
Tierschutz Krankhafte Sucht: Ohne Hilfsangebote lässt sich Animal Hoarding nicht lösen
Hauptinhalt
19. März 2025, 05:38 Uhr
Fälle von Animal Hoarding steigen und stellen Veterinärämter und Tierheime vor große Herausforderungen. Das Phänomen ist bislang jedoch kaum erforscht, Hilfsangebote für Betroffene nicht vorhanden. Das Problem zu lösen, sei deshalb schwierig, kritisiert ein Gesundheitsforscher.
- Bislang ist das Phänomen Animal Hoarding noch kaum erforscht.
- Menschen, die Tiere sammeln, merken nicht, dass sie die Tiere quälen.
- Weil es noch keine Hilfsangebote gibt, kann das Problem nicht gelöst werden. Viele Sammler werden direkt wieder rückfällig.
Im Dezember 2024 wurden rund 130 Hunde aus einer Tierpension in Bad Lauchstädt befreit. Im Januar fand man auf einem Magdeburger Grundstück 400 tote und 600 verwahrloste Schafe. Dazu 27 Hunde. Animal Hoarding nennt man die krankhafte Sucht, Tiere zu sammeln. Während die Fallzahlen dem Deutschen Tierschutzbund zufolge steigen, ist über das Phänomen an sich bislang nur wenig bekannt. Als ein "weißer Fleck auf der Landkarte" bezeichnet Arzt und Gesundheitsforscher Michael Christian Schulze die Forschungslandschaft zum Thema.
Deshalb ist er Teil einer Gruppe der TU Dresden, die zum Thema Animal Hoarding forscht, um dann eine Präventionsstrategie zu erarbeiten. Institutionen wie der Deutsche Tierschutzbund und der Verband der beamteten Tierärzte sind ebenfalls beteiligt. Im Interview erklärt Michael Christian Schulze, was Animal Hoarder ausmacht und wie Betroffenen geholfen werden kann.
MDR SACHSEN-ANHALT: Man spricht von Animal Hoarding, wenn Menschen viele Tiere halten und diese nicht mehr richtig versorgen können. Warum macht jemand so etwas?
Michael Christian Schulze: In Amerika wurde Ende der 1990er-Jahre eine Typologie erstellt. Da gibt es den Rettertyp, den Züchtertyp, den Pflegertyp und den Ausbeutertyp. Die Rettertypen sind Menschen, die sich selbst als Tierschützer sehen, was sie anfangs möglicherweise auch sind. Sie nehmen zum Beispiel ausgesetzte Tiere auf. Und irgendwann läuft diese Haltung aus dem Ruder. Die Tiere werden immer mehr, weil sie sich beispielsweise unkontrolliert vermehren. Ab einem bestimmten Punkt können sie nicht mehr adäquat versorgt werden, weil die Hoarder selber möglicherweise psychisch erkranken oder finanziell nicht mehr in der Lage dazu sind. Der Züchter-Typ züchtet Tiere, weil er sie verkaufen möchte, wird aber nicht so viele los wie gedacht. Der Pflegertyp hat "eine übertriebene Tierliebe" und hält deshalb zunehmend viele Tiere. Und der Ausbeutertyp, der aber eher selten vorkommt, gilt als "empathieloser Soziopath". Diese Typologie steht meines Erachtens allerdings auf einer schwachen Datengrundlage.
Über Michael Christian Schulze Michael Christian Schulze ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit den Schwerpunkten Geriatrie und Suchtmedizin sowie Gesundheitswissenschaftler und Fachkraft für tiergestützte Intervention. Zudem ist er Mitgründer des Instituts für inner- und zwischenartliche Kommunikation, Vorstand bei TierSucht e.V. und Sprecher der AG Forschung des Bundesverbandes tiergestützte Intervention.
Merken Animal Hoarder nicht, dass sie die Tiere quälen?
