Eine Pflegerin wäscht die Hand eines älteren Mannes
Für einen Platz im Pflegeheim steigen in Sachsen-Anhalt die Kosten beim Eigenanteil um bis zu 45 Prozent. Bildrechte: IMAGO/photothek

Deutliche Preissteigerung Kosten für Pflegeheimplätze explodieren

17. Januar 2023, 05:00 Uhr

Pflegeheimplätze werden immer teurer. Wie aus Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT hervorgeht, steigen die Kosten für den Eigenanteil in diesem Jahr deutlich an – um bis zu 45 Prozent. Aktuell fehlt es an einer Anpassung bei Zuschüssen der Pflegeversicherung. Betreiber und Landespolitik sehen den Bund in der Pflicht. So mancher Betroffene traut seinen Augen schon jetzt nicht.

Als Gerd Thiele aus Lutherstadt Wittenberg einen Brief vom Pflegeheim seiner Mutter liest, mag er seinen Augen nicht trauen: Der Eigenanteil für die Pflege soll demnach von etwa 1.900 Euro auf rund 3.500 Euro monatlich angehoben werden – ein massiver Anstieg. Gerd Thiele versteht die Welt nicht mehr: "Wer soll das bezahlen?", fragt er und wendet sich per E-Mail an MDR SACHSEN-ANHALT.

Bereits den aktuellen Eigenanteil kann der 67-jährige Wittenberger schon nicht in voller Summe mit der Witwenrente seiner Mutter abdecken. Er ist verärgert, weiß nicht weiter. "Das war im ersten Moment ein Schock. Dann habe ich alles noch mal und noch mal durchgelesen und gedacht: Das kann nicht sein. Da habe ich erst mal Luft geholt und gedacht: Wie sollen wir das jetzt stemmen", erzählt Gerd Thiele.

Gang zum Sozialamt

Das betreffende Pflegeheim wollte nicht mit MDR SACHSEN-ANHALT sprechen. Gerd Thiele hat selbst mit dem Pflegeheim über das Informations-Schreiben gesprochen. Es sei nur eine maximale Kalkulation, erklärte das Heim ihm gegenüber. Man würde davon ausgehen, dass der Eigenanteil auf rund 2.700 Euro angehoben wird. "Wenn das eintritt, können wir vielleicht noch ein halbes Jahr die Summe vom Ersparten bezahlen und dann müssen wir halt zum Sozialamt gehen", meint der Rentner aus Wittenberg.

Er würde sich mehr Unterstützung wünschen, ist enttäuscht: "Meine Mutter ist 89, und dass sie dermaßen für einen vernünftigen Lebensabend kämpfen muss – das ist traurig für mich, erzählt Gerd Thiele nachdenklich. Und mit diesen Problemen ist er vermutlich nicht alleine, denn aktuell steigen die Preise für Pflegeheime zum Teil deutlich an.

Zum Teil 45 Prozent höherer Eigenanteil

Wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Soziale Dienste Sachsen-Anhalt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mitgeteilt hat, steigt der "einheitliche Eigenanteil der Pflege" in den Pflegeeinrichtungen des Trägers im Land, der von den Bewohnern zu bezahlen ist, um 45 Prozent an. Während das gesamte Heim-Entgelt, das Geld, was Pflegeheime insgesamt für die Pflege einer Person bekommen, nur um 13,6 Prozent angestiegen ist.

Das gesamt Heim-Entgelt setzt sich aus dem Eigenanteil der Bewohner und der Zuzahlung der Pflegekassen zusammen. "Da der Anteil der Zuzahlung der Pflegekassen vom Gesetzgeber nicht in der Höhe der Personal- und Sach-Kostensteigerungen angepasst wurde, fällt die Steigerung der Zuzahlung durch die Bewohner entsprechend höher aus", heißt es von der AWO.

Von der Caritas-Trägerschaft St. Mauritius, die 28 Einrichtungen mit 91 Betriebsstätten in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg innehat, heißt es, dass sich die Kosten je Platz in diesem Jahr um 15 Prozent erhöhen werden. Das wären nach eigenen Angaben maximal 300 Euro mehr bei den Zuzahlungen je Bewohner.

Ein Grund: Höhere Personalkosten

Von den Trägern heißt es, dass ein Grund für die Preissteigerungen die Tariferhöhung für die Beschäftigten im Pflegebereich ist. Die AWO spricht von 19,3 Prozent höheren Personalkosten. Dazu komme noch eine Steigerung zwischen fünf und acht Prozent bei den Sachkosten – dazu zählen beispielsweise die Kosten für Wäschereien.

