Interview Rechtsextremismusexperte Begrich: "Erstarken der AfD ist größte Herausforderung"

29. Mai 2024, 19:51 Uhr

In der Gemeinde Möser im Landkreis Jerichower Land will sich ein AfD-Kandidat in den Gemeinderat wählen lassen, obwohl er dazu möglicherweise gar nicht berechtigt ist. David Begrich ist Theologe und Soziologe und arbeitet als Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Miteinander e.V. in Magdeburg. Im Interview erklärt er die politischen Strategien rechter Akteure.

MDR SACHSEN-ANHALT: Was haben rechte Kandidaten wie Maximilian Tischer davon, wenn sie möglicherweise gar nicht richtig in der Gemeinde involviert sind, in der Kommunalpolitik mitzumischen?

David Begrich: Meine Vermutung ist, dass es diesen Akteuren darum geht, mittel- bis langfristig kommunalpolitische Qualifikationen zu erwerben. Einmal für sich selbst aber auch als Voraussetzung etwa für eine rechtsextreme Partei wie die AfD. Mit den erlernten Soft Skills sind sie dann in der Lage, sich eine weitere politische Karriere aufzubauen. Die Kommunalpolitik agiert also quasi als Trainingsfeld für die Landespolitik.

Warum wollen rechte Akteure in die Kommunalparlamente? Auf Landes- und Bundesebene hat man doch viel mehr politische Macht.

Es gilt hier, die Kommunalpolitik nicht zu unterschätzen, sie ist der Unterbau unserer Demokratie. Kommunalpolitik ist zwar nicht das Bundeskanzleramt, dennoch gibt es dort eine Menge, was für die Menschen vor Ort gestaltet werden kann. Man kann durchaus Einfluss nehmen auf das ganz konkrete Zusammenleben der Menschen. Dafür muss man sich erstmal bekannt machen. Wenn man das schlau macht, will man damit dann in fünf Jahren etwa für den Landrat kandidieren oder als Mitarbeiter in einer Landtagsfraktion.

Die Entscheidungen über die Ausgestaltung eines Kinderfestes, über kommunale Raumordnung bis zur Frage, ob ein neuer Zebrastreifen angelegt wird, das ist Kommunalpolitik. Dabei übernehmen die Kommunalpolitiker auch moralische Verantwortung und müssen etwa über die Unterbringung von Geflüchteten oder die Finanzierung eines soziokulturellen Zentrums oder eines Frauenhauses entscheiden. Rechtsextreme haben ein Interesse daran, auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen. Im Zweifel ist ihnen erstmal egal, ob da direkt große Entscheiden getroffen werden oder eben erst einmal im Kommunalen Politik gemacht wird.

Wie gehen rechte Akteure konkret vor, um in die Kommunalwahlparlamente zu kommen, welche Strategien gibt es?

In erster Linie wollen sie erfolgreich bei einer Wahl sein, sie wollen gewählt werden. Da unterscheiden sich Rechte und Rechtsextreme erst einmal wenig von anderen Parteien und Akteuren. Werbung machen Rechte natürlich nicht für sich, indem sie sich ein Schild umhängen, auf dem steht "Ich bin ein Menschenfeind" oder indem man offenbart, dass man antidemokratisch denkt. Sondern indem diese rechten Akteure Freundlichkeit vermitteln. Oftmals sind die Akteure noch jünger und zeigen ein Interesse für die Belange für die Menschen vor Ort.

Was sich aber sehr wohl von anderen Parteien und Akteuren unterscheidet, sind die Inhalte. Und da ist es sehr sinnvoll, auf die biografische Verfasstheit der einzelnen Personen zu schauen und auf das konkrete Kommunalwahlprogramm der Parteien. Nein, man sitzt nicht mit Höcke in der Gemeindeverwaltung. Dennoch muss es für die Kandidaten eine Identifikation mit der Partei und deren programmatischen Inhalten geben, wenn man sich auf deren Wahlliste setzt. In dem Moment, in dem ich mich für die AfD aufstellen lasse, und sei es nur für die Gemeindevertretung, mache ich mich gemein mit den Inhalten der Partei und muss mir diese zurechnen lassen.

Werbung machen Rechte natürlich nicht für sich, indem sie sich ein Schild umhängen, auf dem steht: "Ich bin ein Menschenfeind."

David Begrich, Miteinander e.V.

Welche Rolle spielte besonders die AfD bisher in der Kommunalpolitik in Sachsen-Anhalt?

So viele erfahrene Kommunalpolitiker hat die AfD nicht, dafür fehlten der Partei in der Vergangenheit die Leute für. Die AfD ist seit 2016, als sie das erste Mal in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingezogen ist, auf einen Schlag gewachsen. Der kommunalpolitische Unterbau fehlte ihr aber, einer aus der die Partei von unten wächst, wie bei anderen Parteien. Mit Blick auf einen Zeithorizont von sieben bis zehn Jahren wird das Ziel sein, die erfahrenen Kommunalpolitiker in den Land- oder sogar Bundestag zu holen.

