Ein alter Mann bedient ein Smartphone.
Herbert Thome mag es nicht, fotografiert zu werden - fotografiert lieber selbst mit seinem neuen Smartphone Straßen und Plätze seiner Stadt. Bildrechte: MDR/Sandra Thiele

13. Februar 1945 | Ein Zeitzeuge erzählt "An der Elbe sahen wir den ersten Toten"

06. Februar 2015, 17:46 Uhr

Herbert Thome ist ein waschechter Dresdner: Er liebt seine Heimatstadt und zog nie fort. Und das, obwohl er hier den - nach eigener Aussage - schwersten Tag seines Lebens verbrachte: den 13. Februar 1945. Als knapp Vierzehnjähriger erlebte er die alliierten Luftangriffe auf Dresden. Er harrte stundenlange im Luftschutzkeller aus, war erstmals mit dem Tod konfrontiert. Wie sich alles zugetragen hat, und was den Elektroingenieur trotz allem in Dresden hielt, erzählte der damals 83-Jährige Anfang des Jahres 2015 im Interview mit MDR SACHSEN.

Wie viel hat man vor dem Angriff vom Krieg in Dresden gemerkt?

Man dachte, Dresden wird wohl verschont bleiben aufgrund der Kultur, der Bauten und dem, was es hier so alles gab. Es hatte schon im Jahr 1944 kleinere Angriffe gegeben, in der Wilsdruffer Vorstadt zum Beispiel. Das war ja für Dresden eine Sensation. Da rannten die Leute alle hin und haben sich das angeguckt. [lacht] Und Fliegeralarm hatten wir auch öfters. Es wurde viel angekündigt, egal wie weit die Flieger runter kamen. Ansonsten merkten wir den Krieg am Mangel an Nahrungsmitteln. Es wurden Lebensmittelmarken verteilt. Abgesehen davon waren wir hier zufrieden.

Welche Erinnerungen haben Sie an den 13. Februar 1945?

Es war ein grauer, trüber Tag mit etwas Nieselregen. Meine Großeltern waren an diesem Faschingsnachmittag zum Kaffeetrinken aus Dölzschen zu uns gekommen. Am Abend weckten uns die Sirenen und die elf Familien des Hauses fanden sich - wie üblich bei Alarm - im Luftschutzkeller wieder. Vor der noch nicht verschlossenen Kellertür auf der Kellertreppe beobachteten mein Vater und zwei, drei andere Hausleute das Geschehen. Ich durfte auch einmal kurz schauen. Innerhalb weniger Minuten fielen die berühmten "Christbäume" vom Himmel. Es wurde mit einem Mal taghell. Da war uns klar: Heute wird’s was geben. Draufhin sind wir alle in den Luftschutzkeller rein und harrten der Dinge hinter der dicken Luftschutztür. Zuerst hörten wir die ersten Einschläge der Sprengbomben aus der Ferne. Die kamen dann immer näher, immer näher, immer näher. Dann: Staub und Putz rieselten von der Decke. In der Nachbarschaft musste es eingeschlagen haben. Die Menschen im Keller hockten zusammen und hingen ihren Gedanken nach - bis hin zum letzten Stündchen, was jetzt vielleicht geschlagen hatte. Mein dreijähriger Bruder Klaus schlief hingegen weiter.

Staub und Putz rieselten von der Decke. In der Nachbarschaft musste es eingeschlagen haben. Die Menschen im Keller hockten zusammen und hingen ihren Gedanken nach - bis hin zum letzten Stündchen, was jetzt vielleicht geschlagen hatte. Mein dreijähriger Bruder Klaus schlief hingegen weiter.

Herbert Thome

Die Einschläge ließen langsam wieder nach. Aus der Ferne hörten wir ein Entwarnungssignal und wir verließen den Keller wieder. Bei uns im Haus waren alle Fensterscheiben rausgeflogen. Das Haus gegenüber war von einem Sprengkörper getroffen - ein riesiger Bombentrichter war in das Haus gerissen. Schutt lag auf der Straße. Mein Vater ging mit mir raus, wir schauten uns um, wollten die vier Häuser in der Nachbarschaft anschauen, in denen mein Vater Hausmeister war. Da war noch alles in Ordnung. Ganz anders im Zentrum: Als wir in Richtung Altstadt blickten, sahen wir, dass alles lichterloh brannte.

Zurück in unserer Wohnung fanden wir Mutter erschüttert vor. Um sie herum lag vieles auf dem Boden. Aber sie war untröstlich wegen ihrer heruntergefallenen Stubenuhr, an der sie sehr hing. Die Relationen zu anderen Dingen waren verwischt in diesen Minuten.

