Experte gibt Auskunft und Tipps Blackout: Wie wahrscheinlich er ist

18. November 2022, 11:41 Uhr

Es gibt Menschen, die grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Weltende unmittelbar bevorsteht. Und es gibt Menschen, die daraus ein Geschäft machen. Weltuntergangspropheten aller Zeiten und Religionen haben bislang ihre eigenen Prophezeiungen zumeist überlebt. Wird Sachsen-Anhalt also auch einen Blackout überleben? Ziemlich sicher, sollte es dazu überhaupt kommen.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Dass wir Weihnachten feiern, verdanken wir eigentlich einem Irrtum. Wenn man im neuen Testament nachschlägt, dann liest man nämlich, dass sowohl Jesus als auch seine Jünger davon ausgingen, das letzte Stündlein der Welt habe geschlagen. Irren ist menschlich, wie wir heute wissen – und so feiern wir fröhlich Weihnachten, weil damals die Apokalypse eben ausblieb.

Blackout: Jede Zeit hat ihren Weltuntergang

An Blitz, Donner, die Posaunen von Jerichow oder das siebenköpfige Meeresungeheuer denkt heute kaum noch jemand, wenn vom Weltuntergang die Rede ist. Für die einen reichen schwindende Klopapierbestände, um das Ende der Welt zu befürchten, andere setzen stattdessen auf technische Defekte, wie etwa einen langen Stromausfall, den sogenannten Blackout. So hat eben jede Zeit auch ihre eigene Endzeiterzählung.

An jedem Tag geschehen in Deutschland mehr als drei tödliche Treppenunfälle, das sind etwa doppelt so viele Todesfälle wie unter Motorradfahren und dennoch fordert niemand eine Helmpflicht auf Treppen. Und obwohl Treppensteigen gefährlicher ist als Fliegen, wird viel über Flugangst berichten, über Treppenangst bislang aber kaum. Mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit, so Vulkanologen, wird der Vesuv ausbrechen. Der Vulkan bei Neapel gilt als einer der gefährlichsten der Welt.

Risiko für Stromausfall – was ist gefühlt, was real?

Die Gefahr eines Blackouts hingegen schätzt die Bundesregierung als sehr gering ein. Auf einer Homepage der Bundesregierung heißt es: "Großflächige langanhaltende Stromausfälle hat es in Deutschland bisher nicht gegeben und sie sind auch weiterhin nicht sehr wahrscheinlich."

Großflächige langanhaltende Stromausfälle hat es in Deutschland bisher nicht gegeben und sie sind auch weiterhin nicht sehr wahrscheinlich.

Sprecher der Bundesnetzagentur

Krieg in der Ukraine schürt Ängste

Dennoch wird seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine vermehrt vor der Gefahr eines Blackouts gewarnt, etwa in Folge von Sabotageakten fremder Mächte. Bezeichnenderweise richtete ausgerechnet die AfD eine Website ein, auf der Nutzerinnen und Nutzer einen Blackout melden können. Was schon allein deshalb merkwürdig erscheint, da es sich bei einem solchen Vorfall um einen großflächigen und langanhaltenden Stromausfall handelt. Wen ein solches Ereignis ereilt, der wird es also kaum melden können.

Polit-Sekten wie die sogenannten Reichsbürger, aber auch andere rechte Gruppierungen, setzen sehr stark auf Angsterzählungen, um verunsicherte Menschen in ihren ideologischen Bann zu schlagen. Aber es gibt eben auch Menschen, die sich beruflich mit Katastrophenszenarien beschäftigen, meist als Berater für Politik und Wirtschaft.

Thema nicht nur für Verschwörungstheoretiker

Einer von ihnen ist Prof. Dr. Peter Schmiedtchen. Er unterrichtet unter anderem an Hochschule Magdeburg-Stendal im Studiengang Sicherheit und Gefahrenabwehr. Und aus seiner Sicht ist das Thema Blackout keines, das nur Verschwörungszirkeln überlassen werden sollte. "Wir haben ein Stromnetz, was von der Türkei bis nach Portugal reicht. Das Risiko steigt mit der starken Nutzung der alternativen Energien. Es muss es ständig einen Ausgleich geben, zwischen Erzeugung und Nutzung des Stroms. Wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, schaltet sich das Netz ab. Wir sind diesem und im vergangenen Jahr zweimal kurz vor einem flächendeckenden Blackout vorbeigeschlittert."

Wir sind diesem und im vergangenen Jahr zweimal kurz vor einem flächendeckenden Blackout vorbeigeschlittert.

Prof. Dr. Peter Schmiedtchen Hochschule Magdeburg-Stendal

Dennoch teilt die Bundesregierung mit: "Wir haben eines der zuverlässigsten Stromversorgungssysteme weltweit." Schmiedtchen kennt diese Aussagen: "Sie wollen wahrscheinlich keine Panik verbreiten. Aber ich denke, wir sind denkbar schlecht auf ein solches Szenario vorbereitet." Zumal perspektivisch der Stromverbrauch steigen wird, nicht nur die durch die Elektromobilität. Auch der Mobilfunkstandard 5G verbraucht doppelt so viel Energie wie 3G.

