Ansiedlungen Wie Behörden und ihre Mitarbeitenden versuchen, in Sachsen-Anhalt anzukommen
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09. Juli 2021, 23:58 Uhr
Weil es politisch gewollt ist, ziehen immer mehr Bundesbehörden und bundeseigene Unternehmen in vom Strukturwandel betroffene Regionen. Auch Sachsen-Anhalt soll von solchen Ansiedlungen profitieren – doch diese verlaufen nicht immer reibungslos. Ein Blick nach Dessau, Halle und Naumburg.
Als Thomas Holzmann sein Elektroauto vor dem Umweltbundesamt (UBA) in Dessau abstellt, kommt umgehend der Sicherheitsdienst. Die schwarz gekleideten Männer weisen Holzmann nicht etwa darauf hin, dass sein Parkplatz eigentlich für Dienstwagen des UBA reserviert ist. Nein, im Gegenteil, sie begrüßen ihn und erkundigen sich, wie es ihm geht. Natürlich könne er hier stehen bleiben, gar kein Problem.
Holzmann wird erkannt im UBA. Insgesamt 28 Jahre hat er in der Bundesbehörde gearbeitet, von 2002 bis zu seinem Ruhestand 2018 war er ihr Vizepräsident. Auch wenn er durch das in Pandemiezeiten recht leere UBA-Gebäude läuft, wird er von den wenigen Anwesenden freundlich gegrüßt.
Das ist die Aufgabe des Umweltbundesamtes
Das Umweltbundesamt (UBA) ist eine Bundesoberbehörde und gehört zum Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums. Zentrale Aufgabe des UBA ist es, die Bundesregierung in Fragen rund um Umweltthemen wissenschaftlich zu beraten. Für das UBA arbeiten insgesamt rund 1.500 Menschen am Hauptsitz in Dessau sowie in der Zweitniederlassung in Berlin.
Vor 16 Jahren wurde der Dienstsitz des UBA von Berlin nach Dessau verlegt. Als Vizepräsident war der "Ur-Berliner" Holzmann damals an der Planung und Durchführung des Umzuges beteiligt. "Es gab keinen einzigen fachlichen Grund, dass das Umweltbundesamt nach Dessau verlagert wurde. Das war eine rein politische Entscheidung", erinnert sich Holzmann. "Wir sind auch nie gefragt worden, in welches Bundesland wir ziehen wollen, oder wo genau in Sachsen-Anhalt wir hinziehen möchten. Das entschied die Politik hinter verschlossenen Türen."
Widerstand und Startschwierigkeiten
Als Mitte der 1990er-Jahre der Umzug nach Dessau beschlossen wurde, war der Widerstand in der Berliner Belegschaft des UBA daher zunächst massiv. "Die wenigsten Mitarbeitenden waren damals scharf darauf, nach Dessau zu ziehen", sagt Holzmann. Immerhin: Weil vom Beschluss bis zur Umsiedlung knapp zehn Jahre vergingen, blieb viel Vorbereitungszeit, um den Umzug sozialverträglich zu gestalten.
Und weil sich Holzmann und andere dafür einsetzten, zog das UBA nicht wie ursprünglich geplant in eine alte Dessauer Kaserne, sondern bekam einen schicken Neubau in der Nähe des Hauptbahnhofes.
Doch nur wenige Mitarbeitende des UBA wurden in der Anfangszeit in Dessau heimisch, mehr als 80 Prozent pendelten zur Arbeit. In Befragungen sank die Arbeitszufriedenheit nach dem Umzug, und auch auf dem Arbeitsmarkt erwies sich der neue Standort nicht immer als vorteilhaft. Man habe zwar in Dessau – auch dank der örtlichen Hochschule – nie Probleme gehabt, qualifizierte Leute auf der Mitarbeitenden-Ebene zu finden, erinnert sich Holzmann.
