Ausstellung Penis am Prunkkleid: Pikantes Detail lockt in Kurfürsten-Ausstellung
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18. November 2023, 20:46 Uhr
Ein Penis am schwarz-gelben Prunkkleid von Kurfürst August von Sachsen sorgt derzeit für Hingucker und manchen Lacher in einer Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Doch was steckt hinter dem Phallus und der farbigen Pracht?
Wer war August von Sachsen?
* 31.07.1526 in Freiberg
† 11.02.1586 in Dresden
Der Sohn Heinrichs des Frommen wurde 1553, nach dem Tod seines älteren Bruders Moritz, Kurfürst von Sachsen - ist aber nicht zu verwechseln mit August dem Starken, der später lebte. Unter Kurfürst August entwickelte sich Sachsen zum Musterland: Er schuf eine wirksame Verwaltung, führte unter anderem eine Berg-, Münz- und Kirchenordnung ein und gründete die "Kunstkammer".
Auf dem Reichstag zu Augsburg 1555 bemühte er sich maßgeblich um den Augsburger Religionsfrieden: Auf seine Initiative hin unterzeichneten 80 Reichsstände die Konkordienformel, die 1580 in das Konkordienbuch aufgenommen wurde und den Religionsfrieden sichern sollte.
Kurfürst August von Sachsen galt als patriarchalischer Landesvater ("Vater August"). Seine erste Frau wurde ihm zudem als "Mutter Anna" an die Seite gestellt, wodurch sich allgemein das Bild eines "fürstlichen Arbeits- und Amtsehepaars" etablierte. Aus der 37-jährigen Ehe mit Anna von Dänemark gingen 15 Kinder hervor, von denen jedoch nur drei Töchter und ein Sohn, der spätere Kurfürst Christian I., den Vater überlebten. Nach dem Tod Annas im Jahr 1585 heiratete August im Januar 1586 Agnes Hedwig, die Tochter des Fürsten von Anhalt.
August starb bereits wenige Wochen nach der Eheschließung im Februar 1586 an einem Schlaganfall, den er auf einem Jagdausflug erlitten hatte.
Quelle: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V.
"Hui, was ist das denn?", denken wahrscheinlich derzeit einige Gäste einer Ausstellung der kurfürstlichen Haute Couture im Dresdner Residenzschloss beim Blick in einen ganz besonderen Ausstellungsraum. Des Kurfürsten August von Sachsens heißestes Gewand zeigt einen Penis am Prunkkleid - genauer gesagt an der schwarz-gelben "Streifenhose mit Schamkapsel", wie das pikante Detail heißt. "Spitze für den Kurfürsten" heißt nicht nur die Ausstellung, sondern auch das, was dem Kurfürsten gestanden haben soll. Auf jeden Fall lässt es die Gedanken vieler Menschen derzeit kreisen und provoziert manchen Lacher.
Leibrock mit Penis provoziert angeregte Gespräche
Es folgen geistige Ergüsse einiger Betrachter der Ausstellung: Ein Paar steht vor der Vitrine mit dem Leibrock des Kurfürsten. Sie: "Das ist eine Penishalterung oder so - so als Unterstützung?" - Er: "Ich denke, damals gab's keine Unterwäsche." - Sie: "Aber das tut ja weh, wenn der jetzt so hängt." - Er: "Das weißt Du doch gar nicht". Die beiden rätseln darüber, was sie da gerade sehen: "Ist gefüttert - und sieht lustig aus!", findet sie. Ihr Mann denkt: "Das ist was gegen Inkontinenz."
Ein älterer Herr wird konkreter und sagt anerkennend: "Ich staune - vor allem über den starken Korpus. Die Brunftrute habe ich erst später entdeckt!" Er lacht selbst über seine Antwort, lupft die Brille von der Nase und denkt laut darüber nach, dass das Gemächt zwischen den Hosenbeinen ein Schild oder Schutz gewesen sein könnte. "Oder hat sich da nur jemand viel, viel größer gemacht als er war?"
