Blick über Herrnhut via Drohnenaufnahme.
Der Zinzendorfplatz in Herrnhut: Die Stadt gilt als Vorbild für die weltweiten Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine und als Musterbeispiel einer religiösen Planstadt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Unesco-Entscheidung Herrnhut: "Wo ist denn hier das Welterbe?"

26. Juli 2024, 10:21 Uhr

Das Unesco-Welterbe-Komitee hat am Freitag drei weitere Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine in die Welterbe-Liste aufgenommen. Neben Bethlehem in den USA und Gracehill in Irland gehört dazu auch Herrnhut in der Oberlausitz. Sie bilden gemeinsam mit dem dänischen Christiansfeld, das bereits seit 2015 Welterbe ist, eine länderübergreifende Welterbestätte. Was aber ist an Herrnhut so einzigartig?

Rund um den Zinzendorfplatz in Herrnhut ist es in diesen Ferientagen sehr ruhig. Es ist ein schlichter Platz mit dem Kirchensaal und einer kleinen Grünfläche samt Brunnen in der Mitte, am Rand stehen weiße und hellgelbe Gebäude. Auf den ersten Blick alles nicht sehr spektakulär. Und dennoch ist es besonders. Denn es ist so etwas wie die Muttersiedlung der Herrnhuter Brüdergemeine, die ihre Ideen von einer christlichen Gemeinschaft von hier aus in die Welt getragen hat.

Einheitliche Architektur

Dazu gehörte auch die charakteristische Architektur, die sogar einen eigenen Namen hat: Der Herrnhuter Barock. Sie findet sich in allen Siedlungen der Brüdergemeine wieder, sagt Architekt Daniel Neuer. Der Herrnhuter hat die Welterbe-Bewerbung mit vorbereitet. Typisch sei eine grau-weiße schlichte Fassade mit einheitlichen Fenstern und Türen. Es seien immer die gleichen Maße verwendet worden, egal ob in Herrnhut oder im amerikanischen Bethlehem. "Wir können also hier eine Tür oder ein Fenster aushängen und können es in Bethlehem einhängen. Es passt genau."

Es wurden immer die gleichen Maße verwendet, egal ob in Herrnhut oder im amerikanischen Bethlehem. Wir können also hier eine Tür oder ein Fenster aushängen und können es in Bethlehem einhängen. Es passt genau.

Daniel Neuer Architekt

Bildergalerie Herrnhut: Von der Idee Zinzendorfs zum Welterbe

Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde.
Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde.
Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Herrnhut
Nikolaus Graf von Zinzendorf hatte das marode Schloss 1721 von seiner Großmutter gekauft und es in einem schlichten Stil sanieren lassen, der später alle Siedlungen der Brüdergemeine prägte. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde.
Auch die Wirtschaftsgebäude, wie hier der ehemalige Stall, sind im selben Stil gehalten. Schloss und Stall wurden seit 2002 orginalgetreu restauriert. Jetzt werden sie für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde.
Auch die Scheune soll in den kommenden Jahren saniert werden. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Im Herrnhuter Ortsteil Berthelsdorf steht das Zinzendorf-Schloss. Hier begann Anfang des 18. Jahrhunderts die Geschichte der Brüdergemeinde.
Dafür wurden 180.000 historische Dachziegel gesammelt und durch ehrenamtliche Helfer geputzt. In diesen Wochen beginnt die Dachdeckung.Auch Architekt Daniel Neuer engagiert sich für das Schloss Berthelsdorf. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Blick über Herrnhut via Drohnenaufnahme.
Der Zinzendorfplatz in Herrnhut von oben: Man sieht den Kirchensaal der Brüdergemeine in der Mitte. An der Seite stehen die früheren Gemeinschaftsgebäude wie das Brüderhaus und das Schwesternhaus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Herrnhut
Typisch ist die grau-weiße Fassade, wie hier am Kirchensaal. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Kirchensaal der Brüdergemeine Herrnhut
Der Kirchensaal ist ebenfalls weiß gehalten. Er wurde in den vergangenen Jahren aufwändig saniert. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Herrnhut
Große Tradition in der Brüdergemeine hat auch die Bildung und eigene Schulen. Die Gebäude des Zinzendorf-Gymnasiums sehen zwar alt aus, wurden aber neu gebaut. Sie stehen ebenfalls am Zinzendorfplatz. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Herrnhut
So oder so ähnlich sehen viele Straßen in den Brüdergemeinen aus. Diese hier ist in Herrnhut. Bildrechte: MDR/Viola Simank
Herrnhut
Die Herrnhuter Sterne sind bisher die bekanntesten Botschafter der Brüdergemeine. Sie werden in Herrnhut produziert und ziehen bereits viele Besucher an. Wieviel Besucher kommen werden, um sich über das Welterbe zu informieren, ist noch ungewiss. Bildrechte: MDR/Viola Simank
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Siedlung mit Wiedererkennungswert

Zu verdanken haben das die Herrnhuter dem Gründer der Brüdergemeine, Nikolaus Graf von Zinzendorf. Er hatte 1721 ein baufälliges Schloss in Berthelsdorf von seiner Großmutter gekauft, nur gut zwei Kilometer vom heutigen Herrnhut entfernt. Zinzendorf ließ es nach seinen Vorstellungen restaurieren, erzählt Daniel Neuer: Eine schlichte weiße Fassade ohne Stuck, auf das Wesentliche reduziert. "Zinzendorf hat mit dieser an allen Orten fast identischen Architektur ein, wie wir heute sagen würden, Corporate Design, eine Marke geschaffen." Das sei für die Mitglieder der Brüdergemeine wichtig gewesen, wenn sie an andere Orte gefahren seien. Dann hätten sie das gesehen, was sie auch schon von zu Hause kannten.

