Ein Mann blickt in die Kamera. 9 min
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Der tödliche Angriff auf einen Polizisten in Mannheim ist ein Extremfall, sagt Marco Vogler. Als Polizeipfarrer in Sachsen-Anhalt unterstützt er angehende Beamte, mit Fällen wie diesem umzugehen.

MDR SACHSEN-ANHALT Fr 07.06.2024 07:40Uhr 09:08 min

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Interview Nach Messerattacke in Mannheim: Wie Polizeiseelsorger helfen

07. Juni 2024, 05:02 Uhr

Der Tod eines jungen Polizeibeamten in Mannheim hat in dieser Woche bundesweit für Entsetzen gesorgt. Der Polizist war nach einer Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz seinen Verletzungen erlegen. Polizisten riskieren im Zweifelsfall ihr Leben. Der Polizeiberuf ist auch emotional belastend: menschliches Leid, Angriffe, Beleidigungen. Um emotional belastende Situationen aufzufangen, gibt es Angebote - für Studierende an der Hochschule der Polizei und für Beamte im Dienst.

Tom Gräbe
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In dieser Woche sorgte der Tod eines jungen Polizisten in Mannheim nach einer Messerattacke auf dem Marktplatz für Entsetzen und Anteilnahme. Polizisten riskieren oft ihr Leben und sind emotional stark gefordert. Unterstützung gibt es für Beamte im Dienst.

Marco Vogler ist Polizeipfarrer in Aschersleben. Ein Gespräch über die menschlichen Herausforderungen der Polizeiarbeit.

MDR SACHSEN-ANHALT: Grundsätzlich gefragt: Was macht ein Polizeipfarrer?

Marco Vogler: Der Bereich ist recht groß: zukünftige Polizisten auf ihren Dienst vorzubereiten, alles, was mit Gefühlen zu tun hat. Also Todesnachrichten, wie mache ich das, wie formuliere ich das, wie gehe ich mit Gewalt um? Ein wichtiger Punkt ist, dass wir uns gleich im Unterricht kennenlernen, damit die Hemmschwelle geringer ist, mich zu kontaktieren, wenn sie Probleme haben. Und dann bieten wir auch, meine Kollegen und ich, Weiterbildungen an, von interkultureller Kompetenz bis hin zum Umgang mit Tod und Mitgefühlen. Da sind wir recht breit aufgestellt und bieten auch Supervisionen an.

Zur Person: Marco Vogler, geboren 1973, ist seit 2004 als Seelsorger in verschiedenen Pfarreien tätig. Außerdem ist er Notfallseelsorger, Heilpraktiker für Psychotherapie und seit 2017 Polizeiseelsorger für Sachsen-Anhalt mit Sitz in Aschersleben.

In dieser Woche ist ein junger Polizeibeamter in Mannheim bei einem Einsatz schwer verletzt worden und verstorben. Sprechen Sie an der Fachhochschule mit den Auszubildenden und Studierenden über den Fall? Oder die Anwärter?

Ja, auf alle Fälle ist dass Gesprächsgegenstand. Untereinander natürlich in den Pausengesprächen. Es wird auch im Unterricht und in Vorlesungen aufgegriffen. Wir werden auch kontaktiert und es wird gefragt: Wie sieht das mit meinem Werdegang aus? Das hat mich noch mal anders verunsichert oder es hat noch mal den Blick auf meinen Berufswunsch geändert. Das wird schon sehr wahrgenommen. Das ist aber auch noch mal das Gute, das wir präsent an der Fachhochschule sind und die jüngeren Kollegen uns auch gut kennen. 

Macht das etwas mit Ihnen, wenn Sie täglich mit Polizisten und Anwärtern arbeiten, wenn Sie solche Nachrichten wie die aus Mannheim hören?

Also jetzt direkt nicht, das muss ich schon sagen. Aber ich denke dann immer schon daran: Das könnte jetzt doch einer sein von den Schülern oder Studenten, die ich im Unterricht gehabt habe. Es kommt ja auch mal vor, dass Personen verstorben sind, die man begleitet. Also, das lässt einen natürlich nicht kalt.

Ein Polizeibeamter braucht ja ein großes Maß an menschlicher Kompetenz und Empathie, wenn beispielsweise Todesnachrichten überbracht werden müssen. So ein Fall wie der in Mannheim ist außergewöhnlich. Ist das der schlimmste Fall, der eintreten kann, in einer Berufskarriere eines Polizeibeamten, wenn Kollegen gewaltsam umkommen?

Alles, wenn es Verletzungen gibt, wenn jemand verstorben ist. Beziehungsweise hier, in dem Fall ja, kann man schon sagen, ermordet wurde, getötet wurde, das ist natürlich das Extrem. Aber auch bei Verletzungen haut das den Leuten schon die Beine weg. Das Wichtige ist, dass man darüber spricht.

Man sagt ja der jungen Generation nach, mehr über Gefühle sprechen zu können. Kommt die Gen-Z eher zu Ihnen?

