Ein Rotstift ist vor dem Text "sparen" zu sehen.
Der Landkreis Görlitz hat kein Geld mehr und wirtschaftet auf Pump mit Krediten. Für dieses und nächstes Jahr macht er ein Minus von insgesamt 90 Millionen Euro. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Armin Weigel

FAQ Leere Kasse im Landkreis Görlitz: Woher kommt jetzt das Geld?

31. August 2023, 12:05 Uhr

Keine Sternradfahrt im Sommer, weniger Jugendförderung, abgelehnte Sammeltaxis beim Schülerverkehr und ein Theater, das wegen fehlender Unterstützung überlegt, ganze Sparten zu schließen. Die prekäre Finanzlage des Görlitzer Landkreises schlägt sich auf die Lebensqualität in der Region nieder. Kann der Landkreis pleitegehen? Und wer ist schuld?

Wie geht es dem Görlitzer Landkreis?

Dem Landkreis Görlitz geht es schlecht. Die Geldeinnahmen reichen bei Weitem nicht aus, um die Ausgaben zu stemmen. Der Kreis hat keine Rücklagen. Ein Kredit über 75 Millionen Euro ist in den nächsten Wochen aufgebraucht. Das Minus im Haushalt beträgt laut Landrat Stephan Meyer (CDU) in diesem und im nächsten Jahr zusammen rund 90 Millionen Euro.

Kann der Landkreis pleitegehen?

Nein. Weder Landkreise noch Gemeinden können wirklich pleitegehen. "Das verhindert die Finanzausstattungsverpflichtung der Länder gegenüber der kommunalen Ebene", erklärt der Sprecher des Deutschen Landkreistags, Markus Mempel.

Kreise erhalten ihre Einnahmen zu etwa 40 Prozent über die Kreisumlage der Städte und Dörfer und zu etwa 60 Prozent über die Finanzzuweisung des Bundeslandes. Letztere dürfe nicht zu knapp ausfallen. Denn Landkreise können sich fehlendes Geld nicht einfach über eine höhere Kreisumlage aus den Gemeinden ziehen - "sie müssen immer auch auf die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden achten", so Mempel.

Kann ein Landkreis selbst Geld erwirtschaften?

"Im größeren Stil Einnahmen zu generieren, um aus einer strukturellen Unterfinanzierung herauszukommen, geht im Grunde nicht", so Landkreistagssprecher Mempel. So hätte der Verkauf vom Tafelsilber wie zum Beispiel Anteilen an Energieversorgern einen Einmaleffekt, der aber das strukturelle Problem nicht behebt.

Auch Gebührenerhöhungen brächten nichts, "weil dieses Instrument nicht zur Einnahmenbeschaffung gedacht ist und immer an die tatsächlichen Kosten für die jeweilige Verwaltungsdienstleistung gebunden ist".

Welche Auflagen bestehen für Görlitz?

Die Landesdirektion Sachsen hatte als Aufsichtsbehörde den Haushalt für dieses Jahr als "nicht genehmigungsfähig" eingestuft. Der Landkreis ist damit in der Schwebesituation einer "vorläufigen Haushaltsführung". Das bedeutet, er darf nur Zahlungen leisten, zu denen er rechtlich verpflichtet ist oder die unaufschiebbar sind, wenn notwendige Aufgaben weitergeführt werden müssen, heißt es aus der Landesdirektion. Dazu gehört die Zahlung von Sozialleistungen. "Die anstehenden Zahlungen für Bürgerinnen und Bürger stellen wir auf jeden Fall sicher", sagt Kreiskämmerer Thomas Gampe.

Wo kann Görlitz noch sparen?

Man habe in den vergangenen 15 Jahren den Kreishaushalt durchkonsolidiert, sagt der Linken-Landtagsabgeordnete Mirko Schultze, der seit vielen Jahren auch im Kreistag sitzt. "Meine Fantasie ist hier tatsächlich am Ende. Wir bekommen auch von der Landesdirektion keine Sparvorschläge mehr", so der Görlitzer.

Man könnte das Theater schließen und den ÖPNV auf Schülerringverkehr umstellen, konstruiert Schultze ein extremes Szenario. Aber das würde die Lage nur für zwei oder drei Jahre verbessern. Und dann ginge es wieder los.