Zinzendorf hat mit dieser an allen Orten fast identischen Architektur ein, wie wir heute sagen würden, Corporate Design, eine Marke geschaffen.

Daniel Neuer Architekt

Auch das Schlossgelände und die angrenzenden historischen Häuser aus jener Zeit gehören deshalb mit zum Weltkulturerbe-Gebiet Herrnhuts. Trotz ihrer Bedeutung als Muttersiedlung der Brüdergemeine wäre Herrnhut alleine aber nicht auf die Liste des Unesco-Welterbestätten gekommen, sagt Architekt Neuer. Es sei auf den Verbund mit den anderen drei Siedlungen in den USA, Irland und Dänemark angekommen. "Deshalb wäre es auch keine neue Ernennung, sondern eine Erweiterung des bestehenden Welterbe-Standortes im dänischen Christiansfeld um drei weitere Siedlungen." 

Weltweite Verbundenheit der Brüdergemeine

Diese weltweite Verbundenheit betont auch Peter Vogt, Pfarrer der Brüdergemeine in Herrnhut. Die vier Siedlungen stünden beispielhaft für das globale Netzwerk religiöser Planstädte der Brüdergemeine. Ebenso wichtig sei für die Weltererbe-Bewerbung aber auch eine lebendige kulturelle Tradition gewesen, in diesem Fall das Leben der Brüdergemeine. "Für die Unesco ist es wichtig, dass dieses Lebendige heute noch da ist." Die Gebäude seien heute noch authentisch, weil hier Gemeindeglieder zusammenkommen zum Gottesdienst oder Gespräch. Außerdem sei man weiter weltweit vernetzt.

Für die Unesco ist es wichtig, dass dieses Lebendige heute noch da ist. Dass die Gebäude auch heute noch Authentizität haben, weil hier Gemeindeglieder zum Gottesdienst oder Gespräch zusammenkommen. Außerdem gibt es weiterhin die weltweite Vernetzung.

Pfarrer Peter Vogt Brüdergemeine Herrnhut

 

Herrnhut in der Oberlausitz 29 min
Bildrechte: mdr
29 min

Der Film zeigt, wie die Herrnhuter stolz oder auch unsicher abwägen, was sie mitbringen, um als Kulturerbestätte von Weltrang gesehen zu werden.

MDR Dok Sa 27.07.2024 18:15Uhr 29:18 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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Wie will Herrnhut sein Welterbe vermitteln?

Für das Welterbe in Herrnhut braucht es also einen zweiten Blick. Die Stadt und die Brüdergemeine arbeiten aber bereits daran, wie sie den Gästen das Thema vermitteln wollen. Das sei nicht ganz einfach, gibt Bürgermeister Willem Rieke zu. "Wenn man als Gast den kleinen Ort Herrhut sieht, denkt man vielleicht, wo ist denn hier jetzt das Welterbe? Da muss man etwas genauer hinschauen." Eine erste kleine Broschüre gibt es deshalb schon, in dem die Besonderheiten aller vier Siedlungen der Brüdergemeine vorgestellt werden, die künftig zum Welterbe-Netzwerk gehören sollen. Außerdem ist eine Ausstellung an mehreren Stellen in Herrnhut geplant, die über die Hintergründe der Brüdergemeine-Siedlung informiert. Langfristig soll es auch ein Besucherzentrum geben.

Willem Rieke, Bürgermeister Herrnhut
Der Bürgermeister von Herrnhut, Willem Rieke. Bildrechte: MDR/Viola Simank

Wenn man als Gast den kleinen Ort Herrhut besucht, denkt man vielleicht, wo ist denn hier jetzt das Welterbe? Da muss man etwas genauer hinschauen.

Willem Rieke Bürgermeister Herrnhut

Innere Ruhe soll bleiben

Den ganz großen Ansturm an neuen Besucherinnen und Besuchern erwarten die Herrnhuter aber nicht, sagt Pfarrer Peter Vogt. Das sei auch ganz gut so, denn um zu verstehen, was die Brüdergemeine ausmache, brauche es Zeit und Ruhe. "Herrnhut hat eine innere Ruhe, strahlt Frieden aus. Wenn jetzt sehr viele Leute herkommen, die das alle sehen und spüren wollen, dann würde genau das verloren gehen." Unter anderem deshalb habe es anfangs auch Vorbehalte wegen der Welterbe-Bewerbung gegeben. Auch Befürchtungen, dass die Brüdergemeine zum Museum wird, wurden laut. "Aber als klar war, dass das nicht der Fall ist, haben wir auch gerne gesagt: Welterbe ist ok." Inzwischen freuen sich die meisten Herrhuter über die Bewerbung. Am Sonnabend auf dem Zinzendorfplatz soll mit einem Bürgerfest gefeiert werden.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 26. Juli 2024 | 19:00 Uhr

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