Fachkräftemangel Personalnot in Apotheken: Wer kann künftig in Sachsen überhaupt noch Fiebersaft anrühren?
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02. Januar 2023, 18:22 Uhr
In den sächsischen Apotheken werden derzeit viele Medikamente knapp, die Angestellten kommen beispielsweise deswegen kaum mit dem Anrühren von Fiebersäften hinterher. Und in vielen Apotheken stellt sich derzeit die Frage, wer das überhaupt übernehmen soll, denn das Personal ist knapp, Lösungen ebenso.
- Es verlassen nicht genug junge Apotheker die Hochschulen, um den Bedarf zu decken.
- Apotheker fordert Nachwuchs-Initiativen und Patenprogramme, um wachsenden Fachkräftemangel zu beheben.
- Stationäre Apotheken wollen gegenüber Online-Handel mit Flexibilität und medizinischer Expertise punkten.
Göran Donner stellt ein. Er betreibt eine Apotheke in Dippoldiswalde, sein Team besteht aus einer weiteren Apothekerin, einer Pharmazieingenieurin und mehreren "Pharmazeutisch-Technischen/Kaufmännischen-Assistentinnen" (PTA und PKA). Sein Team könnte durchaus noch weitere Mitglieder vertragen, doch es mangelt an Fachkräften.
Es rücken nicht genug junge Fachkräfte nach
Wie Göran Donner erklärt, muss derzeit nicht nur er kreativ werden, um Nachwuchs für seine Apotheke zu gewinnen. "In Leipzig werden pro Jahr nur 48 Apothekerinnen und Apotheker ausgebildet. Außerhalb der größeren Städte haben wir kaum eine Chance, einen oder eine der 48 zu bekommen“, sagt er. Zwar gibt es auch Ausbildungsstätten in Halle, Greifswald und Berlin etwa, aber auch diese bilden nicht genug aus, um den Fachkräftebedarf zu decken.
In Leipzig werden pro Jahr nur 48 Apothekerinnen und Apotheker ausgebildet. Außerhalb der größeren Städte haben wir kaum eine Chance, einen oder eine der 48 zu bekommen.
Verband sucht Fachkräfte in Sachsen
Göran Donner kennt sich aus, ist er doch nicht nur selbst Apotheker, sondern auch stellvertretender Vorsitzender der Sächsischen Landesapothekerkammer (SLAK). Diese vereint derzeit 924 Apotheken im gesamten Freistaat, dient dem Austausch und der Interessenvertretung. Der Verband macht auch Lücken deutlich.
183 Apothekerinnen und Apotheker, 185 Pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) und 34 Pharmazieingenieure werden derzeit in Sachsen gesucht. "Dies sind nur die Stellenangebote im Online-Stellenmarkt der SLAK, der Bedarf kann durchaus größer sein", heißt es aus dem Verband auf Anfrage von MDR SACHSEN.
Lücke wird in den kommenden Jahren größer
Qua Gesetz muss jede Apotheke von einem studierten Apotheker oder einer Pharmazeutin geleitet werden, nur unter ihrer Aufsicht dürfen Pharmazeutisch-Technische-Assistenten Rezepturen anrühren. In Ostdeutschland konnten in den Jahren seit der Wiedervereinigung vor allem sogenannte Pharmazieingenieure den Mangel an Apothekern ausgleichen.
Wie Göran Donner erklärt, handelt es sich damit um einen Hybridberuf zwischen Apotheker und PTA, der in der DDR an Fachschulen gelehrt wurde. "Die Pharmazieingenieure können Apotheker bis zu vier Wochen im Jahr vertreten", erklärt Göran Donner, so kommen seiner Ansicht nach auch kleine Apotheken, die sich nicht zwei festangestellte Apothekerinnen leisten können, gut durchs Jahr.
Der Haken: bis 2030 werden die meisten Pharmazieingenieurinnen in Rente gegangen sein, schon jetzt werden es weniger. Es werden also in den kommenden Jahren noch mehr Apothekerinnen und Apotheker in Sachsen gesucht.