Meine Fantasie ist hier tatsächlich am Ende. Wir bekommen auch von der Landesdirektion keine Sparvorschläge mehr.

Mirko Schultze Görlitzer und Landtagsabgeordneter der Linken

Werden Bauvorhaben auf Eis gelegt?

Bereits laufende Investitionen können durchgeführt werden, betont der Kreiskämmerer Gampe. Aufgrund der angespannten Haushaltslage seien aber ohnehin keine wesentlichen neuen Investitionen für 2023 geplant. Eine Ausnahme bilde der Rettungsdienst: Hier würden die Investitionen aber vollständig über die Krankenkassen refinanziert.

Weil der Landkreis Görlitz keinen genehmigten Haushalt hat, können keine neuen Bauvorhaben begonnen werden. Da in diesem Jahr dem Kreis auch keine Fördermittel für den Schulhausbau zugewiesen wurden, liegen die hier geplanten Bauarbeiten ohnehin auf Eis.

Wie geht es weiter?

"Die haushaltslose Zeit ist sehr unbefriedigend für alle Mitarbeiter und erschwert das fachliche Handeln massiv", sagt der Görlitzer Landrat Meyer. Aber die Abstimmungen zwischen dem Freistaat und der Landkreisverwaltung zur Genehmigung des Haushaltes liefen konstruktiv. So hatte sich Meyer Mitte August mit Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) beraten.

Die haushaltslose Zeit ist sehr unbefriedigend für alle Mitarbeiter und erschwert das fachliche Handeln massiv.

Stephan Meyer Landrat Landkreis Görlitz

Landrat des Landkreises Görlitz,  Stephan Meyer (CDU)
Stephan Meyer (CDU), Landrat des Landkreises Görlitz Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Ziel sei, dass das Land mit einer sogenannten "Bedarfszuweisung" Geld in den Landkreis pumpt. Dies ist laut Meyer eine Ausnahme. Die müsse gut begründet sein und erfordere die Zustimmung der kommunalen Verbände. "Wir werden zeitnah die finale Zeitschiene besprechen, um die Genehmigung des Haushaltes im frühen Herbst zu erreichen. Die lange Verfahrensdauer ist unbefriedigend, aber liegt nicht in unserer Hand", so Meyer.

Wie schwierig ist die Situation in anderen Landkreisen?

Auch wenn in den anderen sächsischen Landkreisen die Haushalte stehen, ist dort ebenfalls die Lage angespannt. In den Kreisen seien die Sozialausgaben sprunghaft gestiegen und in den Städten und Gemeinden die Personal- und Sachkosten durch die Inflation gestiegen, erklärt der Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetages, Bert Wendsche (parteilos).

Die sächsischen Städte und Gemeinden sehen die Entwicklung ihrer eigenen Haushalte und jene der Landkreise mit großer Sorge.

Bert Wendsche Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetages

Bert Wendsche, Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetags
Der Radebeuler Bert Wendsche ist Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetags. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Robert Michael

Die Landkreishaushalte seien zu fast 60 Prozent durch ihre Sozialausgaben geprägt. "Bund und Länder können nicht immer neue soziale Aufgaben und Standards auf die Landkreise und Kreisfreien Städte übertragen, ohne diese vollständig auszufinanzieren. Es bedarf daher einer höheren Finanzierung der auf die Kommunen übertragenen Aufgaben durch Bund und Land", verlangt Wendsche.

Besteht das Problem nur in Sachsen?

"Ja. Es ist ein sächsisches Problem", sagt der Linken-Landtagsabgeordnete Schultze. Die Finanzausstattung der Kommunen durch den Freistaat sei zu knapp bemessen. Die sächsische Regierung konsolidiere ihren eigenen Haushalt auf Kosten der Kreise und Kommunen, lautet Schultzes Vorwurf. Dass es ausgerechnet Görlitz so hart trifft, liege an der strukturschwachen Region mit ihrem hohen Altersdurchschnitt.

Bereits im vergangenen Jahr hatte der Landkreis Görlitz Klage beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Er verlangt neun Millionen Euro mehr aus dem sächsischen Finanzausgleichsgesetz.

MDR (ama)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Radioreport | 25. August 2023 | 18:00 Uhr

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