Ja, wenn irgendwas ist, dann kommen die. Ich habe die Anwärter gleich am Anfang ihrer Ausbildung oder ihres Studiums. Ich gebe ihnen meine Karte. Die sind natürlich erst mal alle erstaunt: Was will hier ein Pfarrer? Aber gut, das wusste ich vorher auch nicht, was man als Polizeipfarrer macht. Das nehmen die dann wahr, heften sie erst mal weg und irgendwann kommt es noch mal. Das sind nicht oft diese großen Sachen, dass jetzt da eine Leiche ist, sondern es sind häufig andere Sachen. Gerade wenn sie so angegangen werden, Gewalt, wenn sie beschimpft werden. Das haut die mehr um. So eine Uniform sieht schick aus, aber schützt doch nicht die Person, die in der Uniform steckt.

Warum macht das mehr aus? Beschimpft oder beleidigt zu werden? Mehr als vielleicht eine Leiche?

Naja, bei der Leiche ist es ja so, es wäre ja schlimm, wenn jeder Polizist bei jedem Einsatz gleich krank wird oder so. Das müssen Sie dann schon noch ein bisschen lernen. Es kann aber natürlich sein, dass das etwas Persönliches ist – und dann kommen wir wieder ins Spiel. Und bei diesen Sachen, wenn sie beschimpft werden, das ist ja dann noch mal was Direkteres, und trifft schneller das Herz, denke ich mal.

Das ist passiert aber sicherlich häufiger im Berufsalltag?

Ja, und das nimmt ja auch zu, dieses Beschimpfen, die Aggressivität gegen Beamte. Ich sage zu Beginn der Ausbildung: Ihr müsst damit rechnen, nur weil ihr diese Uniform tragt, werdet ihr beschimpft. Und dass ihr auch Worte hören werdet, die ihr noch nie in eurem Leben gehört habt.

Hilft da ein dickes Fell, ein Panzer, den man sich zulegt? Muss man darüber sprechen? Wie kommt man da am besten durch?

Man kann das nicht abperlen lassen. Wenn das jemand sagt, der ist ein Spinner. Die Sache ist, wie gehe ich damit um? Also wie kann ich mich vernünftig entstressen? Da muss ich natürlich für mich jeweils die Form finden, die für mich richtig ist. Ich sage mal, ich höre lieber Musik. Der andere sagt, ich gehe angeln. Der nächste sagt, er macht Yoga. Und wieder andere gehen ins Fitnessstudio. Und da muss man aufpassen, ist es wirklich auch die Form, die mich entstresst oder gibt mir so ein Fitnessstudio noch mehr Stress? Also das muss man für sich, denke ich, erarbeiten. Manche brauchen ein bisschen länger. Das muss man erlernen. Und da kann man sich auch Hilfe suchen. Also da sind wir, denke ich, ganz gut aufgestellt, was die Sorge für die Polizisten angeht.

Polizeiseelsorger Marco Vogler
Marco Vogler ist nicht nur Polizeiseelsorger. Bildrechte: MDR/Tom Gräbe

Eine Möglichkeit, mit schwierigen Situationen klarzukommen, ist ja tatsächlich auch, sich Rituale zu suchen. In vielen Städten hingen Fahnen auf halbmast. Dazu gehört auch, würdig Abschied zu nehmen. Warum funktionieren solche Rituale?

Das ist für alle Menschen wichtig. Das ist ja kein Wissen, sondern das sind tiefe Weisheiten, die die Menschen über Tausende von Jahren erfahren haben: Wenn ich mit Tod oder mit solchen Situationen zu tun habe, musste ich das und das machen. Ja, das ist meistens in die Regionen hineingeflossen, wo man auch das und das macht, und das hilft uns auch. Wir haben das bei der Polizei auf verschiedene Weise. Für die im aktiven Dienst verstorbenen Polizisten gibt es eine Gedenkfeier. Das habe ich jetzt in der Weiterbildung auch mal angeboten. Wie mache ich das, wenn im Revier jemand verstorben ist? Wie kann ich da die Leute auffangen? Wenn es eine Einzelbetreuung ist, wenn jemand zu mir kommt, da gucke ich natürlich auch: wie können wir gemeinsam ein vernünftiges Ritual entwickeln. Und die Sachen, die ich mitschleppe, was kann ich da machen?

Gibt es den ultimativen Ratschlag für junge Polizeistudierende, wenn es darum geht, mit all den Herausforderungen, den Härten des Berufs emotional gut umzugehen?

Nee, also das ist für jeden anders. Ich sage am Anfang, sie sollen prüfen. Es ist nicht ein Beruf wie jeder andere. Wenn ich viele Dinge mit nach Hause schleppe, dann beeinflusst das auch meine Familie. Und da muss man gucken, kann ich diesen Beruf auch leben in meinem Leben? Und wenn ich merke: da ist doch eine Unsicherheit, dann muss ich einfach sagen, okay, ich habe vielleicht eine Berufung für irgendwas, aber nicht für diesen Beruf.

Die Fragen stellte Tom Gräbe.

MDR (Tom Gräbe)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. Juni 2024 | 07:00 Uhr

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