Pflegeheime Gestiegene Kosten: Droht Pflegeheimen die Insolvenz?
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05. März 2023, 05:00 Uhr
Um den Mangel an Pflegekräften zu begegnen, ist im vergangenen Jahr die minimale Lohnhöhe festgelegt worden. Doch die gestiegenen Kosten dafür müssen die Heime an die Bewohner weitergeben, und die können immer häufiger die Heimkosten nicht mehr aus eigenen Mitteln zahlen. Die Folge: Das Sozialamt muss einspringen. Doch auch dort fehlt in Sachsen-Anhalt offenbar Geld – mit Folgen für Pflegeheime.
Inhalt des Artikels:
- Kredit aufgenommen, um höhere Löhne zahlen zu können
- Zu wenig Geld für Sozialhilfe in der Landeskasse?
- Sozialhilfe: Zu geringe Finanzmittel eingeplant angesichts permanent steigender Kosten?
- Hintergrund: Warum die Kosten steigen
- Verband: Es drohen Insolvenzen bei Pflegeeinrichtungen
- Experte: System ist auf Kante genäht
- Fuhneaue: Mehr als die Hälfte der Bewohner könnte künftig Sozialhilfe benötigen
Seit dem 1. September 2022 sind alle Pflegeheime verpflichtet, Tariflohn zu zahlen, oder Löhne in vergleichbarer Höhe. Doch im Pflegeheim Fuhneaue in dem Ort Gröbzig, das zur Stadt Südliches Anhalt gehört, geschah das nicht – und zwar noch bis zum Ende des Jahres 2022. Was ein klarer Gesetzesverstoß ist. "Darüber waren viele Kollegen sehr erbost", sagt eine Pflegerin. Die Chefin habe gesagt, sie könne das nicht bezahlen, es sei kein Geld da.
Allerdings: Um die höheren Löhne zahlen zu können, muss das Heim höhere Preise von den Bewohnern verlangen, sagt Annett Rabe, die Chefin des privaten Pflegeheims Fuhneaue gegenüber MDR Investigativ. Diese höheren Preise müssen von den Pflegekassen genehmigt werden. Doch die Kasse – in diesem Fall die AOK in Sachsen-Anhalt – lehnte mögliche Neuverhandlungen der Verträge ab. Und zwar, wie Annett Rabe sagt, "mit der Begründung, es ist zu wenig, als dass man jetzt neue Verträge machen könnte!" Den Bescheid dazu habe sie 31. August 2022 erhalten. Die Mehrkosten durch die höheren Löhne ab September seien zumutbar, meinte die Kasse.
Das sah Annett Rabe aber ganz anders: "Ich habe gesagt: Ich kann nicht, ich kann nicht! Die Inflation ist da, die Lebensmittel kosten Geld. Die Leute müssen ja weiter essen können". Ohne Refinanzierung durch die Kassen, so Rabe, habe sie die höheren Löhne einfach nicht zahlen können.
Kredit aufgenommen, um höhere Löhne zahlen zu können
Knapp 40 Kilometer von Gröbzig entfernt betreibt das Unternehmen "Richterpflege" in der Region um Aschersleben zwei kleinere Pflegeheime mit rund 65 Angestellten. Auch hier waren die höheren Löhne ab September in den laufenden Verträgen mit der Pflegekasse noch nicht berücksichtigt.
Also haben wir dafür Kredite aufgenommen und haben eigentlich über die Kredite erst mal zwischenfinanziert.
"Alle freuen sich, die gesamte Gesellschaft hat gesagt: Ab 1. September gibt es Geld! Und dann sollte es kein Geld geben? Das kann nicht sein!", sagt uns Stephan Richter, der zusammen mit seiner Frau Jana das Unternehmen führt. "Also haben wir dafür Kredite aufgenommen und haben eigentlich über die Kredite erst mal zwischenfinanziert." Nur so haben die Beiden die höheren Löhne zahlen können – die immerhin Mehrkosten von 53.000 Euro pro Monat verursachten, wie sie sagen.
Zu wenig Geld für Sozialhilfe in der Landeskasse?