Warum Stellenausschreibungen nicht reichen
Reine Stellenausschreibungen bringen laut Göran Donner nur wenig, um Nachwuchs in die sächsischen Apotheken zu locken. "Eigentlich muss man noch vor den Universitäten anfangen. In meiner Apotheke sind wir zum Beispiel ziemlich aktiv bei Schülerpraktika", erzählt er.
Sobald ein junger Mensch Interesse bekundet und auch eine gewisse Begabung zeigt, könne man etwa als Apotheke eine Patenschaft übernehmen, ihn während des Abiturs begleiten und dann vielleicht auch während des Studiums mit Büchern aushelfen, den Kontakt halten. Wie Göran Donner erzählt, studieren derzeit drei Menschen Pharmazie, von denen er hofft, dass mindestens einer von ihnen zurück nach Dippoldiswalde kommt.
Nicht nur Apotheken suchen Apothekerinnen
Die Konkurrenz um Fachkräfte ist groß, erklärt er. Denn nicht nur Apotheken haben Bedarf an Apothekerinnen und Pharmazeuten, sondern auch an Hochschulen, in Verwaltungen und vor allem aber in der Wirtschaft bekommen die Fachleute schnell eine Anstellung.
Und dann ist da noch der wirtschaftliche Druck, dem die Branche ausgesetzt ist. "Corona, Medikamentenknappheit und auch der Druck vom Onlinehandel machen vielen Kollegen zu schaffen", sagt Göran Donner.
Apotheker wollen mehr sein als Lückenfüller
Wie der Apotheker schildert, sehen sich viele Vertreter seiner Branche zunehmend als Lückenfüller. Viele Menschen kaufen in Online-Apotheken ein und kommen nur für die Medikamente in die Apotheke vor Ort, die sie im Internet nicht bekommen, manche Betäubungsmittel etwa.
"Wir sind doch nicht nur die Ausputzer. Ein Online-Handel kann auch den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, der Kontakt kann im Ernstfall Leben retten", sagt der stellvertretende Verbandsvorsitzende.
Eine Kollegin etwa hatte kürzlich Besuch von einem Kunden, der über Sodbrennen klagte, erzählt der Apotheker. Sie habe dann nachgefragt, um dem Mann das passende Medikament zu geben und wurde beim Nachfragen stutzig. Kurzum: Der Mann stand kurz vor einem Herzinfarkt, die Apothekerin erkannte die Zeichen und rief einen Krankenwagen. Der Mann wurde gerettet.
Aber wir sind doch nicht nur die Ausputzer. Ein Online-Handel kann auch den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, der Kontakt kann im Ernstfall Leben retten.
Optimismus für die Zukunft der Branche
Wegen solcher Geschichten wie die der Kollegin bleibt Göran Donner trotz der Herausforderungen optimistisch. "Jede Apotheke verfügt über ein Labor, wir können uns schnell orientieren. Gleich zu Beginn der Coronapandemie konnten wir etwa schnell hektoliterweise Desinfektionsmittel herstellen", sagt er.
Auch die derzeitige Knappheit an Fiebersäften nimmt er gelassen. "Das ist hart für die betroffenen Familien. Gleichzeitig könnte man jedem zweiten Kind auch mit Wadenwickeln helfen", sagt er. Schlimm werde es erst, wenn etwa Krebsmittel nicht mehr verfügbar seien. "Wir sollten alles daran setzen, deren Produktion in Deutschland zu behalten", so Donner.
Gleichzeitig wünscht er sich, dass sich mehr junge Leute für den doch sehr anspruchsvollen Beruf der Pharmazeutin oder des Apothekers entscheiden und auch in Sachsen bleiben, um die Apotheken am Leben zu halten und so auch den Menschen vor Ort zu helfen.
MDR (sho)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 02. Januar 2023 | 19:00 Uhr