Anders sah es aber bei Führungskräften aus: "Wenn wir diese Positionen extern besetzen wollten, stießen wir oft auf große Widerstände, spätestens wenn der Partner oder die Partnerin die Stadt kennenlernen sollte. Da hatten wir zuweilen erhebliche Personalgewinnungsprobleme. Wir haben deshalb verstärkt darauf gesetzt, unsere eigenen Leute zu Führungskräften zu entwickeln", sagt Holzmann.
Cyberagentur in Halle: Fachkräfte dringend gesucht
Rund 50 Kilometer vom UBA entfernt ist derzeit ebenfalls ein Mann aus Berlin damit beschäftigt, eine Bundeseinrichtung anzusiedeln. Gustav Rieckmann leitete zuletzt einen Lehrbereich im Bildungszentrum der Bundeswehr in Berlin. Nun ist er seit Anfang Juni Interimschef der bundeseigenen Cyberagentur in Halle, nachdem beide Gründungsgeschäftsführer die Agentur verlassen haben.
Rund ein Jahr ist es her, dass die neugegründete Bundesagentur in Sachsen-Anhalts größte Stadt zog. Die Entscheidung für den Standort war auch hier eine politische. "Die konkreten Überlegungen, warum Halle-Leipzig gewählt wurde, sind der Cyberagentur nicht bekannt", sagt Interimsgeschäftsführer Rieckmann.
Bei der Gründung freute sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) über "hochqualifizierte Arbeitsplätze", die die Agentur nach Mitteldeutschland bringe. Doch von den 100 Stellen, die die Cyberagentur umfassen soll, sind aktuell erst 23 besetzt. Dass es der Region an Fachkräften oder Attraktivität mangelt, glaubt Interimsgeschäftsführer Rieckmann jedoch nicht.
Wir wollen die Stellen schnellstmöglich besetzen. Aber hochqualifizierte Spezialistinnen und Spezialisten mit wissenschaftlich-technischem Background im Bereich Cybersicherheit, wie wir sie suchen, sind auf dem gesamten Arbeitsmarkt kaum zu finden. Ich halte den Standort da nicht für maßgeblich.
Das ist die Aufgabe der Cyberagentur
Die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit ist ein Unternehmen, das gemeinsam vom Bundesverteidigungs- und Bundesinnenministerium gegründet wurde. Sie soll Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Cybersicherheit fördern und Forschungsaufträge auf dem Gebiet der Cybersicherheitstechnologien vergeben. Vorbild ist dabei die US-amerikanische DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency).
Rund ein Drittel der Beschäftigten, die bereits da sind, kommen aus der Region, andere stammen aus Hamburg, Ulm oder München. Ohnehin sollen viele der Mitarbeitenden in den Forschungs- und Innovationsbereichen der Agentur remote, also vor allem im Homeoffice, arbeiten können. Etwa 50 bis 60 Prozent des geplanten Personals werde in Halle benötigt, der Rest sei ortsunabhängig, so Rieckmann. Wie viele Arbeitsplätze letztlich von Menschen aus oder in der Region Halle-Leipzig besetzt werden, ist daher offen.
Ungeklärte Standortfrage
Offen ist auch die Standortfrage der Cyberagentur. Aktuell residieren Rieckmann und sein Team in der Willy-Brandt-Straße in Halles südlicher Innenstadt. Doch weil die dortigen Räumlichkeiten zu klein sind, läuft die Suche nach einem neuen Quartier. Die Stadt Halle, die die Agentur bestmöglich unterstütze, werde bald Vorschläge für einen neuen Standort unterbreiten, sagt Rieckmann.
Dabei wird es wohl auf eine weitere Zwischenlösung hinauslaufen. Denn als dauerhafter Standort war bei der Gründung der Cyberagentur eigentlich der Flughafen Leipzig/Halle vorgesehen, wo bislang allerdings keine geeigneten Räumlichkeiten verfügbar sind.
Neue Leitung übernimmt
Wann und wohin der Umzug der Cyberagentur stattfindet, ist noch nicht abzusehen. Gustav Rieckmann wird in Halle jedoch aller Voraussicht nach kein neues Büro mehr beziehen. Laut seinen Informationen sind die Auswahlgespräche für seine Nachfolge gelaufen, die Besetzung der beiden Geschäftsführerposten soll nun zügig erfolgen.
