SOS-Notruf Handys funken falschen Alarm an Sachsens Rettungsleitstellen
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13. September 2023, 17:28 Uhr
Es ist Zeit, zur Frühschicht zu gehen. Ich will die Familie nicht wecken und tappe leise zum dunklen Hausflur. Jetzt bloß nicht den Lichtschalter mit der Klingel verwechseln. Der Handybildschirm wirft ein fades Licht an die Wand, nur geht das Display zu schnell wieder aus. Verschlafen drücke ich mehrmals den Knopf an der Seite. Auf einmal schrillt es laut durchs Haus. Oh Nein! Ich habe mit meiner Drückerei den Notruf ausgelöst. Ein Schreck für mich und ein Ärgernis für die Rettungsleitstelle.
- Allein in der Dresdner Rettungsleitstelle gehen täglich rund 100 Fehlalarme von Handys ein.
- Lässt sich der Handybesitzer nicht kontaktieren, wird im Zweifelsfall ein Rettungseinsatz ausgelöst.
- Viele wissen nicht von der Notruffunktion auf ihrem Handy - Aufklärung ist nötig.
Täglich gehen in der Dresdner Rettungsleitstelle um die hundert Notrufe ein, die keiner gewollt hat. Sie wurden versehentlich mit dem Handy ausgelöst. "Wir registrieren täglich zwischen 80 und 180 automatische Notrufe in der Leitstelle, welche unabsichtlich ausgelöst wurden", so die Antwort aus der Leitstelle auf Anfrage von MDR SACHSEN. Das passiere zum Beispiel mit einem sogenannten Pocket-Call, etwa wenn das Handy in der Hosentasche steckt und man ungünstig darauf sitzt. Aber auch auf dem Tisch liegend seien schon fälschlich Notrufe in den Äther geschickt worden.
Etliche neue Smartphones haben eine sogenannte Notruf-SOS-Funktion. Die Idee dahinter: In lebensbedrohlichen Lagen können - ohne das Handy erst durch Pincodes entsperren zu müssen - durch mehrmaliges Drücken des Lautstärkereglers oder Anschaltknopfes an der Geräteseite oder auch mittels einer Kombination beider Tasten die 112 gerufen und dabei die Standortkoordinaten übertragen werden.
Im Zweifelsfall kommt der Rettungswagen
Solch ein Handynotruf alarmierte in der vergangenen Woche den Rettungsdienst zu einer Straße in Crimmitschau. Vor Ort fanden die Mitarbeiter niemanden - wahrscheinlich war einem Radfahrer das Telefon heruntergefallen, so die Vermutung. "Meist kann man ja zurückrufen und die Sache auflösen", sagt Steffen Kühnert von der Integrierten Leitstelle (IRLS) Zwickau.
In diesem Fall konnte die Stelle den Anrufer nicht erreichen. "Wenn niemand rangeht, müssen wir im Zweifelsfall den Rettungswagen schicken." Laut Kühnert kommen die automatischen Fehlnotrufe regelmäßig vor und bisher fällt ihm kein Beispiel ein, wo diese Funktion nützlich war.
Aufklärung ist hier wichtig, damit die Fehlalarme weniger werden.
Kühnert rechnet damit, dass es künftig noch häufiger klingeln wird, weil Handys zunehmend diese Funktion besitzen. Hier sei Aufklärung der Handynutzer wichtig, damit die Fehlalarme weniger werden. Viele wüssten gar nicht, dass es das Notruf-SOS gibt und wie man es am Gerät ein- und ausschalten kann.
Nicht auflegen bei versehentlichem Notruf
Aufklärung geben zum Beispiel Erste-Hilfe-Kurse. Karsten Olzmann von der Erste-Hilfe-Schule in Dresden spricht in seinen Kursen das Thema Notruf-SOS regelmäßig an. Wenn man vom Fahrrad stürze und man selbst keine Hilfe rufen kann, sei ein automatischer Alarm etwa nach einer Sturzerkennung durch das Handy eine Top-Funktion, so Olzmann. Auch seien die GPS-Daten des Smartphones sehr präzise, so dass man schnell gefunden werden kann.
Wenn man aus Versehen den Notruf auslöse, solle man unbedingt am Telefon bleiben und die Sache aufklären. "Da reißt einem niemand den Kopf ab und für die Leitstelle ist das Thema in zehn Sekunden erledigt."
Bei der IRLS Dresden häufen sich seit März die Fehlanrufe aus den Mobilfunknetzen. Dort wurden schon ganz verrückte Tage durchgemacht: Eine Zeit lang waren die Rettungskräfte mit täglich bis zu 500 Handy-Fehlnotrufen beschäftigt. Das ist laut IRLS von der Menge her etwa die Hälfte des sonst üblichen Notrufaufkommens. Grund sei eine Fehlfunktion bei einem Handytyp gewesen. "Nach seitens der Telefonhersteller bereitgestellten Updatefunktionen ist die Zahl rückläufig", heißt es aus der Dresdner Leitstelle.
Viele Fehleinsätze durch automatische Notrufe
Die Leitstelle Chemnitz hat vom Frühjahr bis zum Sommer eine Verdopplung von Fehlanrufen festgestellt - von rund 2.200 auf 4.400 im Monat. Sie führt diesen Anstieg auf von Technik fehlinterpretierte, automatisch abgesetzte Notrufe zurück. "Dadurch ist der Anteil der Fehleinsätze im Verhältnis zu Real-Notlagen unverhältnismäßig hoch und bindet gegebenenfalls dringend an anderer Stelle benötigtes Personal in den Leitstellen und Rettungsdiensten", heißt es dort aus der Zentrale.
Grundsätzlich seien Systeme wie ein Notfall-SOS vom Handy aber in der Lage, Gefahren- und Notsituationen zu erkennen und könnten helfen, Leben zu retten - "insbesondere in Situationen, bei denen keine anderen Personen vor Ort sind und den Notruf wählen könnten", so die IRLS Chemnitz zur Frage, ob man die Funktion deaktivieren sollte. Hier komme es auf das persönliche Risiko an: Als Alleinstehender mit Vorerkrankungen sei die Situation anders zu bewerten als zum Beispiel als gesunder junger Mensch.
SOS-Funktionen blockieren Leitungen
Die Leitstelle in Dresden sieht Notruf-SOS auf dem Handy sehr kritisch: "Diese Notrufe binden personelle Ressourcen, da jeder Notruf erst einmal angenommen und abgefragt werden muss." Echte automatische Notrufe beliefen sich im einstelligen Bereich.
Schlechte Erfahrungen habe man mit Notruffunktionen unter Nutzung von Bewegungssensoren zur Sturzkennung gemacht. Notrufe seien beim Skilaufen, Klettern oder Achterbahnfahren rausgegangen, ohne dass die Handybesitzer es bemerkten. Für Leute, die erst später in ihrem Handyverlauf den falschen Notruf bemerken, hat man in Dresden eine klare Botschaft: "Um die Arbeitsbelastung der Leitstelle zu senken, bitten wir, einen erneuten Anruf zur Klarstellung zu unterlassen."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 14. September 2023 | 08:30 Uhr