Diese Menschen können die Situation nur schlecht reflektieren, verharmlosen oder verleugnen sie, wobei das bei den Typen auch wieder unterschiedlich ist. Der Pfleger-Typ reflektiert noch halbwegs gut und hat eine begrenzte Einsichtsfähigkeit. Bei den anderen ist das eher wenig bis gar nicht der Fall. Und viele sehen sich wirklich als Tierfreunde – als die einzigen, die die Tiere gut versorgen können. Sie blenden das Elend, das sie verursachen, aus.
Was weiß man bislang über die Menschen, die Tiere sammeln?
Die Datengrundlage ist sehr schwach. Von dem, was wir wissen, sind Frauen in der Überzahl, 50plus, einkommensschwächer, auch bildungsferner. Das sind alles keine repräsentativen Daten. Frauen scheinen ja insgesamt tierfreundlicher zu sein als Männer. Das erklärt möglicherweise den höheren Frauenanteil.
Das Selbstwertgefühl vieler Hoarder und Hoarderinnen hängt an den Tieren und ihrer Versorgung. Insofern stellt es für sie eine Katastrophe dar, wenn sie ihnen weggenommen werden. Da sie die Tierhaltung für ihr Selbstwertgefühl brauchen, schaffen sie sich oftmals schnell wieder neue Tiere an. Dann geht alles von vorne los, oftmals auch in einem anderen Landkreis. Das Veterinäramt vom neuen Landkreis weiß nicht, dass es das Problem schon mal gegeben hat, weil es keine zentrale bundesweite Erfassung gibt.
Die Ursache für das Hoarding sind ja die Menschen und wenn ich an die nicht rankomme und nicht unterstütze, begleite, therapiere, wird sich das Problem nicht lösen.
Wie kann man dieses Muster durchbrechen und Betroffenen helfen?
Therapie – egal in welchem Bereich – steht und fällt damit, dass die Betroffenen das möchten. Da bei den Hoarding-Fällen aber wenig bis gar keine Einsichtsfähigkeit besteht, macht es das schon mal extrem schwierig. Und im Moment gibt es in der Regel auch keine konkreten Hilfsangebote für die Menschen. Da werden zwar die Tiere beschlagnahmt, unter Umständen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren oder Strafverfahren eingeleitet, aber das dann systematisch geschaut wird "Was ist das eigentlich für ein Mensch? Und welche Hilfen benötigt er?"
Das gibt es im Moment nicht und daran krankt es. Die Ursache für das Hoarding sind ja die Menschen und wenn ich an die nicht rankomme und nicht unterstütze, begleite, therapiere, wird sich das Problem nicht lösen.
Muss hier die Politik mehr tun?
Ja, und auch die Medizin. Die Diagnose "Animal Hoarding" gibt es bisher im medizinischen Bereich überhaupt nicht. Im aktuellen Klassifikationssystem, dem ICD-10, das in Deutschland verwendet wird, gibt es noch nicht mal die Diagnose "Horten". Im ICD-11, das aber noch nicht angewendet wird, kommt zwar schon das pathologische Horden vor – das, was man umgangssprachlich als Messi-Syndrom bezeichnet. Aber da geht es nicht um Tiere. Nur im amerikanischen System, dem DSM-5, wird Animal Hoarding zumindest in einem kleinen Nebensatz erwähnt. Solange wir das nicht erfasst haben, werden wir auch keine zielgerichteten Therapien haben.
Wahrscheinlich wäre eine kognitive Verhaltenstherapie, so wie sie auch bei dem pathologischen Horten von unbelebten Objekten benutzt wird, hilfreich. Eine sozialarbeiterische Betreuung wäre sicherlich ebenfalls sinnvoll und natürlich eine Behandlung von psychischen Begleiterkrankungen, die bei Hoardern oft vorliegen, wie etwa Depressionen, Zwangsstörungen, Angststörungen oder kognitive Störungen.
Was kann man tun, wenn man ein solches Verhalten bei Nachbarn oder Bekannten bemerkt?
