Tag 1 | Freitag, 4. Juni – von Jessen bis nach Zeitz und auf den Brocken
Inhalt des Artikels:
18:55 Uhr | Johanna und Leonard haben noch eine späte Begegnung in Schierke
Wir sind vor dem drohenden Gewitter nach unten gekommen und sicher wieder in Schierke gelandet. Dort haben wir mit Madeleine und Marcel gesprochen, die ein Restaurant in Schierke betreiben. Das ist heute das erste Mal seit sieben Monaten wieder geöffnet.
Madeleine macht sich große Sorgen, weil bisher weniger Gäste nach Schierke kommen als im Vorjahr. Sie wünscht sich, dass die Politik neue Projekte in der Region ankurbelt, die Touristen anlocken. Von der Landtagswahl erwartet sie wenig. "Von der Vorgängerregierung nicht, der aktuellen Regierung nicht und der neuen auch nicht", sagt sie. Über die AfD müsse man gar nicht erst reden.
Besonders schwierig findet sie, dass man sich auf wenig habe einstellen können, weil die Politik keine klare Perspektive gegeben habe, wann es weitergehen könne. Dann muss sie das Gespräch beenden, weil Gäste kommen. "Endlich geht es wieder los", sagt sie.
Mit diesem letzten Gespräch möchten wir uns für heute verabschieden. Wir freuen uns sehr über Ihr Interesse und freuen uns, wenn Sie morgen wieder dabei sind. Dann sind wir in der Altmark unterwegs und hoffen auf mindestens genauso spannende Begegnungen, wie wir sie heute erleben durften. Wir wünschen Ihnen einen schönen Abend!
17:30 Uhr | Katharina und Lukas grüßen zum Abschied von der Burg Querfurt
Ein erlebnisreicher Tag im Burgenland und im Saalekreis geht zu Ende - stilecht auf der Burg Querfurt. Hier genießen wir noch kurz die Sonne, dann geht's weiter gen Südharz. Schönen Abend sagen Katharina und Lukas!
17:15 Uhr | Johanna und Leonard flüchten vom Brocken
Wer wird schneller runterkommen: Der Hagel aus dieser Wolke oder wir vom Brocken? Abstimmen gerne in den Kommentaren!
17:10 Uhr | Jana verabschiedet sich tierisch
Mit tierischen Grüßen verabschiede ich mich aus dem Jessener Land. Morgen geht es für mich in Richtung Bitterfeld-Wolfen. Ich freue mich auf viele interessante Begegnungen rund um die Goitzsche.
17:05 Uhr | Wie ein Kloster in Zeitz zur Kulturstätte wurde – Katharina und Lukas
Bei unserer Ankunft verdrehen Lennart und Nina erst einmal die Augen: Schon wieder Besuch. Dabei finden sie das allgemeine Interesse an ihrem Projekt ja toll - und das wird in letzter Zeit nun einmal immer mehr. Kein Wunder, denn der Verein „Kloster Posa“ ist in Zeitz einzigartig und hat Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus. Das Kloster Posa ist ein Leuchtturmprojekt, eine Wirk-, Kultur- und Bildungsstätte. Etwa die Hälfte der Vereinsmitglieder wohnt auf dem Gelände, es gibt Künstlerateliers, Veranstaltungsräume, eine Siebdruckwerkstatt , ein Fotolabor und vieles mehr.
Lennart und Nina kommen frisch aus Berlin. Zeitz bietet Möglichkeiten, die es in der Hauptstadt nicht gibt. „Menschen suchen Freiraum – und hier in Zeitz gibt es den“, sagt Lennart. Im Kloster wohnen sie aber nur für den Übergang, bald geht es nach Leipzig. Zum Kloster wollen sie dann an den Wochenenden fahren. Ganz auf die Großstadt verzichten, das geht dann doch nicht – noch nicht.
Ein Knackpunkt ist die Verkehrsanbindung. „Als wir 2013 hier hingekommen sind, hieß es schon, bald komme eine S-Bahn von Leipzig, die öfter und schneller fährt. Aber bisher fährt immer noch der Regio, einmal die Stunde“, sagt Nina. Mit einer S-Bahn nach Leipzig könnte Zeitz praktisch der Speckgürtel der sächsischen Metropole werden. Das würde auch für Lennart und Nina vieles ändern.
Sehen sich Nina und Lennart als Teil von Zeitz? Ja und nein. Die „Hippies“ vom Klosterberg fallen auf im Stadtbild. Trotzdem: Der Verein ist längst Teil der Stadtgemeinschaft – durch Ausstellungen oder Kunstprojekte im Stadtzentrum. Und so kommt es vor, dass statt geplanten 200 auf einmal 800 Leute zu ihren Veranstaltungen kommen. Darunter, so Nina und Lennart, immer mehr „ganz normale Zeitzer“.
16:30 Uhr | Die Probleme der Schausteller in der Pandemie – Jana
Ich bin noch einmal ein Stück weitergefahren, nach Seyda, einem Ortsteil von Jessen, sehr ländlich gelegen, sehr idyllisch. Mit Traktoren auf den Höfen habe ich also gerechnet - mit einer Jahrmarkthütte aber nicht. Entsprechend groß war meine Überraschung, als ich zufällig das Winterquartier der Schausteller-Familie Sperlich entdeckte.
