Ein Hund hinter einem Gitter. 8 min
Viele Hunde, die zu Corona-Zeiten angeschafft wurden, wurden wieder abgegeben. Mehr dazu im Video. Bildrechte: MDR/ Beatrix Heykeroth

Personal- und Geldnot Viele Problemhunde: Tierheime in Sachsen-Anhalt am Limit

02. Juli 2024, 10:02 Uhr

Viele Tierheime in Sachsen-Anhalt sind überlastet. Der Grund: Es gibt derzeit viel zu viele Einweisungen von Problemhunden – ausgelöst von den zuständigen Ämtern wegen Beißvorfällen, weil sie aus schlechten Verhältnissen kommen. Diese Tiere sind kaum zu vermitteln. Die Folge: Die Tierheime werden immer voller.

Aggressives Bellen. Man versteht kaum sein eigenes Wort. Tierheimleiterin Astrid Finger aus Burg zeigt auf eine lange Reihe von Zwingern. Hier sind die "Problemhunde" untergebracht. Einzeln. Zu dem zehnköpfigen Team gehört auch eine Hundetrainerin, die mit den schwierigen Fällen arbeitet.

Die "normalen" Hunde sind in einem anderen Bereich. Meist zu dritt oder mehr. Erst vor wenigen Tagen hat Astrid Finger mehrere Tiere von einer Rettungsaktion mitgebracht. Ein Mann hatte auf seinem Hof rund 100 Hunde gehalten und war völlig überfordert. Die Hunde verwahrlost, abgemagert, krank.

Veterinäramt greift ein

So wie auch Medusa und ihre sieben Welpen. Das Veterinäramt des Landkreises Jerichower Land hat sie eingewiesen. "Ihr Zustand war katastrophal, die Würmer kamen aus sämtlichen Öffnungen raus. So etwas Ekliges habe ich noch nie gesehen. Die Hündin hatte keine Milch mehr, die Welpen drohten zu verhungern", erzählt Astrid Finger. Die 54-Jährige ist glücklich, dass alle sieben überlebt haben – auch dank der liebevollen Zuwendung der Tierpfleger. Und natürlich sind jetzt alle wieder wurmfrei.

Eine Hündin mit Welpen auf einem Außengelände eines Tierheims.
Hündin Medusa und ihre Welpen wurden gerettet und aufgepäppelt. Bildrechte: MDR/ Beatrix Heykeroth

Kaum noch freie Plätze im Tierheim

Momentan sind im Tierheim 80 Hunde untergebracht. Die Einrichtung droht aus allen Nähten zu platzen, erzählt Astrid Finger: "Unser Tierheim ist wie viele andere Tierheime extrem voll, weil wir kaum Hunde vermitteln und viel zu viele Einweisungen haben. Außerdem hängt uns immer noch Corona bedingt nach, dass zu viele Tiere angeschafft wurden, die jetzt zu Problem-Tieren werden. Gerade im Bereich der Hunde werden die Tiere abgegeben, weil sie gebissen haben. Das hat zur Folge, dass die Tierheime immer voller werden."

Mit großer Sorge schaut die Tierheimleiterin auf die nächsten Wochen. Es sind Ferien und Sommerzeit. Das heißt: Es werden noch weniger Tiere vermittelt. "Das System Tierheim ist am Kippen", sagt Astrid Finger. Eine Anfrage beim Deutschen Tierschutzbund bestätigt dies. Jedes zweite Tierheim in Deutschland sei übervoll, nur etwa 18 Prozent hätten noch Kapazitäten.

Eine Frau füttert mit einer Spritze eine kleine Katze.
Astrid Finger hat schon viel zu tun – und blickt mit Sorge auf die nun begonnene Ferienzeit. Bildrechte: MDR/ Beatrix Heykeroth

Tierheimen fehlt das Personal

Ortswechsel: Das Tierheim in Wolmirstedt. Es ist wesentlich kleiner – wird aber auch wie das in Burg von einem Tierschutzverein geführt. Nur dass es hier keine feste Stelle gibt. Alles wird ehrenamtlich gemacht. Otfried Müller leitet das Tierheim seit sieben Jahren. Er war 40 Jahre Kriminalbeamter, jetzt ist er Pensionär.

