Erstaufnahme Unterkünfte für Geflüchtete: So angespannt ist die Lage in Sachsen
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09. März 2023, 05:00 Uhr
Viele Kommunen wissen nicht mehr, wie und vor allem wo sie noch Geflüchtete unterbringen sollen – auch der Krisengipfel Mitte Februar hat keine vollständige Lösung gebracht. Konnten keine Lehren aus 2015 gezogen werden, oder ist etwas anders als vor acht Jahren?
Inhalt des Artikels:
- Leipzig: Sieben Millionen Euro für eine Notunterkunft
- Nordsachsen: Unterkunft auf ehemaligen Militärgelände
- Proteste: Stimmung im Dorf ist angespannt
- Mittelsachsen: Unterkunft für jugendliche Geflüchtete
- Landrat wünscht mehr finanzielle Unterstützung und fordert ein Konzept
- Tunesier: "Für die Flüchtlinge gibt es keine andere Lösung"
Eigentlich sollte die Erstaufnahmeeinrichtung an der Bremer Straße vor zwei Jahren geschlossen werden, weil die Betriebserlaubnis auslief. Doch die Stadt Dresden verlängerte die Genehmigung, es kommen wieder mehr Geflüchtete und so leben nach wie vor viele Menschen in den Gebäuden – so wie Ayoub. "In meiner Heimat gilt der Mensch nichts", sagt der Tunesier. "Deutschland wird als bestes Land der Welt angesehen." Er ist einer von immer mehr Menschen, die derzeit in der Bundesrepublik Schutz suchen – und die Zahlen steigen auch in Sachsen.
Im Jahr 2015, während der Flüchtlingskrise, zählte der Freistaat etwa 70.000 ankommende Asylsuchende. Im vergangenen Jahr waren es – zusammen mit den ukrainischen Schutzsuchenden – rund 80.000 Menschen. Viele kommen aus Venezuela, Syrien, Afghanistan und der Türkei. Von den Erstaufnahmeeinrichtungen werden sie dann auf die Städte und Kommunen verteilt.
Leipzig: Sieben Millionen Euro für eine Notunterkunft
Denen fehlt aber immer öfter der Raum für die Geflüchteten. So entsteht etwa in Leipzig gerade eine Notunterkunft. In sechs Zelten sollen demnächst mehr als 300 Menschen einen vorrübergehenden Unterschlupf finden. "Es wäre mir lieber, wenn ich feste Wohnungen hätte. Wenn ich eine Gemeinschaftsunterkunft hätte", sagt die Sozialbürgermeisterin der Messestadt, Martina Münch (SPD). Es sei eine Übergangslösung, die gebraucht werde.
Die Notunterkunft kostet rund sieben Millionen Euro pro Jahr – inklusive Betreuung durch Sozialarbeiter. Für den überwiegenden Teil kommt das Land auf. In Leipzig sind noch weitere Unterkünfte geplant. "Die Situation ist sehr angespannt. Tatsächlich haben wir noch bis Ende März Plätze und ab April müssen wir zwingend neue Unterbringungsplätze schaffen", erklärt Münch. Es kämen aktuell jeden Monat etwa 200 Geflüchtete neu nach Leipzig. Durch das Erdbeben in der Türkei könnten es noch mehr werden.
Bereits bestehende Gemeinschaftsunterkünfte seien voll, der Wohnungsmarkt angespannt, so Martina Münch. Doch was ist mit den Kapazitäten, die die Stadt 2015 während der Flüchtlingskrise geschaffen hatte? "Man kann natürlich nicht große Gebäude dauerhaft leer stehen lassen und am Netz halten, das kostet einfach."
Nordsachsen: Unterkunft auf ehemaligen Militärgelände
Die Situation ist auch in einigen Landkreisen stark angespannt – in Nordsachsen werden in diesem Jahr etwa 1.500 Geflüchtete erwartet. Weil es kaum Alternativen gibt, soll ein Teil von ihnen zeitweilig auf einem ehemaligen Militärgelände in der Gemeinde Mockrehna untergebracht werden. Es liegt abgeschieden und der nächste Supermarkt ist drei Kilometer entfernt.
Das ist mit Stacheldraht abgezäunt. Es hat eine Symbolkraft. Ihr seid jetzt erstmal hier eingesperrt.
Dort sollen voraussichtlich ab April etwa 100 Geflüchtete untergebracht werden – ausschließlich junge Männer, keine Familien. Auch wenn es eine Betreuung durch Sozialarbeiter geben soll: Es gebe viele Gründe, die gegen diesen Ort sprechen, findet der Bürgermeister von Mockrehna, Peter Klepel (parteilos). "Das ist mit Stacheldraht abgezäunt. Abgegrenzt. Es hat eine Symbolkraft. Ihr seid jetzt erstmal hier eingesperrt. Obwohl das natürlich 24 Stunden offensteht und sie dann kommen und gehen können, wie sie wollen."
Das Gelände hat der Bund dem Landkreis kostenlos zur Verfügung gestellt. Einen Kilometer entfernt liegt Strelln, ein Ortsteil von Mockrehna. 400 Menschen leben dort, es gibt keine Möglichkeit zum Einkaufen und am Wochenende fährt gar kein Bus. Die geplante Unterkunft für Geflüchtete stößt größtenteils auf Ablehnung.
Proteste: Stimmung im Dorf ist angespannt
"Die jungen Burschen, die haben Langeweile. Die gehen hier spazieren, gucken in die Gehöfte rein: Was ist überhaupt los hier", sagt Familienvater Lars Fromm. Der Schmied äußert seine Bedenken: "Ich denke mal, wenn hier ein Fahrrad am Zaun steht, das steht dann nicht mehr da." Er befürchtet auch, dass es sexuelle Übergriffe auf Frauen geben könnte.