In der Stadt Raguhn-Jeßnitz im Landkreis Anhalt-Bitterfeld wurde vergangenes Jahr der erste hauptamtliche Bürgermeister der AfD in Deutschland gewählt. Die Welt ist danach nicht untergegangen, die Menschen haben so gewählt. Kann oder muss man mit der AfD im Kommunalen nicht vielleicht einfach zusammenarbeiten?

Die Idee, man könne mit der AfD zusammenarbeiten, wenn es sachlich darum geht, einen Spielplatz für die Kinder in der Gemeinde zu bauen, hat durchaus politische Folgen. Das Problem ist: Sobald in einer Kommune sachpolitisch mit der AfD zusammengearbeitet wird, macht man die Partei politikfähig. Denn dann kann die AfD mit ihren Erfolgen in der Kommune sichtbar werden. Es geht nicht nur um die einzelne sachpolitische Entscheidung, sondern auch um ihre Folgewirkung. Man wird nicht verhindern können, dass die Partei die Zusammenarbeit nutzt, um darauf hinzuweisen, dass sie realpolitisch wirksam ist. 

Wie können andere Kommunalpolitiker mit rechten Akteuren umgehen, ohne dass die Politik vor Ort nicht mehr funktioniert und nichts mehr umgesetzt werden kann?

Die demokratischen Parteien müssen versuchen, Mehrheiten ohne die AfD zu finden. Es gilt, Politik so zu gestalten, dass der Einfluss der AfD langfristig begrenzt wird. Dazu müssen die anderen Akteure und Parteien kompromissfähig sein. Kommunalpolitik funktioniert anders als etwa der Landtag. Dort kennen sich die Personen lange und sind aufeinander angewiesen. Da denke ich durchaus, dass Kompromisse eher möglich sind. Viele Kommunalpolitiker sind aber eben auch der Meinung, nicht an der AfD vorbeizukommen. Die Debatte um langfristige Strategien, Mehrheiten ohne die AfD zu erhalten, wird uns noch lange begleiten.

Sobald in einer Kommune sachpolitisch mit der AfD zusammengearbeitet wird, macht man die Partei politikfähig.

David Begrich, Miteinander e.V.

In Thüringen wurden am 26. Mai in einer ersten Runde neue Landräte, Oberbürgermeister, Bürgermeister, Kreis-, Stadt- sowie Gemeinderäte gewählt. Am 9. Juni kommt es zwar in vielen Landkreisen zu Stichwahlen, in einigen Landkreisen konnte die AfD aber dazu gewinnen. Wie schätzen Sie die dortige Wahl ein und welche Schlüsse lasse sich auf Sachsen-Anhalt ableiten?

Auf Anhieb hat die AfD in Thüringen keinen Oberbürgermeister- oder Landratsposten errungen. Auf der kommunalpolitischen Ebene, besonders auf der Kreisebene, hat sie aber durchaus zugewonnen, landesweit etwa zehn Prozentpunkte. Das wird die Partei stärken, auch mit Blick auf die Landtagswahl. Eine Ableitung auf die Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt halte ich nicht für sinnvoll, weil die beiden Bundesländer dafür zu unterschiedlich sind.

In einigen Landkreisen wird bei der Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt auch das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) auf der Wahlliste stehen. Wie schätzen sie die Entwicklung der neuen Partei ein und welche Rolle spielt sie mit Blick auf die AfD?

Umfragen haben die Zustimmung der BSW durchaus höher als tatsächlich eingeschätzt. Dazu bleibt die Frage, von welchen Parteien ihre Wählerschaft abwandert. Was wir gesehen haben, sind sie nicht in einem nennenswerten Umfang aus der AfD gekommen.

Wie kann die Zivilgesellschaft gegenüber rechten und rechtsextremen Kommunalpolitikern in ihren Gemeinden auftreten und warum ist das so wichtig?

Wichtig ist es, weil die AfD mittlerweile eine offen rechtsextreme Partei ist, die dort, wo sie potenzielle Mehrheiten erringen kann, die Verfasstheit der Demokratie bedroht. Eines der wichtigsten Mittel der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus ist Aufklärung und politische Bildung. Es braucht Aufklärung darüber, wer die politischen Akteure der AfD sind und welche politischen Ziele sie verfolgen. Das ist besonders wichtig für junge Menschen.

Ihr Verein setzt sich seit 25 Jahren gegen Rechtsextremismus ein, klärt auf und kämpft für eine offene und demokratische Gesellschaft. Was wird zukünftig eine unserer größten Herausforderungen?

Das Erstarken der AfD und ihres politischen Vorfeldes ist eine unserer größten Herausforderungen. Dagegen zu halten, sich für Demokratie und für eine offene Gesellschaft einzusetzen, braucht einen langen Atem.

Die Fragen stellte Katharina Gebauer.

MDR (Katharina Gebauer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Mai 2024 | 19:00 Uhr

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