Dann kam aber noch der zweite Angriff ...

Ja, in den darauffolgenden Minuten hörten wir aus der Ferne den nächsten Alarm. Es ging wieder zurück in den Keller. Die Einschläge waren dieses Mal furchterregend nah. Luftminen, sogenannte "Wohnblockknacker", verwüsten unsere Umgebung. Die rasierten ganze Straßenzüge weg. Auf die Sprengbomben folgten Brandbomben. Das Haus neben uns, die Hausnummer 2, fing Feuer. Dort wohnte der sogenannte Luftschutzwart. Er sagte uns: "Hier hilft nichts mehr. Wir können nur noch abhauen." Und das war ein entscheidender Fehler. Der Brand zog so ungehindert immer weiter zu uns rüber. Mein Vater sorgte nun dafür, dass mit vorher gesammelten Wasserreserven aus den Nachbarhäusern, unser Haus gerettet werden konnte.

Ich wurde auf den Boden geschickt. Mit HJ-Mütze und Schal um den Kopf gewickelt gegen herabfallende Ziegel und Funken nahm ich die "Feuerpatsche" in die Hand. Das war ein Besen mit feuchtem Lappen. Die näher kommenden Funken versuchte ich damit abzuwehren.

Als die Situation immer gefährlicher wurde und sich ein Feuersturm in den Straßen entwickelte, holte mich mein Vater wieder runter. Das Feuer zog den Sauerstoff aus der ganzen Straße. Wir konnten uns kaum auf den Beinen halten. Mein Vater schickte mich mit meiner Mutter und meinem Bruder weg in Richtung Elbe. Wir haben uns dann mit einem Wäschekorb durch den Sturm zum Käthe-Kollwitz-Ufer gekämpft. Wir standen dort die ganze Nacht bis es hell wurde unter den schönen Linden. Währenddessen versuchte mein Vater mit anderen Hausbewohnern, das Feuer einzudämmen. Das gelang letztendlich und er holte uns am Morgen wieder zurück ins Haus.

Das Nachbarhaus hingegen brannte tagelang herunter, Etage für Etage. Da konnte man zuschauen. Die angrenzende Brandschutzmauer kühlten wir mit eimerweise Wasser. Rund um die Uhr. Tagelang. Auch die Uhr meiner Mutter haben wir bald wieder in Ordnung gebracht.

Das Nachbarhaus brannte tagelang herunter, Etage für Etage. Da konnte man zuschauen. Die angrenzende Brandschutzmauer kühlten wir mit Wassereimern. Rund um die Uhr. Tagelang.

Herbert Thome

An den dritten Angriff kann ich mich nicht erinnern. Nur noch an die Aufklärungsflugzeuge am Morgen des 14. Februar.

Hat man nach diesem Tag noch an einen Sieg geglaubt?

Was in den Köpfen der Erwachsenen vorging, kann ich nicht sagen. Aber bei den Jungen hatte keiner so richtig den Glauben aufgegeben. In der Schule waren wir auf "Heil" und "Sieg" ausgerichtet.

Wie ging das Leben nach dem Angriff weiter?

An einem der nächsten Tage ging ich mit einem Bekannten die Umgebung erkunden. Uns zog es an die Linde, unter der ich mit meiner Mutter und Klaus in der Bombennacht Schutz gesucht hatte. Gleich daneben gibt es eine Straße zu den Elbwiesen. Dort sahen wir den ersten Toten. Er lag lang gestreckt da, zwei Meter davon eines seiner Beine.

Uns zog es an die Linde, unter der ich mit meiner Mutter und  Klaus in der Bombennacht Schutz gesucht hatte. Gleich daneben gibt es eine Straße zu den Elbwiesen. Dort  sahen wir den ersten Toten. Er lag lang gestreckt da, zwei Meter davon eines seiner Beine.

Herbert Thome

In unserer Wohnung gab es keine Zwischenwände mehr. Es war wie ein großes Zimmer. Wir hatten aber Glück: In der ersten Etage gab es eine unbewohnte Wohnung, die wir beziehen konnten.

Erst nach und nach bekam man das ganze Ausmaß der Zerstörung mit. In der ersten Zeit waren wir aber nie im Zentrum unterwegs. Dass Leichen am Altmarkt verbrannt wurden, konnten wir riechen. Der Geruch zog zu uns in die Johannstadt.