Rieckmann geht deshalb davon aus, dass er im September nach Berlin ins Bildungszentrum der Bundeswehr zurückkehrt. Nicht einmal anderthalb Jahren nach der Gründung stünden dann bereits Chefin oder Chef Nummer vier und fünf an der Spitze der Cyberagentur.
Eine Website, zwei Geschäftsführer, viele offene Stellen
Eine Website und angemietete Büroräume am Naumburger Markt – viel mehr deutet aktuell noch nicht auf die Existenz der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) in Naumburg hin. 97,5 Stellen wurden der im Januar 2021 gegründeten, aber schon länger angekündigten MIG von der Bundesregierung genehmigt. Doch Mitte Juni waren gerade einmal zwei davon besetzt: die der Geschäftsführer.
Ernst-Ferdinand Wilmsmann kommt von der Bundesnetzagentur zur MIG, Burkhard Mende war zuvor unter anderem beim Autobahnmaut-Unternehmen Toll Collect beschäftigt. Beide arbeiten nach Angaben des zuständigen Bundesverkehrsministeriums von Berlin beziehungsweise aus dem Homeoffice für die MIG.
Das ist die Aufgabe der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft
Die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) ist ein dem Bundesverkehrsministerium unterstelltes, bundeseigenes Unternehmen. Ihre Aufgabe ist es, weiße Flecken in der Mobilfunkversorgung zu schließen. Dazu soll sie bestehende Förderprojekte koordinieren, neue Förderprogramme betreuen und in Absprache mit Kommunen und Mobilfunknetzbetreibern nach Standorten für Mobilfunkmasten suchen.
Zur Frage, bis wann die MIG ihre volle Personalstärke erreicht haben soll und warum als Standort der Bundesgesellschaft Naumburg ausgewählt wurde, äußert sich das Bundesverkehrsministerium auf Nachfrage nicht. Immerhin sind auf der Website der MIG aktuell 39 weitere Stellen ausgeschrieben, die jedoch längst nicht alle in Naumburg, sondern in verschiedenen Regionen Deutschlands besetzt werden sollen.
Im Frühjahr hatte Burkhard Mende angekündigt, dass möglichst noch in diesem Jahr der erste von der MIG geförderte Mobilfunkmast errichtet werden soll. Ein Ziel, das angesichts des schleppenden Starts der MIG kaum zu erreichen sein dürfte.
Geduld gefragt
Kann eine Bilanz des Behördenumzuges gezogen werden? Das sei schwierig, weil es keinen Maßstab gebe, sagt Ex-UBA-Vizepräsident Holzmann. "Letztlich", so Holzmann, "ist der Standort für das Umweltbundesamt und andere Bundeseinrichtungen zweitrangig. Wir arbeiten doch in vielen Bereichen eh längst weltweit und digital".
In Dessau habe sich aber vieles zum Positiven entwickelt, sowohl für die Region als auch für das UBA, findet Holzmann. Man könne solch eine Ansiedlung nicht von heute auf morgen übers Knie brechen, sondern müsse Geduld haben und die Dinge wachsen lassen.
So erkannten im Laufe der Zeit immer mehr UBA-Mitarbeitende die Attraktivität der Region und siedelten sich in und um Dessau an. Die Behörde wuchs um rund 400 Stellen auf aktuell etwa 1.500 Mitarbeitende (inklusive der Zweitstelle in Berlin), die Pendlerquote sank auf zuletzt 69 Prozent und die Arbeitszufriedenheit stieg.
Heute seien das UBA und seine Mitarbeitenden ein fester und wichtiger Bestandteil der Stadt und des gesellschaftlichen Lebens in Dessau und Umgebung, sagt Holzmann. Er selbst ist dafür das beste Beispiel: Nachdem er 13 Jahre von Berlin aus pendelte, zog Holzmann 2018 nach Dessau – auch, um seinen Ehrenämtern in der Region besser nachkommen zu können.
Über den Autor
Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.
Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.
Quelle: MDR/Lucas Riemer