Ungewöhnliche Herberge Alte Diesellok in Wiesenburg wird zum Hotel

02. Oktober 2021, 12:00 Uhr

Eine Lok, drei Zimmer: Eine dicke Babelsbergerin, wie Bahnfans die Streckenlokomotiven der Baureihe V180 nennen, lädt im sächsischen Wiesenburg direkt am Haltepunkt der Erzgebirgsbahn zum Übernachten ein. Ein Unternehmer hat einiges an Geld und viel Herzblut ins nach seinen Angaben einzige Lokhotel Europas gesteckt. Wer genau hinschaut, erkennt viel Liebe fürs Detail. Angesprochen werden sollen aber nicht nur Eisenbahnenthusiasten, sondern auch Radler, Familien mit Kind und Rollstuhlfahrer.

In der sächsischen Ortschaft Wiesenburg im Landkreis Zwickau öffnet an diesem Wochenende das nach Betreiberangaben einzige Lokhotel Europas. Der Metallbauunternehmer Sven Schürer hat drei Jahre an dem Projekt gefeilt. Die ausrangierte Streckendiesellokomotive steht genau dort, wo sich von 1858 bis 2017 das Empfangsgebäude der Station "Wiesenburg (Sachs)" an der Bahnstrecke Zwickau – Johanngeorgenstadt befand. Die sechsachsige Diesellok haben Schürer und sein Team entkernt und mit Hilfe mehrerer regionaler Firmen konserviert, gedämmt und natürlich für die Übernachtungsgäste konzipiert und eingerichtet.

Wiesenburg im Landkreis Zwickau Wiesenburg war bis 1999 eine eigenständige Ortschaft mit den Ortsteilen Wiesenburg, Wiesen und Schönau. Mit einer Gemeindegebietsreform wurde das Dorf im Tal der Zwickauer Mulde der Stadt Wildenfels angegliedert, die damit erstmals in ihrer Geschichte Eisenbahnanschluss erhielt. Von Wiesenburg aus sind das Westerzgebirge, das Vogtland und die Stadt Zwickau schnell zu erreichen.

Drei unterschiedlich ausgestattetet Zimmer

Drei Zimmer gibt es nun in der gut 19 Meter langen Lok, alle individuell gestaltet, mit Liebe zum Detail und stetem Bezug zur Eisenbahn. Alle Zimmer haben Klimaanlage, Kühlschrank, Kaffeemaschine und ein Badezimmer. Wlan und Sat-TV erlauben auch im Tal der Zwickauer Mulde Kontakt zur Außenwelt. Jedes Zimmer hat eine kleine Terrasse vor der Tür. E-Biker vom Mulderadweg können die Batterien ihrer Räder laden. Wer es abends gemütlich mag, kann die Feuerstelle neben dem Lokhotel anheizen. Es ist vorgesehen, dass die Gäste kontaktlos ein- und auschecken und auch bezahlen. Bei Fragen soll aber Personal telefonisch zu erreichen sein. Die Betreiber haben ihre Firma und ihre Wohnhäuser gleich nebenan.

Platz für Kids und Zugang für Rollstuhlfahrer

Auf Nachfrage räumt Unternehmer Sven Schürer ein, dass ihm seine Fachkenntnis aus dem Metallbau und das Know-how seiner Firma beim Umbau der Lok zum Hotel durchaus geholfen haben. Immerhin gibt es keinerlei Standard-Ausstattung für Zimmer in Form eines Lokkastens. Die Klimatisierung und die zu öffnenden Fenster sind an ein anderes Projekt des Unternehmers angelehnt, der auch Expeditionsfahrzeuge ausrüstet. Das Lokhotel soll ganzjährig geöffnet sein und bei jeder Witterung eine angenehme Atmosphäre bieten.

Jedes Zimmer ein Unikat

Eines der Zimmer ist für Familien mit Kind eingerichtet, wobei das Kinderbett an einer Lokfront liegt und ein wenig an eine Abenteuerspielhöhle erinnert. Platz wäre dort auch für zwei kleinere Kinder, die gut miteinander klar kommen. "Wir wollten es cool einrichten", sagt Schürer. Das mittlere Zimmer ist komplett barrierefrei. Rollstuhlfahrer gelangen über einen Lift ins Lokhotel. Das dritte Zimmer wiederum lässt besonders die Herzen der Eisenbahnfans höher schlagen. In ihm ist ein Teil des Lokführerstands erhalten – und es hat Ausblick zum heutigen Haltepunkt der Erzgebirgsbahn, die einmal in der Stunde talwärts nach Zwickau und einmal in der Stunde bergwärts ins Westerzgebirge mit Anschluss ins böhmische Karlovy Vary (Karlsbad) fährt. Von wenigen Sonderzügen im Jahr und zwei Übergabe-Güterzügen pro Woche abgesehen, geht es an der Bahnstrecke eher beschaulich und vor allem ruhig zu.