Des Rätsels Lösung und die frühe Farbidee für Dynamo
Viele Vermutungen, gefährliches Halbwissen oder war der goldrichtige Tipp schon dabei? MDR SACHSEN hat nachgefragt, bei einem der's wissen muss: Marius Winzeler, Direktor des Grünen Gewölbes, Kunsthistoriker, Schweizer Sachse, der in Zürich groß geworden ist, bevor es ihn nach Görlitz verschlug. Mit ihm beginnt die Modereise in die Renaissance des 16. Jahrhunderts.
Wie oft beim Thema Mode führt die Antwort zunächst über die Dame an der Seite des Kurfürsten, Gemahlin Anna. Über sie sagt Marius Winzeler im Interview mit dem MDR SACHSENSPIEGEL: "Bei seiner Frau Anna können wir durchaus von so etwas wie einer Modeinfluencerin der Renaissance sprechen." Hat die modebewusste Gattin also etwa auf Äußerlichkeiten an Augusts Beinkleid so viel Wert gelegt?
Mode ist Status, ist Macht und Ausdruck gesellschaftlichen Niveaus gewesen, weiß Winzeler und schwärmt vom Leibrock (mit Schamkapsel) und Wams, die in der Ausstellung als Einzelstücke zu sehen sind - und doch damals, vor kapp 500 Jahren, eine Einheit bildeten und zusammen getragen wurden: "ein leuchtend gelber Seidenatlas". Präziser: Das Gewand ist nicht nur gelb, sondern schwarz-gelb - die Vorläufer der Vereinsfarben von Dynamo also? Nicht so weit gefehlt: "Denn diese Farbkombination war sächsisch-herzoglich und Kurfürst August hat das als Hoffarbe festgelegt und genutzt - deswegen heute das Stadtwappen von Dresden in dieser Farbe. Und darauf nimmt auch Dynamo heute Bezug."
Die Prunkkleider sind nicht nur wegen der Spitze besonders. Sie sind Teil des Staatsschatzes. "Es war August der Starke, der die Gewänder der Rüstkammer zur Aufbewahrung gegeben hat, dadurch sind sie erhalten geblieben", sagt Winzeler. Er ergänzt: "Sie sind seit mehr als 80 Jahren zum erstes Mal überhaupt zu sehen." So lange waren sie eingemottet, nachdem sie einige Jahre in der Sowjetunion waren. Ein Jahr Restaurationszeit haben die Textilrestauratorinnen der Schweizer Abegg-Stiftung nun gebraucht, bevor die Gewänder im jetzigen Glanz erstrahlen konnten.
Phallus: Teil der Männermode des 16. Jahrhunderts
Nun aber ans Eingemachte: Marius Winzeler spricht über das "signifikante Teil der Männermode des 16. Jahrhunderts", wie er es nennt - um gleich wieder die Spannung rauszunehmen: "Aber das beste Teil von Kurfürst von August war dort nicht drin!" Wie jetzt? Die Schamkapsel nur ein angenähtes Anhängsel? Mehr nicht? Winzeler nüchtern und mit Schweizer Präzision: "Darunter befindet sich eine Unterhose" - quasi als Schutz für die zarte Seite des Kurfürsten. Und noch was? "Nein", sagt Winzeler: "Es ist ein rein symbolisch-repräsentatives Element, das in der Herrenmode bis etwa 1600 unverzichtbar war und auch in Rüstungen nachgeahmt worden ist - aus Blech, aber mit der gleichen Funktion - oder Funktionslosigkeit".
Denn Scham, so der Schweizer Kunsthistoriker, entwickelte sich erst danach im 18. und 19. Jahrhundert, wie festgehaltene frivole Badeszenen aus der Renaissance belegten. Wir fassen zusammen: Es handelt sich um ein Symbol von Potenz, Macht oder Manneskraft. Beschwerden von Besuchern: "Nein, die sind bisher nicht zu uns vorgedrungen", so Winzeler - und: "Der gelbe Farbton ist auf natürliche Weise entstanden: aus Färberginster."
Und davon können sich die Betrachter bis zum 26. Februar mit eigenen Augen überzeugen - im Sponselraum im Neuen Grünen Gewölbe in Dresden im Residenzschloss ist die "Spitze für den Kurfürsten" ausgestellt.
MDR (Interviews: Adina Rieckmann)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 18. November 2023 | 19:00 Uhr