitungskurse für die praktische Prüfung könnten aus seiner Sicht die Situation verbessern.
Praktikerin kritisiert Prüfungsinhalte
Die MFA Anke Bernheiden sieht dagegen Verbesserungsbedarf bei den Prüfungen selbst. In ihrer alten Arbeitsstelle habe sie rund fünf Jahre lang Azubis betreut: "Ich fand die Prüfungen wesentlich strenger als vor einigen Jahren. Da muss auch mal geschaut werden, welche Möglichkeiten die Azubis in ihrer Praxis haben, was sie da lernen können.
Außerdem haben die Prüfungsaufgaben nicht unbedingt immer viel mit den späteren Tätigkeiten zu tun, die wir im Beruf ausüben." Zudem hätte sie gern erlebt, dass während der Ausbildung Externe kommen und schauen, wie es den Jugendlichen während der Ausbildung geht. Wenn etwas nicht gut laufe, falle es meistens viel zu spät auf. Doch die Azubis seien, so ihr Eindruck, eher auf sich allein gestellt. Um Dinge infrage zu stellen, fehle ihnen der Weitblick.
Hausärzte mitverantwortlich für Lage
Landesärztekammerpräsident Bodendieck appelliert angesichts drohender Personallücken an die Ärzteschaft: Um junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen, müssten sich die Hausärztinnen und Hausärzte stärker einbringen, etwa indem sie gemeinsam mit ihren MFA in die Schulen oder auf Berufsmessen gehen, um das Berufsbild vorzustellen: "Es muss regional mehr für den Beruf geworben werden".
Das findet auch Susann Hennesthal vom Sächsischen Hausärzteverband: "Denn ein Kontakt zwischen Schule und Arbeitswelt findet in diesem Bereich praktisch nicht statt." Jugendliche hätten kaum eine Vorstellung davon, wie interessant der Beruf der MFA sei und wie stark er sich weiterentwickle. So gebe es sogar ein berufsbegleitendes Studium dafür in Sachsen.
Mein Herz hängt an der Zukunft, wie das mit dem Beruf weitergeht.
Und auch Anke Bernheiden kümmert sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um Nachwuchskräfte: "Mein Herz hängt an der Zukunft, wie das mit dem Beruf weitergeht", sagt sie und erzählt, wie sie immer wieder versuche, Jugendlichen schmackhaft zu machen, ihre Schulpraktika in einer Hausarztpraxis zu absolvieren, um den Beruf kennenzulernen. Denn sie würde sich jederzeit wieder für genau diesen Beruf entscheiden.
MDR (kav)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 28. Februar 2023 | 20:00 Uhr