Bahnhof abgerissen - Lok bekommen

"Zur Lok bin ich eher durch Zufall gekommen", erinnert sich Sven Schürer. Er hat das Wiesenburger Bahnareal gekauft, das die Deutsche Bahn nicht mehr benötigte. Im Bahnhofsgebäude sollte eigentlich betreutes Wohnen eingerichtet werden, allerdings erwies sich die Bausubstanz letztendlich als zu marode. Das Gebäude wurde abgerissen. "Ein Eisenbahner fragte mich damals, willst du keine Lok für die freie Fläche", so Schürer. Wenig später überführte die Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn aus dem Erzgebirge die Lok nach Wiesenburg. Die Logistikfirma hatte die Maschine als Ersatzteilspender zuvor ausgeschlachtet. Der Metallbauunternehmer organisierte ein Gleis und dann einen Kran. Anfangs sei nur ein Lokdenkmal geplant gewesen, in Erinnerung an den einst dichten Güter- und Personenverkehr auf der Strecke.

"Erst als die Lok hier stand, hatte ich die Idee für das Lokhotel", so Schürer. Rund 400.000 Euro Investition, viel Planung und schwierige Gespräche mit Baubehörden folgten. Letztendlich hat der Unternehmer eine Zusage über 200.000 Euro EU-Fördermittel für Tourismus im ländlichen Raum erhalten. Am 4. Oktober startet die Buchung. "Wir haben aber schon viele Gutscheine verkauft und sind zuversichtlich, dass unser Projekt aufgeht", sagt Sven Schürer, der bis zum letzten Tag vor der Eröffnung selbst noch Hand angelegt und letzte Arbeiten koordiniert hat.

Baureihe V180 Die Baureihe V 180 (später Baureihe 118) wurden zwischen 1960 und 1970 als vier- und sechsachsige Version im VEB Lokomotivbau "Karl Marx" in Potsdam-Babelsberg gebaut. Sie sollten die alten Dampfloks bei der Deutschen Reichsbahn nach und nach ablösen. Wenige Exemplare gingen als Werksloks direkt an die Chemieindustrie in der DDR. Später beschlossen die Länder im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, schwere Diesellokomotiven nur noch in der Sowjetunion und in Rumänien zu bauen. Die Produktion der "dicken Babelsbergerin" wurde nach etwa 400 Maschinen eingestellt. Als Wiesenburger Lokhotel wird die Lok 118 386 genutzt. Nach Stationen in Jüterbog, Berlin, Wustermark, Karl-Marx-Stadt, Erfurt und Merseburg wurde sie am 11. Juni 1998 ausgemustert und gelangte zehn Jahre später an ihren heutigen Standort. Aktuell sind nach Recherchen von Bahnenthusiasten noch neun Maschinen dieser Baureihe betriebsfähig bei Vereinen und Privatbahnen. (Lokhotel V180, Eisenbahnfachliteratur)

Ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten in Sachsen (Auswahl)

In Sachsen gibt es noch andere ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten.

  • In Lunzenau in Mittelsachsen steht das Kofferhotel "Kofftel". Wer dort übernachtet, mag es eher spartanisch und kann gut mit wenig Platz auskommen. Da die Schlafkoffer nicht beheizt sind, wird nur von April bis Oktober vermietet.
  • In Wolkenstein im Erzgebirge empfängt ein Zughotel seine Gäste. Verschiedene Waggons bieten Schlafmöglichkeiten in unterschiedlichen Komfortkategorien. Einige Mitropa-Schlafwagen waren früher in halb Europa unterwegs. Auch ein Waggon des sächsischen Königshauses aus dem Jahr 1895 wird vermietet. Es ist ganzjährig geöffnet.
  • Im Sebnitzer Ortsteil Altendorf am Rande der Sächsischen Schweiz gibt es seit diesem Sommer eine Ferienwohnung in einem ausrangierten Antonow-Flugzeug. Der Doppeldecker ist klimatisiert.

Quelle: MDR/lam

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | SACHSENSPIEGEL | 01. Oktober 2021 | 19:00 Uhr

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