Doch warum gibt es Pflegeheime in Sachsen-Anhalt, die die höheren Löhne entweder – gesetzeswidrig – nicht oder nur durch die Aufnahme von Schulden zahlen können? Stephan und Jana Richter haben aus den Gesprächen mit den Pflegekassen und den Kommunen einen ganz bestimmten Eindruck gewonnen: "Die Pflegekassen sagen meistens: Das ist gar nicht so ihr Problem, aber sie müssen sich noch mit der Sozialhilfe abstimmen. Das dauert meistens!" Das könne auch mal aus Krankheitsgründen dauern, aber: "Wir haben so das Gefühl, dass einfach bei der Sozialhilfe auch das Geld nicht da ist. Das ist der Landeshaushalt." Richters glauben, aus diesem Grund würden die Verhandlungen absichtlich verzögert. Dazu muss man wissen: Die neuen Sätze gelten erst ab Einigung – rückwirkend bekommen die Heime das Geld nicht mehr.
Von Problemen bei den Verhandlungen hat MDR Investigativ nicht nur von privaten Trägern erfahren, sondern auch von kommunalen Trägern sowie von der Diakonie, einem kirchlichen Träger. "Wir erleben tatsächlich, dass es ganz schwierige Verhandlungen sind. Und ja, die Sozialkassen sind leer", sagt der Sprecher der Diakonie Mitteldeutschland, Frieder Weigmann. "Das Land hat nicht das Geld dafür, die Löcher zu stopfen, die im System entstanden sind." Also werde durch den überörtlichen Sozialhilfeträger gebremst. Denn: "Wenn ich länger verhandle, spare ich in dem Moment erst mal Geld!"
Die Heime verhandeln in erster Linie mit den Pflegekassen. Doch da viele Heimbewohner auf Sozialleistungen angewiesen sind – weil die Rente nicht für das Heim reicht –, muss der überörtliche Sozialhilfeträger dem Verhandlungsergebnis zustimmen. Das ist in Sachsen-Anhalt das Land selbst, das in Gestalt der Sozialagentur in Halle an den Verhandlungen teilnimmt.
Sozialhilfe: Zu geringe Finanzmittel eingeplant angesichts permanent steigender Kosten?
MDR Investigativ hat sich angesehen, was das Land für die "Pflege im Heim" in den vergangenen vier Jahren ausgegeben hat. Die Kosten für diese Sozialleistungen für Heimbewohner sind in Sachsen-Anhalt in diesem Zeitraum immer weiter gestiegen: von 46,2 Millionen im Jahr 2019 auf 65,3 Millionen im Jahr 2021. Was bei den Recherchen auffiel: Im Haushalt ist vorher jeweils eine deutlich geringere Summe veranschlagt worden – bis zu einem Drittel weniger. Und: Es wurde jeweils weniger eingeplant, als die Kosten des Vorjahres betragen haben. So als habe man Grund zur Hoffnung gehabt, dass die Kosten sinken würden, statt zu steigen. Was sie bis 2021 aber nicht taten.
Das Sozialministerium teilte MDR Investigativ dazu mit, die Prognose der Ausgaben sei schwierig und hänge von vielen Faktoren ab. Zur Aussage, die Sozialagentur bremse in den Verhandlungen, äußerte man sich dagegen nicht. Auch ein Interview bekommt die Redaktion nicht.
Hintergrund: Warum die Kosten steigen
Warum die Sozialausgaben für Heimbewohner seit Jahren nach oben gehen, ist bekannt: Immer weniger Pflegebedürftige können sich die steigenden Heimkosten noch leisten. Wenn die Ersparnisse aufgebraucht sind, muss ein Antrag beim Sozialamt gestellt werden. Die Rente reicht bei den meisten nicht.
Auf Bundesebene wollte die Politik gegensteuern: Seit Januar vergangenen Jahres wird deshalb den Pflegeheimbewohnern ein Zuschuss zu ihrem Eigenanteil an den Pflegekosten bezahlt, gestaffelt nach der Aufenthaltsdauer im Heim: Im ersten Jahr 5 Prozent, im zweiten 25, im dritten 45 und anschließend 70 Prozent. Allerdings: Laut Zahlen der Ersatzkassen ist weniger als die Hälfte der Pflegebedürftigen länger als zwei Jahre im Heim. Immerhin: Die neuen Zuschüsse haben die Sozialleistungen für die Heimbewohner im Jahr 2022 auch in Sachsen-Anhalt erstmalig wieder sinken lassen. Doch bringen sie wirklich die erhoffte Trendwende?
