Rückblick ohne Reue Günter Wetzel über seine DDR-Flucht mit dem Heißluftballon
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03. Oktober 2020, 06:00 Uhr
Vor mehr als 40 Jahren glückte zwei Ehepaaren aus Pößneck die spektakuläre Flucht mit einem Heißluftballon in den Westen. Günter Wetzel, Konstrukteur und Erbauer des Ballons, lebt heute in Chemnitz. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung blickt er zurück auf seine Flucht aus der DDR.
Aus Günter Wetzel, aufgewachsen in einem kleinen thüringischen Dorf in der Nähe von Pößneck, hätte ein ganz normaler DDR-Bürger werden können - wenn es den überhaupt gegeben hat. Doch sein Vater floh in den Westen, als Günter fünf Jahre alt war. Mit einer derartigen "Belastung" in der Familie war das Physikstudium, das er eigentlich nach der Schule aufnehmen wollte, ein Unding. Wetzel wurde Maurer, arbeitete später beim Forst, schließlich als Kraftfahrer. Zumindest ein kleines Stück vom beruflichen Traum war nach beharrlichen Bemühungen verwirklicht: die Beschäftigung mit Technik und Elektrotechnik. Mehr war beruflich nicht zu erreichen.
Es reicht!
Neben den beruflichen Einschränkungen hatte Günter Wetzel auch andere Gründe für seine Fluchtpläne. Fehlende Meinungs- und Reisefreiheit gehörten für Günter Wetzel dazu. Irgendwann habe die Westverwandschaft bei einem Besuch eine Illustrierte mit bunten Bildern von einem Ballontreffen mitgebracht. Tüftler Wetzel kam die Idee, gemeinsam mit einer befreundeten Familie einen solchen Ballon für die Flucht in den Westen selbst zu bauen.
Nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen und mit dem Wissen, dass die Stasi ihnen auf den Fersen war, nähte Wetzel aus einzelnen Stoffbahnen die mehr als 1.300 Quadratmeter große Hülle auf einer alten Nähmaschine zusammen. Er schweißte eine kleine Plattform für die Flüchtlinge zusammen und konstruierte einen Brenner. Mit diesem nunmehr dritten selbst gebauten Heißluftballon erreichten die beiden Familien am 16. September 1979 nach einer halbstündigen Luftfahrt fast unversehrt westdeutschen Boden in der Nähe des bayerischen Ortes Naila.
Da sich Wetzel bei der Landung verletzt hatte, verbrachte er die ersten Tage im Krankenhaus. So spielte sich der Medienrummel zuerst ohne ihn ab. Dann aber habe ein Termin den anderen gejagt. Den Wetzels wurde das zu viel und sie zogen sich für viele Jahre aus der Öffentlichkeit zurück.
Im ersten Jahr im Westen hatte ich ein großes Loch im Kopf, weil so viel los war.
Günter Wetzel konnte seinem beruflichen Traum doch noch näherkommen. Er schulte zum Kfz-Mechaniker um und arbeitete ab 1990 für verschiedene Automarken als Technischer Gebietsleiter im Außendienst - nun wieder im Osten des wiedervereinigten Deutschlands. "Ich habe die Entwicklung im Osten nach der Wende aus erster Hand mitverfolgt", sagt Wetzel. "Da hat mir auch meine Herkunft als 'Ossi' geholfen." In der ersten Zeit sei da sehr stark differenziert worden von den Kunden. Seit 2018 genießt Wetzel den "Unruhestand" als Rentner, denn jetzt sei er wieder mehr als Zeitzeuge bei verschiedenen Veranstaltungen gefragt.
Wenig Interesse im Osten
Günter Wetzel hat zum 30. Jahrestag seiner Flucht eine Webseite erstellt, auf der er die Geschichte seiner Flucht detailliert schildert. "Ich hatte mich ja dreißig Jahre aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ich fand, dass es Zeit ist, das alles zu veröffentlichen", sagt er. Seitdem seien sehr viele Anfragen nach Vorträgen gekommen. "Vor allem Schulen haben mich angefragt. Ich war viel im Westen unterwegs seitdem, sogar in Schweden und Norwegen."
Nur aus den neuen Bundesländern kam keine einzige Anfrage.
Wetzel kann sich das geringe Interesse im Osten nicht erklären. Aber zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung wäre es seiner Meinung nach wichtig, Zeitzeugen zu befragen. Immerhin hat Wetzel eine Einladung zu einem Vortrag am 8. Oktober 2020 in den "Q-Stall" nach Eibenstock erhalten. Dort sollte er eigentlich schon im März zu Gast sein. "Durch Corona musste die Veranstaltung verschoben werden, aber jetzt freue ich mich darauf", sagt er.
Es ist gut so, wie es gekommen ist
Günter Wetzel sieht die Deutsche Einheit positiv. "Natürlich sind Fehler gemacht worden von der Treuhand und auch von der Politik. Aber es gab ja keine Blaupause dafür." Es sei ein wenig so gewesen wie heute mit Corona. Die Politik habe damals und heute schnell handeln müssen und manchmal liege sie mit ihren Entscheidungen daneben.
Aber an der Wiedervereinigung führte 1990 kein Weg vorbei. Und das Positive an diesem Schritt überwiegt auf jeden Fall.
Sehnsucht nach Pößneck habe er im Westen nicht gehabt. "Heimat ist immer dort, wo man Freunde hat. Die habe ich in Oberfranken gleich nach der Flucht gefunden." Insofern sei das vielleicht so etwas wie seine Heimat. "Aber jetzt fühle ich mich in Chemnitz wohl und habe hier auch schon einen großen Bekanntenkreis", sagt Günter Wetzel abschließend.
Die Geschichte der beiden Familien Wetzel und Strelzyk ist 2018 von Michael Herbig verfilmt worden.
Quelle: MDR/tfr
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSENSPIEGEL | 03.10.2020 | 19:00 Uhr
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