Bund-Länder-Streit Braunkohleausstieg vor 2038? Warum in Sachsen die Alarmglocken schrillen
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05. Januar 2023, 05:30 Uhr
Gaskrise, Energiekrise, gestiegene Energiekosten: Deutschland hat 2022 so viel Kohle verbraucht, wie nie. Trotzdem ist Bundeswirtschaftsminister Habeck für ein vorzeitiges Ende der Kohleförderung auch im Osten. Er hat Neujahr die Debatte dazu wieder angefacht. Die Ministerpräsidenten der betroffenen Kohleregionen lehnen das Vorziehen ab und verweisen auf den gesetzlich festgelegten Ausstieg bis zum Jahr 2038. Warum ist die Debatte so emotional?
- Bundeswirtschaftsminister Habeck für vorzeitigen Kohleausstieg im Osten - Kritik von Ministerpräsident Kretschmer.
- Widerwillen in Sachsen, beim Ausstieg Druck zu machen - auch wegen vieler Strukturwandel-Milliarden.
- Kritik an Kretschmers Verweigerungshaltung aus eigener Koalition.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will darüber reden, den Kohleabbau auch im Osten vor 2038 zu beenden. Nach ersten Reaktionen aus der sächsischen Landespolitik ist klar: Er wird zu Gesprächen über einen Kohleausstieg 2030 im Freistaat vom Regierungschef nicht mit offenen Armen empfangen werden. Das wiederum sorgt für erneute Spannungen in der sächsischen Regierungs-Koalition.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) reagierte prompt auf die energetische Neujahrsoffensive von Robert Habeck. Im Gespräch mit der BILD-Zeitung sagte Kretschmer: "Ich verstehe nicht, warum der Bundeswirtschaftsminister am ersten Tag des Jahres diese Diskussion aufmacht. Deutschland hat ein Energieproblem."
Strukturstolpern statt Strukturwandel?
Und Sachsen hat ein Problem mit dem Strukturwandel. Auch das ist ein Grund für den sächsischen Widerwillen, diesen noch zu beschleunigen. 17 Milliarden Euro nimmt der der Bund allein für das Lausitzer Revier auf sächsischer und brandenburgischer Seite für den Strukturwandel in die Hand. Doch die Effekte sind bisher eher mager: Die zwei Großforschungseinrichtungen, die nach Sachsen kommen sollen, existieren bisher nur auf dem Papier. Und so ist es auch mit vielen anderen Projekten.
Eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Antonia Mertsching (Die Linke) an die sächsische Landesregierung hat ergeben, dass bis zum Herbst nur 14 Strukturwandelprojekte tatsächlich umgesetzt werden oder wurden, zusätzlich zu vier Landesprojekten. Der Landrat des Landkreises Görlitz, Stephan Meyer (CDU), konkretisiert für die Lausitz: rund 600 Millionen Euro an Fördermitteln seien bisher beantragt, rund 100 Millionen bereits bewilligt und nur 1,4 Millionen Euro bereits ausgezahlt. Antonia Mertsching spricht angesichts dieser Zwischenbilanz von einem "Strukturstolpern".
Kritik an Fördermittelvergabe
Im Mitteldeutschen Revier, das im Südraum von Leipzig und in Teilen in Sachsen-Anhalt liegt, sieht es ähnlich aus. Auch der stellvertretende Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung in Dresden, Joachim Ragnitz, äußert sich im rbb kritisch zum bisherigen Einsatz von Steuergeldern für den Strukturwandel: "Eigentlich lief schon schief, wie das Strukturstärkungsgesetz aufgebaut ist, dass nämlich Unternehmensinvestitionen nicht gefördert werden, dafür sehr viele weiche Standortfaktoren, die aber keine Arbeitsplätze bringen."
So werden mit Geldern für den Strukturwandel die Touristinformation in Görlitz digitalisiert, die Talsperre in Quitzdorf saniert oder eine historische Dampflokomotive der Zittauer Schmalspurbahn für Leichtölfeuerung umgebaut. Ob so tausende Arbeitsplätze kompensiert werden können, die durch den Kohleausstieg wegfallen werden?
Bedeutung des Beschäftigungssektors Braunkohle sinkt
Dabei ist der Beschäftigungsfaktor Braunkohle längst nicht mehr so wichtig für die Lausitz wie er es vor Jahren noch war. Laut aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind rund 8.000 Menschen im Bergbau im Lausitzer Revier beschäftigt, davon 3.000 auf sächsischer Seite. Insgesamt sind nach diesen Zahlen also 1,5 Prozent der Beschäftigten in der sächsischen Lausitz im Bergbau tätig. Vor 30 Jahren sah das noch ganz anders aus: Da waren im Lausitzer Braunkohlebergbau noch rund 65.000 Menschen in Lohn und Brot. Vielleicht hängt auch damit zusammen, dass die Arbeitslosigkeit im Osten von Sachsen nach wie vor am höchsten ist? Der Strukturwandel findet in der Lausitz eigentlich schon seit Jahrzehnten statt - und das nicht im positiven Sinne.
Kohleausstieg in Sachsen auch emotionale Frage
Deshalb ist die Frage des Kohleausstiegs in Sachsen auch eine sehr emotionale Frage. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer steht unter einem politischen und historischen Druck, den mancher Politiker aus dem Westen wohl schwer nachvollziehen kann. Für Kretschmer, der selbst aus der Lausitz stammt und der hier vor Jahren sein Bundestagsdirektmandat an die AfD verlor, steht auch seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Schließlich hat er den sächsischen Wählern versprochen: Der vom Bund ausgehandelte Kohlekompromiss gilt.
Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU, Grüne und SPD in Sachsen geschlossen haben: "Wir wollen schrittweise bis 2038 aus der Kohle aussteigen. (…) Wir wollen dieses Ziel ohne soziale Brüche, aber mit vielen neuen zukunftssicheren Arbeitsplätzen erreichen. Die Menschen in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier erwarten von uns, dass wir weiter an ihrer Seite stehen und die Kumpels nicht im Stich lassen."
Vor diesem Hintergrund ist es kaum vorstellbar, dass Michael Kretschmer große Lust hat, mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck über einen vorzeitigen Kohleausstieg 2030 auch in Sachsen zu verhandeln. Auch wenn der grüne Koalitionspartner in Sachsen gehörig Druck macht.
Der Landesvorstand schreibt in einer Stellungnahme: "Wir erwarten von Ministerpräsident Kretschmer und allen Ost-Ministerpräsidenten, dass sie die wirtschaftliche und klimawissenschaftliche Realität anerkennen: spätestens ab 2030 wird die Braunkohle nicht mehr wirtschaftlich sein und auch nicht mehr kompatibel mit den Klimazielen im Energiesektor. (…) Wir kritisieren die Verweigerungshaltung von Ministerpräsident Michael Kretschmer mit Blick auf das Gesprächsangebot von Wirtschaftsminister Robert Habeck." Deutlicher kann man den Riss, der durch die sächsische Kenia-Koalition geht, wohl kaum ausdrücken.
MDR (kk)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR UM 11 | 03. Januar 2023 | 11:24 Uhr