Verband: Es drohen Insolvenzen bei Pflegeeinrichtungen
Beim Sozialamt des Saalekreises in Sachsen-Anhalt erfährt MDR Investigativ, dass dort im vierten Quartal 2022 die Ausgaben für Heimbewohner deutlich nach oben gingen, statt nach unten. "Zum Beginn des vierten Quartals 2022 sind die Fallzahlen unverhältnismäßig gestiegen. Also wir hatten eine Steigerungszahl von circa 15 Prozent", erklärt Sachgebietsleiter Denny Schmidt. Die Zuschüsse haben offenbar wenig gebracht: "Wenn man die Preissteigerung aufgrund dieser Mindestlöhne, aufgrund Energiekostenpauschale, aufgrund Inflation, wenn man das entgegensetzt, sind die Zuschüsse in den entsprechenden prozentualen Sätzen einfach zu gering gewesen!" Das bedeutet: Die Heimbewohner haben mit höheren Kosten zu rechnen – und damit auch die Sozialhilfeträger.
Doch was bedeutet es für die Heime, wenn steigende Sozialleistungen tatsächlich dazu führen, dass Verhandlungen mit den Trägern von Pflegeheimen verzögert werden? "Es drohen Insolvenzen bei den Pflegeeinrichtungen", sagt Sabine Kösling. Sie ist Vorsitzende des Verbandes der privaten Anbieter sozialer Dienste (bpa) in Sachsen-Anhalt. Dort liefen wegen solcher Verzögerungen bei den Verhandlungen Notsignale von Pflegeheimen ein. Der Kostendruck sei enorm. "Die Frage ist: Wann ist da die Sicherstellung der Versorgung gefährdet?", sagt Sabine Kösling. Und die Frage dahinter dann offenbar: Was geschieht im Fall von Insolvenzen mit den Bewohnern?
Experte: System ist auf Kante genäht
"Dass die Entwicklung jetzt so schnell verläuft, das hat etwas auch damit zu tun, dass das System der Pflege in den letzten Jahren viel zu lange auf Kante genäht war", erklärt Professor Klaus Wingenfeld vom Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld. Er sieht den Ursprung vieler aktueller Probleme in der Vergangenheit – gerade auch mit Blick auf die vielerorts angespannte Personalsituation.
"Wir haben immer versucht, die Kosten so gering wie möglich zu halten, und dadurch wurde das System auch anfällig gegenüber Krisen oder plötzlichen Kostensteigerungen, so wie wir sie jetzt erleben", sagt Wingenfeld. Deshalb seien die Probleme derzeit massiv und machten sich auch schnell bemerkbar – etwa durch die rasante Zunahme an Sozialhilfeempfängern unter den Pflegebedürftigen. "Deshalb müssen möglichst schnell neue Finanzierungskonzepte gefunden werden."
Fuhneaue: Mehr als die Hälfte der Bewohner könnte künftig Sozialhilfe benötigen
Seit Januar erhalten auch die Angestellten des Pflegeheimes Fuhneaue in Gröbzig die neuen Löhne. Was Kosten von rund 30.000 Euro monatlich bedeutet, erklärt Chefin Annett Rabe. Weshalb angesichts auch sonst steigender Kosten die Belastungen für die Bewohner massiv gestiegen sind: um rund 500 Euro pro Monat. Annett Rabe rechnet nun damit, dass deutlich mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner des Heims Sozialleistungen beantragen müssen.
Angesichts dieser Situation kann sich so manche Pflegekraft über die höheren Löhne gar nicht so richtig freuen. "Man möchte eigentlich mehr verdienen, aber die Bewohner müssen dann auch mehr zahlen. Das ist eigentlich das Schlimme daran", beschreibt Pflegefachkraft Mandy Hubert ihre Gefühle über die Situation für die Bewohner des Heimes Fuhneaue. Sie verstehe nicht, "dass man da nicht irgendwie eine andere Lösung finden kann. Ich muss wirklich sagen: Die tun mir leid!"
Quelle: mpö
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 01. März 2023 | 20:15 Uhr