Das Veterinäramt ist dafür zuständig und hat die Kompetenz, aber auch die Instrumente, um mit dem Problem umzugehen. Wenn man sich nicht sicher ist, macht es vielleicht auch Sinn, sich zunächst selbst ein Bild zu machen, sich zum Beispiel das Gelände anzuschauen oder zu versuchen, mit dem mutmaßlichen Hoarder ins Gespräch zu kommen. Wenn man dann wirklich denkt, da könnte tierschutzwidriges Verhalten vorliegen, bleibt nichts anderes übrig, als das dem Veterinäramt zu schildern.
Im Fall der verwahrlosten und toten Schafe in Magdeburg hat es lange gedauert, bis das Veterinäramt eingegriffen hat. Wie kann das sein?
Die Veterinärämter sind fleißig, aber halt auch am Limit. Ähnlich wie die Gesundheitsämter zur Corona-Pandemie — da haben wir hautnah gespürt, mit welchen alten Methoden die noch arbeiten. Stichwort Fax. Ähnlich sieht es auch bei den Veterinärämtern aus. So wie es im Moment ist, löscht man hier einen Brand und kurze Zeit später flammt das Feuer wieder auf, weil wir zu wenig über die Menschen wissen.
Und der öffentliche Gesundheitsdienst, da zähle ich jetzt mal die Veterinärämter dazu, ist bei uns völlig unterfinanziert und schlecht ausgerüstet. So ein Amt muss immer schauen, verhältnismäßig zu sein, darf also nicht nicht zu früh einschreiten. Da besteht natürlich wiederum die Gefahr, dass man zu spät einschreitet. Man darf nicht vergessen, dass es auch Menschen gibt, die andere denunzieren, weil sie vielleicht keine Hunde mögen. Im Nachhinein stellt es sich natürlich immer anders da. Und an die Menschen heranzukommen ist schwierig. Das heißt, wenn dann jemand vom Veterinäramt hingeht und klingelt, findet er oft keinen Einlass.
Seit 2012 werden Statistiken vom Deutschen Tierschutzbund zu Animal Hoarding erhoben. Demnach steigen die Fälle seit Jahren. Woran liegt das?
Der Deutsche Tierschutzbund sammelt die Meldungen, die in den Medien veröffentlicht und die Fälle, die ihm von den angeschlossenen Tierschutzvereinen gemeldet werden. Das ist aber keine systematische und repräsentative Erfassung. Dass eine Steigerung zu sehen ist, insbesondere in den letzten Jahren, hat möglicherweise mit der Zuspitzung der Krisen zu tun. Insbesondere Corona mag dazu beigetragen haben. Gerade zu Corona-Zeiten haben sich ja sehr viele Menschen Tiere angeschafft und dann in großer Zahl auch wieder abgeschafft und ausgesetzt. Ich persönlich bin allerdings skeptisch bei diesen Theorien. Denn Tiere in dieser großen Zahl zu horten und zu halten, als Reaktion auf eine Krise, da habe ich Fragezeichen hinter. Da besteht wirklich Forschungsbedarf.
Dieses Thema bei FAKT IST!
Häufen sich Fälle von Vernachlässigung und Tierquälerei wirklich, oder trügt der Eindruck? Wie kann Tierschutz effektiver werden? Das diskutieren die Gäste bei "FAKT IST!" in Magdeburg. Zu Gast sind Dr. vet. Marco König, Tierschutzbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt, Kathrin Behrends, Leiterin des Tierheims Satuelle im Landkreis Börde und Birgitt Thiesmann, Heimtier-Expertin Tierschutzverein Vier Pfoten. Zu sehen ist der MDR-Talk ab 20.15 Uhr im Livestream auf mdr.de/tv. Bereits ab 19 Uhr haben Sie die Möglichkeit, auf mdr.de live mitzudiskutieren.
MDR (Sarah-Maria Köpf)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. März 2025 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/eeab2237-bccb-456b-a5e3-911e3fd8a20f was not found on this server.