45 Katzen und fünf Hunde werden in Wolmirstedt versorgt. Viele Hundezwinger stehen leer. Es gäbe eigentlich die Möglichkeit, mehr Hunde aufznehmen, erzählt Otfried Müller. Er habe aber nicht das nötige Personal dafür.

Der Hintergrund: Das Hundegesetz sieht vor, dass die Tiere mehrmals täglich ausgeführt werden müssen. Und deshalb gibt es gerade für den Umgang mit Problemhunden spezielle Schulungen. Man müsse sich auch mit ihnen beschäftigen, aber dafür fehle ausreichend Personal, so Müller.

Hilfe von verschiedenen Seiten

Unterstützung erhält der Tierheimleiter zum Beispiel von der 67-jährigen Mathilde Herbrich, die über den Bundesfreiwilligendienst aushilft.

Eine Frau streichelt einen Hund.
Mathilde Herbrich musste ihren eigenen Hund einschläfern lassen. Nun dennoch jeden Tag mit Tieren zu tun zu haben, macht sie glücklich. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Hilfe gibt es auch von Luca, der hier sein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolviert – oder von Liam, der Sozialstunden ableistet. Ohne sogenannte Stundenleister wie Liam könnte das Tierheim kaum überleben. "Es ist schon ein enormer Posten", schätzt Tierheimleiter Müller. Die Stundenleister würden im Jahr etwa die Hälfte der anfallenden Arbeiten übernehmen.

Sorge um die Zukunft des Tierheims

Eines bereitet dem 67-jährigen Tierheimleiter Sorge: Was ist, wenn er nicht mehr das Tierheim leiten kann? Wer macht es dann – für nichts? Er lebe ja von seiner Pension – aber jemand, der es dann eventuell hauptberuflich mache, müsse bezahlt werden. Ohne Leiter kein Tierheim.

Deshalb hat er die Stadt Wolmirstedt aufgefordert, eine Festanstellung zu schaffen. Diese wurde aber abgelehnt. Zur Begründung sagte Jens Sonnabend, Fachdienstleiter Bau und Ordnung Wolmirstedt: "Die Betreibung eines Tierheims ist nicht Pflichtaufgabe der Kommune." Das Tierheim übernehme zwar im Auftrag der Stadt die Betreuung von Fundtieren, aber darüber hinaus engagiere sich das Tierheim noch weiter im Tierschutz und dafür sei die Stadt nicht zuständig.

Hundehütten auf einer Wiese.
Ohne Spenden und Patenschaften wäre es für die Tierheime finanziell noch schwieriger. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Kosten werden nicht gedeckt

Für die Fundtiere hat die Stadt mit dem Tierheim einen sogenannten Fundtiervertrag abgeschlossen. Die Kommune zahlt dem Tierheim einen Betrag pro Einwohner. Im letzten Jahr war es einen Euro pro Einwohner, in diesem Jahr wurde die Summe um 50 Cent erhöht. Das macht eine Gesamtsumme von 18.000 Euro. Das deckt aber bei weitem nicht die Kosten. Ohne Spenden, Patenschaften oder spezielle Aktionen wie das geplante Sommerfest würde Tierheimleiter Müller nicht über die Runden kommen.

Happy End für Cockerspaniel Nemo

Aber es gibt auch Lichtblicke. Rentner Thomas Mätzel hat sich in Cockerspaniel Nemo verliebt. Der 62-Jährige ging ein paar Mal mit Nemo Gassi, nahm ihn probehalber für ein paar Tage mit nach Hause. Er hat Erfahrung im Umgang mit Hunden, jahrelang war er bei der Polizei Diensthundeführer.

Ein Mann mit einem braunen Cockerspaniel.
Cockerspaniel Nemo war seit April im Tierheim. Bildrechte: MDR/ Beatrix Heykeroth

Heute nun ist es soweit: Thomas Mätzel nimmt Nemo ganz zu sich nach Hause. Tierheimleiter Müller freut sich: "Jeder Hund, der vermittelt wird, macht Platz für neue Tiere." Und was passiert, wenn Hundebesitzer ihr Tier abgeben wollen, sie aber nicht aufgenommen werden können – wegen des Personalmangels? "Dann versuchen wir, von zu Hause nach zu Hause zu vermitteln", erklärt Otfried Müller. Das läuft über die Internetseite des Tierheims.

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MDR (Beatrix Heykeroth, Kalina Bunk) | Erstmals veröffentlicht am 30.06.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. Juni 2024 | 19:00 Uhr

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