Ähnliche Befürchtungen hat MDR Investigativ in dem Ortsteil häufiger gehört. Fromm wird deutlich: "Die Menschen tun mir leid, die wirklich in Not sind. Aber wenn wir keine Kapazitäten mehr haben, die Leute aufzunehmen…" Er sagt, dass das Glas voll mit Wasser sei und nichts mehr reinpasse. "Oder wollen wir solange machen, bis das Glas kaputt ist?"
Die Stimmung ist angespannt. Ende Januar hat es in Strelln Proteste gegen die geplante Unterkunft gegeben. Unter den Teilnehmern waren offenbar auch Unterstützer der "Freien Sachsen". Von dieser rechtsextremistischen Kleinstpartei waren auf der Demo Fahnen und Banner zu sehen.
Aus Protest ist im Januar ist auch eine Unterschriftenliste an den Bürgermeister überreicht worden. "250 Unterschriften sind hier eingegangen, wurde auch geprüft. Sind alle aus dem Ort Strelln", sagt Peter Klepel. Er kann den Unmut der Bevölkerung in Teilen nachvollziehen, denn die Gemeinde wurde vom Landkreis vor vollende Tatsachen gestellt. "Wir werden nur in Kenntnis gesetzt. Wir haben kein Mitspracherecht. Und wir haben auch keine Stellungnahme abzugeben."
Mittelsachsen: Unterkunft für jugendliche Geflüchtete
Eine ganz ähnliche Situation gibt es in der Gemeinde Kriebstein im Landkreis Mittelsachsen. Im Ortsteil Kriebethal sind in einem ehemaligen DRK-Pflegeheim seit wenigen Wochen zwölf unbegleitete minderjährige Geflüchtete untergebracht. Sie werden rund um die Uhr durch Mitarbeiter des DRK betreut. Etwa acht Wochen werden sie dortbleiben, bevor sie in andere Wohnprojekte kommen.
In Kriebethal leben rund 600 Menschen. 260 haben sich an einer Unterschriftensammlung gegen die Unterbringung beteiligt. Auch hier gab es bereits Proteste. In den sozialen Medien tauchte vor wenigen Wochen folgender Eintrag auf: "Fackelt die Bude ab, bevor dort Leute einziehen können." Der Staatsschutz ermittelt.
Der Landrat des zuständigen Landratsamtes in Freiberg sagt: Für die Unterbringung von minderjährigen Geflüchteten brauche es hohe Standards. Der Standort in Kriebethal sei deshalb alternativlos. "Das heißt, sie brauchen Leute, die hohe Qualifikationen haben. Deshalb sind wir so froh, dass das DRK diese Kapazität hat", erklärt Landrat Dirk Neubauer (parteilos). Es gehe dabei vor allem um das Personal.
Landrat wünscht mehr finanzielle Unterstützung und fordert ein Konzept
Die gestiegenen Flüchtlingszahlen stellen auch den Landkreis Mittelsachsen vor große Herausforderungen – neben der personellen vor allem beim Thema Unterbringung. Deshalb plane man eine Investition in die Zukunft. "Wir wollen an fünf Standorten, gut verteilt im Kreis, eine Grundkapazität – da sprechen wir von 500 Plätzen in Summe – schaffen, die für unsere Bedingungen ideal zugeschnitten sind", so Dirk Neubauer. "Und sollten wir irgendwann mal, da bin ich mir aber ganz sicher, dass ich das nicht mehr erleben werde, das Thema Migration in der Form nicht mehr kennen, dann könnten man diese Gebäude, so sind sie ja auch konzipiert, mit wenigen Eingriffen in Sozialwohnungen verwandeln."
Für Unterbringung und Integration wünscht sich der Landrat mehr finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder. Denn ein Ende des Flüchtlingsstroms sei seiner Meinung nach nicht zu erwarten: "Wie hoch soll in Zukunft ein Zaun sein, der aufhält, was ein Mittelmeer nicht aufhalten kann?", stellt Dirk Neubauer eine Frage und spitzt zu: "Wer ist derjenige, der den ersten, der über den Zaun klettert, von diesem Zaun schießt, damit der Zaun hält? Also sind wir doch gut beraten oder wären wir gut beraten, wenn wir zu einem Konzept kommen: Wie gehen wir damit um."
Tunesier: "Für die Flüchtlinge gibt es keine andere Lösung"
Nach einem Konzept suchten Bund, Länder und Kommunen beim sogenannten Flüchtlingsgipfel Mitte Februar. Neben einer engeren Zusammenarbeit versprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): "Wir werden handeln und pragmatische Lösungen finden, um die vielerorts angespannte Unterbringungssituation zu lösen." Dafür will der Bund den Ländern weitere Immobilien zur Verfügung stellen. Mehr Geld soll es aber vorerst nicht geben. Das sorgte bei den Kommunen für Ernüchterung.
Die Situation ist angespannt – das merkt auch Ayoub in der Erstaufnahmeeinrichtung in Dresden. "Es ist ein großes Problem hier", sagt der Mann aus Tunesien und erklärt, dass er Diabetiker sei und in Tunesien keine Medikamente bekomme. Würde er in seiner Heimat bleiben, würde er sterben, sagt er. Dennoch: Aufgrund seines Herkunftslandes hat er kaum Chancen auf Asyl. Ayoub sagt: "Für die Flüchtlinge gibt es keine andere Lösung."
MDR (Matthias Pöls)