Landwirtschaft Agrargenossenschaft Radeburg trennt sich von Milchkühen
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20. Februar 2024, 17:46 Uhr
Bei Radeburg haben die Bauern schon immer Milchkühe gehalten - in der DDR wurden diese in der LPG zusammengeführt, später setzte die Agrargenossenschaft diese Tradition fort. Ende April ist aber Schluss. Aus wirtschaftlichen Gründen trennt sich die Genossenschaft von diesem Standbein. Fortan setzt der Betrieb auf Pflanzenproduktion und Biogas. 15 Mitarbeiter müssen sich einen neuen Job suchen.
- Bis Ende April sollen alle Milchkühe der Agrargenossenschaft verkauft sein und den Stall verlassen haben.
- Insgesamt 15 Mitarbeiter, darunter viele Melker und auch drei Azubis, müssen ihre Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsstelle wechseln.
- Die Zahl der in Sachsen gehaltenen Milchkühe nimmt aus wirtschaftlichen Gründen kontinuierlich ab.
Die Agrargenossenschaft Radeburg gibt ihre Milchviehhaltung auf. Vorstandsvorsitzender Denis Thomas sagte MDR SACHSEN, der Hauptgrund für die Anfang des Jahres getroffene Entscheidung seien die hohen Energiekosten im vergangenen Jahr bei gleichzeitig niedrigen Abnahmepreisen für die Milch durch die Molkerei. Die Landwirtschaftsbetriebe in Sachsen binden sich jeweils für drei Jahre vertraglich an eine Molkerei.
Thomas sagt, im vergangenen Jahr hätte die Agrargenossenschaft 150.000 Euro mehr für Energie zahlen müssen. Eine Kostensenkung zeichne sich auch in diesem Jahr nicht ab, sodass die Milchkuhhaltung nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sei.
Alle Milchkühe verlassen bis Ende April den Hof
Derzeit ist Herdenmanager Michael Großmann mit der Abwicklung der Milchkuhhaltung beschäftigt - eine Aufgabe, auf die der studierte Agrartechniker mit seinen 29 Jahren auch nicht unbedingt gefasst war, wie er auf Nachfrage einräumt. 450 Milchkühe sowie weitere Kälber und Färsen werden abgegeben - knapp 1.000 Tiere umfasste zuletzt der gesamte Bestand des Landwirtschaftsbetriebs im Landkreis Meißen. Die ersten Tiere seien bereits in die polnischen Masuren und nach Rheinland-Pfalz verkauft worden, so Großmann, der noch am selben Tag einen weiteren Viehhändler erwartete.
15 Mitarbeiter müssen sich neue Jobs suchen
Ende April sollen die letzten Milchkühe vom Hof sein. 15 Mitarbeiter in der Tierproduktion seien bereits gekündigt worden, darunter auch Herdenmanager Großmann. Sorge um seine Zukunft hat der junge Mann, der familiär an die Region gebunden ist, aber nicht. Es gebe mehrere Angebote, entschieden habe er sich noch nicht.
Vorstandschef Thomas sagte, auch die anderen 14 Mitarbeiter inklusive der drei Azubis hätten gute Jobaussichten. Thomas weiß um seine soziale Verantwortung und hat deshalb im Vorfeld viel mit Kollegen telefoniert und nach freien Stellen gesucht. Dennoch werde ein Großteil der gekündigten Beschäftigten der Landwirtschaft mit rollender Woche und Überstunden in der Erntezeit den Rücken kehren, bedauert er.
Bisheriges Grünfutter landet künftig in Biogasanlage
Die Agrargenossenschaft in Radeburg wird nach Angaben vom amtierenden Vorstandvorsitzenden Denis Thomas und seinem Vorgänger Rüdiger Stannek, der auch als Rentner noch nicht ganz von der Landwirtschaft lassen kann, aber den Verzicht auf die Milchproduktion verkraften. Mit gut 1.742 Hektar Ackerland und mehr als 525 Hektar Grünland sei man gut aufgestellt.
Die Erträge vom Grünland würde nun nicht mehr zu Futter, sondern in der eigenen Biogasanlage verwertet - "das, was die Kuh bisher gemacht hat, nur mit weniger Personalaufwand". Auf was die Kundschaft am Sitz in Großdittmannsdorf künftig verzichten muss, ist der Milchautomat zur Selbstbedienung - weil es ohne Milchkühe eben keine Milch mehr gibt.