Etwa zwei Wochen lang hatten wir keinen Strom. Das größere Problem war aber das Wasser. Das holten wir aus einem Brunnen von "Eberlbräu", einer Brauerei am Böhnischplatz. Wir schleppten eimerweise Wasser durch Ruinen hinweg. Man musste immer Obacht geben, dass nichts auf einen hinabfiel. Das war nervenaufreibend.

Und wie sah es mit der Lebensmittelversorgung aus?

Es gab keinen Laden mehr für Lebensmittel. Durch eingekellerte Kartoffeln überlebten wir. Außerdem gab es am Böhnischplatz eine Essensausgabe der SS in einer Waschküche. Nach und nach stabilisierte sich die Lage wieder. Von einem normalen Leben, wie man es heute kennt, waren wir aber immer noch weit entfernt.

Eines Tages saß bei uns ein Affe auf dem Balkon, auf der Straße rannte ein Lama rum. Der Zoo war ja auch getroffen worden. Die Tiere irrten in der Stadt umher.

Eines Tages saß bei uns ein Affe auf dem Balkon, auf der Straße rannte ein Lama rum. Der Zoo war ja auch getroffen worden. Die Tiere irrten in der Stadt umher.

Herbert Thome

Was änderte sich für Sie an diesem Tag?

Der 13. Februar war mein letzter Schultag. In der Louisenstraße bin ich zur Volksschule gegangen. Ich habe nie wieder von meinen Klassenkameraden gehört - außer von einem einzigen. Seine Mutter ist an einer Rauchgasvergiftung gestorben, sein Vater war in Kriegsgefangenschaft. Die anderen aus der Klasse sind sicher umgekommen, viele lebten in der Altstadt. 

Wie oft müssen Sie heute noch an den 13. Februar 1945 denken?

Schlimm. Es war das einschneidendste Erlebnis. Die Erinnerungen daran verblassen nicht. Die zeitlichen Abläufe verwischen manchmal etwas, aber die Geschehnisse sind unvergessen. Auch wenn ich wieder davon rede, wühlt es mich auf.

Trotz dieser schlimmen Erlebnisse sind Sie Dresden immer treu geblieben ...

Ich liebe meine Stadt und wollte nie weg. Meine Frau war ja auch Dresdnerin. Und wir hatten beide unsere Arbeit hier.

Sie haben auch den Wiederaufbau der Stadt miterlebt. Ist der in Ihren Augen gut gelungen?

Dem Motto "Die DDR muss weg aus der Stadt" stimme ich nicht zu. Nach dem Krieg war man froh über jedes neue Haus, das gebaut wurde. Egal ob es aus heutiger Sicht städtebaulich gut oder schlecht ist. Wenn man so eine Stadt dermaßen darnieder gehen sieht, freut man sich über alles, was neu entsteht. Es ist eine Freude für mich, heute den Neumarkt zu sehen. Den Kulturpalast finde ich einwandfrei und auch die Häuser auf der Wilsdruffer Straße sind schön geworden. Was ich wirklich nicht so gelungen finde, ist der Postplatz. Das ist kein Platz mehr. Darum ist es wirklich schade. Damals gab es Leben hier.

Ein alter Mann bedient ein Smartphone
Am Postplatz (hier auf dem Display) findet er nicht viel Schönes. Bildrechte: MDR/Sandra Thiele

Dem Motto 'Die DDR muss weg aus der Stadt' stimme ich nicht zu. Nach dem Krieg war man froh über jedes neue Haus, das gebaut wurde.

Herbert Thome

Mit meiner Mutter sind wir vor dem Angriff sehr oft in die Stadt gegangen. Ich habe es ihr zu verdanken, dass sie mir meine Stadt zeigte und ich noch heute ein Bild von ihr habe - so wie sie vor der Bombennacht war.

Haben wir etwas aus diesem Krieg, der Zerstörung Dresdens gelernt?

Nein, die Leute lernen nicht aus dem Krieg. Es ist schlimm, was in der Welt passiert. Wenn man die Zeit von '45 bis heute betrachtet, ist das eine Schande. Die Neonazi-Züge zum Gedenken an die Zerstörung sind mir unerklärlich. Warum suchen sich solche Gruppen immer unsere schöne Stadt aus? Das bedauere ich sehr.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Thome*!

Danke! Machen Sie was Gutes draus.

*Name von der Redaktion geändert.

Mehr aus der Region Dresden

Kultur

Die ehemalige Kantine von Robotron.
Durch die geplanten Kürzungen im Kulturhaushalt der Stadt Dresden könnte auch die Zukunft der Robotron-Kantine in Gefahr sein, sagte Christiane Mennicke-Schwarz bei MDR KULTUR. Bildrechte: imago/Sven Ellger

Mehr aus Sachsen