Flucht eines Olympiasiegers - Hans-Georg Aschenbach

20. Juni 2011, 13:06 Uhr

Skispringer Hans-Georg Aschenbach holte für die DDR olympisches Gold, WM-Titel und viele weitere Siege. 1988 floh er in den Westen - mit brisantem Wissen.

"Platz eins bis sechs war immer das politische Ziel. Wenn du darunter heimgekommen bist, gab's Dresche. Dann warst du auch ein politischer Versager, hast deinen Auftrag nicht erfüllt." Das berichtet der ehemalige Skispringer Hans-Georg Aschenbach heute über seine aktive Zeit in der DDR. Diesem Druck war er irgendwann nicht mehr gewachsen.

Immer auf dem Podest

Nachdem Aschenbach den Skispringer Helmut Recknagel in seinem Heimatort Brotterode auf der Inselbergschanze hatte siegen sehen, stand für den Thüringer, Jahrgang 1951, fest: Auch er wollte auf Skiern hoch hinaus. Er folgte seinem ein Jahr älteren Bruder Dietmar in die Skispringergruppe, trainierte mit besonderem Ehrgeiz und konnte bald erste Erfolge verbuchen.

In den 70er-Jahren gewann Aschenbach alles, was ein Skispringer gewinnen konnte: Vierschanzentournee, Weltmeisterschaft, olympisches Gold. Sein Markenzeichen war lange Zeit eine selbstgestrickte Pudelmütze. Als Militärarzt betreute er später die Wintersport-Nationalmannschaft. "Immer waren wir auf dem Podest. Die anderen haben nur hinterher geschaut", erzählt er heute. "Wir sind im Ausland auch ausgepfiffen worden - weil wir einfach immer zu gut waren."

Ideale Bedingungen für den Sport

Dass die DDR-Sportler so gut waren, hatte Gründe: Die Trainingsbedingungen waren für Aschenbach, Weißflog und die anderen Skispringer in den 80er-Jahren nahezu perfekt. Der Staat aktivierte alle Reserven, um im Sport Weltspitze zu sein. "Wir sind aus dem Haus zur Schanze gegangenen und da war alles gerichtet", erinnert sich Jens Weißflog. "Die Bedingungen damals waren einfach ideal für den Sport." Und die DDR rüstete weiter auf. Zwei neue Institute wurden gegründet: Das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten in Berlin entwickelte hochmoderne Trainings- und Wettkampfgeräte. Das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport FKS in Leipzig widmete sich der Trainingswissenschaft, Diagnostik und Medizin.

Ständige Versuchung: Flucht oder Rückkehr?

Für neue Sportplätze reichte das Budget der DDR nicht. "Aber im Leistungssport war alles da", erzählt Hans-Georg Aschenbach. Die sportlichen Erfolge sollten die Leute von den eigentlichen Problemen im Land ablenken. Doch trotz der guten Bedingungen sahen sich die Sportler bei jedem Einsatz im "kapitalistischen Ausland" der Versuchung ausgesetzt: Bleibe ich in der DDR oder haue ich ab?

Aschenbachs Skispringerkollege Jens Weißflog dazu: "Der Gedanke war allgegenwärtig, wenn man im westlichen Ausland war: Wie wär’s jetzt, wenn du einfach hier bleibst. Und diese Möglichkeit gab es jederzeit."

Doch viele wollten lieber zurück zu ihren Familien, auch die außerordentlich guten Trainingsbedingungen wollten sie nicht mehr missen. Trotzdem nutzten Sportler und Trainer immer wieder die Gelegenheit, und blieben im Westen - mal aus politischen, mal aus persönlichen Gründen. Mehr als 600 waren es in den 40 Jahren DDR. Hans-Georg Aschenbach war einer von ihnen. Im August 1988 war er mit der DDR-Nationalmannschaft beim Mattenspringen in der Bundesrepublik zu Gast und nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Zuvor war er der Stasi bereits wegen "kleinbürgerlicher Tendenzen" und "charakterlicher Schwächen" aufgefallen. Die Indizien: gefärbte Haare, ein Ohrring.

Brisantes Wissen im Gepäck

Was der ehemalige Weltklasse-Skispringer in den Westen mitnahm, war das Wissen um die Anwendung leistungssteigernder Medikamente im großen Stil. Der "Bild am Sonntag" erzählte er von den Gepflogenheiten im DDR-Leistungssport: Kinder und Jugendliche würden gedopt, ohne dass sie und ihre Eltern es wüssten. Als einer der Ersten beschuldigte er den DDR-Sport des "flächendeckenden Dopings". "Die Aggressivität, die die Dopingpillen bewirkten, hielt zehn Tage bis zum Wettkampf an - aber auch zehn Nächte. Manchmal war's kaum zum Aushalten. Diese Dinger waren gleichzeitig so potenzsteigernd, dass du plötzlich angefangen hast zu onanieren - im Wald, kurz vor dem Training hinter der Schanze, irgendwo", erinnert sich Aschenbach.

Während Ost-Funktionäre daraufhin internationale Komplikationen befürchteten, war die Reaktion im Westen eher verhalten. Der Internationale Skiverband sah sich "nicht direkt gefordert". Der Kölner Doping-Analytiker Manfred Donike erklärte seinerzeit der "Süddeutschen Zeitung", für ihn sei das alles nichts sensationell Neues: "Nach meiner Erfahrung gibt es seit elf oder zwölf Jahren immer wieder neue Berichte dieser Art von geflüchteten DDR-Athleten." Auch Sportjournalisten, die sich mit dem Thema Doping intensiv befasst haben, sprechen von Verschweigungstaktiken: "Der 'Inner Circle' des bundesdeutschen Sports behielt die Neuigkeiten deshalb für sich, weil jede Äußerung darüber wie ein Bumerang hätte zurückkommen können. Ähnlich wie heute in dopingbelasteten Sportarten regierte damals das Kartell des Schweigens."

Quelle

Seppelt/Schück, "Anklage: Kinderdoping. Das Erbe des DDR-Sports", Berlin 1999

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