Durchschnittlich hat es nach Berechnungen der Krankenkasse AOK bundesweit bereits Mitte November 2022 eine Erhöhung von 21 Prozent beim Eigenanteil an der Pflege gegeben. In Sachsen-Anhalt lag der Wert mit durchschnittlich 19,5 Prozent den Daten zufolge etwas darunter.

So werden Pflegekosten ermittelt Die Höhe der von den Pflegebedürftigen zu tragenden Pflegevergütung wird von unterschiedlichen Institutionen festgelegt. Einmal vom Träger der Pflegeeinrichtung, zum anderen von den Landesverbänden der Pflegekassen und zudem von der Sozialagentur Sachsen-Anhalt.
Die Pflegesätze werden für alle Heimbewohner einer Einrichtung nach einheitlichen Grundsätzen bemessen. Dabei wird der Versorgungsaufwand zugrunde gelegt, der durch den Pflegegrad der Pflegebedürftigen bestimmt wird.

Mit Stand Juli 2022 hätte der Eigenanteil in Sachsen-Anhalt nach Angaben des Gesundheitsministeriums mit 1.700 Euro noch rund 500 Euro unter dem bundesweiten Schnitt gelegen.

Ein Ansprechpartner, wenn Sie rund um das Thema Hilfe benötigen, sind die Verbraucherzentralen.

Forderungen: Anpassung der Pflegeversicherungs-Zuschüsse

Der Grund, warum der Eigenanteil so stark ansteigt, ist, dass auf Bundesebene eine Anpassung der Zuschüsse der Pflegekassen seit 2017 ausgeblieben ist. Eine eigentlich für das Jahr 2020 geplante Erhöhung ist ausgefallen.

Auch 2023 wäre eigentlich wieder eine Anpassung geplant gewesen, doch die Verhandlungen wurden seitens der alten Bundesregierung auf das Jahr 2021 vorgezogen. Mit dem Ergebnis: Eine Anpassung werde es frühestens 2025 geben. Ob die aktuelle Regierung etwas daran ändert, ist aktuell unklar. Forderungen gibt es momentan von allen Seiten.

Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) sieht den Bund in der Pflicht: "Die Mehrkosten durch höhere Gehälter sowie durch höhere Energiepreise und Inflation dürfen nicht allein bei Pflegebedürftigen und Angehörigen abgeladen werden. Der Eigenanteil muss begrenzt werden. Was wir dringend brauchen, ist eine Reform der Pflegeversicherung auf Bundesebene."

Die AWO Soziale Dienste Sachsen-Anhalt erklärt dazu: "Passiert das nicht, geht die Schere der Kostenentwicklung immer weiter auseinander und die Zuzahlungen der Bewohner steigen weiter an." Von der Caritas hieß es dazu, ohne Veränderung der Finanzierungs-Struktur muss auch künftig bei normalen Tariferhöhungen und Sachkosten-Entwicklungen mit jährlichen Kostensteigerungen von etwa 200 Euro pro Monat und Bewohner gerechnet werden.

Deswegen gibt es deutliche Unterschiede bei der Erhöhung im Eigenanteil

45 Prozent bei der AWO Soziale Dienste Sachsen-Anhalt, 15 Prozent bei der Caritas: Die Unterschiede der prozentualen Steigerung sind deutlich, aber laut Florian Wend, Vorstandsvorsitzender des Landesverbands Hauskrankenpflege Sachsen-Anhalt, ist das nicht überraschend: "Die unterschiedlichen Preissteigerungen resultieren daraus, dass alle einen anderen Absprung haben". Einige Einrichtungen hätten über Jahre nicht kalkuliert, andere würden es jährlich machen. "Jede Einrichtung kommt von einem anderen Preisgefüge und muss jetzt seine Preise so kalkulieren, dass die Kostendeckung erreicht wird", führt Wend aus.

Gerd Thiele aus Wittenberg fühlt sich im Stich gelassen. Er würde sich wünschen, dass mehr auf Rentner gehört und von der Politik Rücksicht genommen wird. Er wünscht sich, dass "da mal von der Regierungsseite Entscheidungen getroffen werden, die unsere Situation verbessern". Er wünscht sich mehr Sicherheit für die Zukunft, mit der er planen kann: "Denn diese Unsicherheit und, dass wir im Alter zum Sozialamt gehen müssen, das wünsche ich mir, dass uns das erspart wird."

MDR (Kevin Poweska, Mario Köhne)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. Januar 2023 | 07:00 Uhr

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