Pläne für Stallneubau gekippt
Behalten will die Agrargenossenschaft bis zu 50 Mastrinder für die Fleischvermarktung, kündigte Thomas an. Eigentlich wollte die Agrargenossenschaft Radeburg bis vor wenigen Monate noch einen neuen Stall als Ersatz für die 1969 errichtete Anlage nach modernsten Anforderungen an das Tierwohl bauen - rund 250.000 Euro wurden in den vergangenen Jahren bereits in Planungen investiert.
Wegen des Vogelschutzgebietes - unter anderem brütet der geschützte Ortolan in der Umgebung - wären aber weitere 50.000 Euro für Umplanungen noch vor Baubeginn nötig gewesen. Hinzu wären weitere Kosten gekommen für Auflagen der Politik, etwa zum Abdecken von Mistlagern und Güllebecken.
Neue Kosten bei Abschaffung der Steuerbefreiung für Diesel
Die Trennung von der Milchviehhaltung war eine Entscheidung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sagen Stannek, Thomas und Großmann unisono. Von der Politik würden sie sich eine fairere Förderung und Subventionierung der Landwirtschaft - auch unter Berücksichtigung regionaler Kreislaufaspekte - wünschen. Verbraucher sollten ihrer Meinung nach regionale landwirtschaftliche Erzeugnisse mehr wertschätzen - verbunden mit der Bereitschaft, dafür auch höhere Preise zu zahlen.
Sollte die Abschaffung der Steuerbefreiung für den Agrardiesel tatsächlich vom Bundestag beschlossen werden, müsse die Agrargenossenschaft in Radeburg in diesem Jahr mit Zusatzkosten von 70.000 Euro kalkulieren. Zudem blicken die Landwirte kritisch auf Getreide aus der Ukraine, das zu niedrigen Preisen in die EU importiert wird. Man könne sich zwar auch in Radeburg dem Weltmarkt stellen, dann aber zu fairen Bedingungen, sagen die Bauern, die trotz aufgeheizter Stimmung in der Branche ihre Lage äußerst sachlich schildern.
Immer weniger Milchkühe in Sachsen
Die Zahl der Milchkühe in Sachsen und die der milchviehhaltenden Betriebe geht seit Jahren zurück, wie aus der Statistik hervorgeht. Wurden im Jahr 2000 noch fast 214.000 Milchkühe in Sachsen gehalten, betrug ihre Zahl im vergangenen Jahr nur 164.300. Die Zahl der Milchviehbetriebe sank im selben Zeitraum um 625 auf 1.048.
Jahr | Anzahl der Milchkühe | Anzahl der Milchkuh haltenden Betriebe in Sachsen |
---|---|---|
1990 | 383.930 | keine Angabe |
1992 | 249.080 | 2.974 |
2001 | 207.863 | 1.673 |
2020 | 174.958 | 1.112 |
2023 | 164.343 | 1.048 |
Laut sächsischem Bauernverband machen in konventionellen Milcherzeugerbetriebe die Futterkosten etwa 50 Prozent der Vollkosten aus und seien somit die Hauptkostentreiber. "Das größte Problem ist, dass sich der von den Molkereien ausgezahlte Milchpreis nicht an den Kosten der Erzeuger orientiert", so Referatsleiterin Tierische Erzeugung beim Verband, Juliane Streubel.
Die Molkereien bestimmten den Milchpreis anhand der Verwertungsmöglichkeiten ihrer Produkte. Damit unterliege der Milchpreis einer großen Volatilität. "Wenn der Milchpreis sinkt, sinken nicht gleichlautend die Kosten, was die Milcherzeugung schnell nicht mehr rentabel macht", erklärt Streubel.
Der Trend dürfte nach den Erfahrungen der Agrargenossenschaft anhalten. Denis Thomas wurde schon von drei Kollegen angerufen, die ihn danach fragten, wie eine Tierproduktion ordnungsgemäß und rentabel abgewickelt werden kann - denn auch dabei müssen die Bauern einige behördliche Hürden meistern.
Getreideanbau für viele Betriebe unerlässlich
Die Milchviehbetriebe in Sachsen haben laut Bauernverband "meist eine gute Flächenausstattung". Deshalb sei der Marktfruchtanbau (Obst-, Gemüse- oder Getreideerzeugnisse) "eine gute oder manchmal auch die einzige Alternative, um weiterhin Landwirtschaft zu betreiben". Einige Betriebe spezialisierten sich auch, "indem sie nur noch einen Teil der Tierproduktion abdecken, wie beispielsweise die Jungrinderaufzucht in Kooperation mit anderen Betrieben oder die Mutterkuhhaltung". Auch Investitionen in die Produktion erneuerbarer Energien seien ein "durchaus attraktiver Weg".
MDR (lam)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 20. Februar 2024 | 16:30 Uhr