Katastrophenschutzgesetz verursacht Hamsterkäufe

Bereits im Jahr 2016 verabschiedete die Bundesregierung ein neues Katastrophenschutzgesetz. Was dann folgte, waren unter anderem Hamsterkäufe. Möglicherweise reagiert die Politik bei diesem Thema auch deshalb so zurückhaltend, um in ohnehin aufgeregte Zeiten das Wahlvolk nicht zusätzlich zu verunsichern. Es komme aber ein spezifisch deutsches Problem hinzu, so Schmiedtchen: "Leider rechnet die Bevölkerung immer damit, dass der Staat es richten wird. An Eigenvorsorge denken noch immer zu wenige." Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge hat entsprechende Listen vorbereitet, von Nahrungsmitteln bis hin zu Tipps für eine Mappe mit wichtigen Dokumenten.

Zwei Drittel der Deutschen auf Krisen nicht vorbereitet

Wie aktuelle Umfragen zeigen, sind trotzdem zwei Drittel der Deutschen auf eine Krisensituation nicht vorbereitet. Aber auch die staatlichen Stellen hätten einen erheblichen Nachholbedarf, so Schmiedtchen: "In der ehemaligen DDR hatte jede Gemeinde einen Notbrunnen, der von den Gesundheitsämtern ständig kontrolliert wurde. Die sind nicht mehr da. Im Falle eines Stromausfalls fallen ja sämtliche Kühlmöglichkeiten in den Supermärkten aus. Bevor die Waren verderben, sollten die an die Bevölkerung verteilt werden. Krisenexperten fordern seit langem entsprechende Pläne dafür."

Zusammenarbeit mit China und Iran?

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts wurden nicht nur Sirenen abgebaut oder militärische Bunkeranlagen aufgegeben, es schwand auch das Bewusstsein für andere Risiken, was nicht folgenlos blieb, wie sich recht bald bei den ersten Hochwasserkatastrophen zeigte. In diesem Bereich ist Sachsen-Anhalt inzwischen ganz gut aufgestellt. Bei anderen Szenarien gebe es hingegen Nachholbedarf, so Schmiedtchen. Er berät im Auftrag der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit Länder wie China oder den Iran in Fragen des Katastrophenschutzes, ungeachtet der jeweiligen politischen Probleme vor Ort.

Zivilschutz in Deutschland nicht gut aufgestellt

Denn es gibt Regionen, die in denen es ein deutlich höheres Risiko für Naturkatastrophen gibt. "In Teheran gibt es eine ständige Gefahr von Erdbeben und Sturzfluten. In jeder Schulklasse werden Schüler ausgebildet, die ihre Klasse in sichere Bereiche führen. Wir haben allerdings keine entsprechende Zivilschutz-Ausbildung in unseren Schulen. Seit Jahren blockt die Kultusministerkonferenz entsprechende Forderungen von uns Katastrophenschützern ab."

In welchem desolaten Zustand der Zivilschutz in Deutschland ist, zeigte sich zuletzt bei der Flutkatastrophe im Ahrtal. Da funktionierten offenbar die einfachsten Meldesysteme nicht und das in einem Land, das sich selbst als hochentwickelte Industrienation versteht.

Klimawandel kommt

Während das Thema Blackout gerne in politisch rechten Kreisen debattiert wird, auch um den Sinn alternativer Energien zu hinterfragen, so wird in linken Kreisen eher auf die Risiken des Klimawandels verwiesen. Aber Gefahrenabwehr sollte keine Frage politischer Einstellungen sein, so Peter Schmiedtchen: "Der Klimawandel kommt und ob wir die 1,5 Grad halten, darüber will ich nicht spekulieren. Aber die Extremereignisse werden zunehmen, Hitzeperioden im Sommer und die Starkregen und auch lange Trockenheit." Auf all diese Entwicklungen sei bislang kaum jemand in Europa vorbereitet.

"Jeder kümmert sich um sich und seine Familie"

Risikoforscher Schmiedtchen ist Mitglied im Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit (ZOES), das parteiübergreifend von Mitgliedern des Bundestages gegründet wurde und nun Politik und Wirtschaft berät. Aus aktuellem Anlass finden sich hier 12 Tipps zum Stromausfall. Unter Punkt 10 liest man: "Jeder kümmert sich um sich und seine Familie. Nachbarn helfen Nachbarn! 'Der Staat' kann sich nicht um jede individuelle Sorge der Einwohnerschaft kümmern."

Beruhigend klingt das nicht unbedingt. Aber es dürfte wohl der Realität entsprechen.

MDR (Uli Wittstock, Luca Deutschländer) | Zuletzt veröffentlicht am 17.11.2022

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. November 2022 | 19:00 Uhr

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