Und hinter dieser Familie liegen ein paar harte Monate, sagt Jonny Sperlich, der gerade an einer der Hütten arbeitet. „Unsere letzte richtige Einnahmequelle war der Weihnachtsmarkt 2020 – seitdem kam nie wieder richtig was rein. Es ist wirklich eine sehr schwere Zeit für uns. Denn es geht nicht nur ums Geld. Das ist unser Leben", so Jonny. Zwar konnten auch Schausteller Corona-Hilfen beantragen, doch die reichten hinten und vorne nicht, meint er. Von der Politik fühlt sich Sperlich im Stich gelassen. „Discotheken, Konzertveranstalter und wir Schausteller sind die Schlusslichter. Dabei machen auch wir Kultur.“
Deutschland sei das Land der Volksfeste, mit einer jahrhundertelangen Tradition, die man bewahren müsse. Am Sonntag wird Jonny wählen gehen. Er hat sich die Parteien genau angesehen, um herauszufinden, wer hinter den Schaustellern steht und sie unterstützten wird.
Und dann hofft Jonny darauf, endlich wieder loslegen zu können, in drei Wochen vielleicht. Dann wollen Sperlichs in der Lausitz einen kleinen „Vergnügungspark“ aufbauen - Hygienekonzept, Sicherheitsdienst und Teststation inklusive. Alles zusätzliche Kosten, sagt Jonny Sperlich, aber es müsse ja weiter gehen. Und spätestens, wenn er leuchtende Kinderaugen sehe, sei der ganze Ärger erstmal vergessen.
16:30 Uhr | Heinrich Heine grüßt vom Brocken – Johanna und Leonard
Wen wir sozusagen ebenfalls auf dem Brocken getroffen haben: Heinrich Heine. Ihm sagt man nach, dass er nach seinem Besuch auf dem Brocken gemeint habe: „Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine.“ Einige Stimmen sagen, dass ihm das nur angedichtet wird. So oder so: Die vielen Steine und die müden Beine können wir bestätigen - die Aussicht hingehen war super. Wir wandern jetzt wieder zurück nach Schierke. So ein spannender Tag!
16:20 Uhr | Anne aus Zeitz findet, die Stadt ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht – Lukas und Katharina
Anne ist 40 Jahre alt und Ur-Zeitzerin. Vor ein paar Jahren haben sie und ihr Mann ein altes Fachwerkhaus an der Freiheit gekauft. Das ist die Gasse entlang der alten Stadtmauer. Heute wohnen hier Handwerker, Versicherungskaufmänner – ganz verschiedene Leute, denen ihr Nachbarschaft am Herzen liegt.
Die Renovierungsarbeiten am Haus sind eine Lebenaufgabe, lacht Anne, aber eine gute. Wenn es nach ihr geht, soll das Haus möglichst originalgetreu wieder hergerichtet werden, wenn auch mit einem modernen Touch. Zeitz ist für Anne eine Stadt mit "Ecken und Kanten". Als Kind empfand sie die Stadt als "grau". "Mittlerweile ist Zeitz aber aus dem Dornröschenschlaf erwacht."
Was Anne ärgert: "Viele Zeitzer sehen nicht, was schon getan wird" - zum Beispiel ihr Kulturverein "Kleiner Rahmen". Von der Politik erwartet sie besser Infrastruktur in den ländlichen Raum und dass die alte Bausubstanz vor Vandalismus geschützt wird.
16:10 Uhr | Kosmetikerin wünscht sich Stärkung nach der Pandemie – Johanna und Leonard
Annett und Gerald sind gerade glücklich auf dem Brocken angekommen. Sie stammt aus Naumburg und zieht Gerald bald nach Regensburg hinterher. Als selbstständige Kosmetikerin hat sie stark unter der Corona-Situation gelitten. Sieben Monate lang durfte sie nicht arbeiten. Die Soforthilfen haben zwar gut funktioniert, trotzdem war die Situation für sie nicht einfach.
Für die Wahlen wünscht sie sich deshalb, dass gute Impulse für die Wirtschaft gesetzt und kleine Unternehmen sowie der Tourismus gestärkt werden. Auch wenn Corona nicht einfach war, hat sie mit viel Begeisterung ihre Heimat wiederentdeckt und Gerald heute das erste Mal den Brocken gezeigt, statt weit weg in den Urlaub zu fahren. Auch die zusätzliche Zeit mit der Familie hat sie genossen. Das Wichtigste ist ihr aber: "Dass wir das alles gut überstehen und dass wir zusammenhalten und anständig miteinander umgehen. Dann schaffen wir alles."
15:45 Uhr | Winzer in Jessen freut sich, wieder Gäste empfangen zu dürfen – Jana
Was viele nicht wissen: Das Jessener Land ist das nördlichste Weinanbaugebiet Deutschlands. Deshalb habe ich die Chance genutzt, auf dem Weingut Hanke vorbeizuschauen, einem Familienunternehmen, das auf 15 Hektar Land 13 Rebsorten anbaut. Im Hofladen zwischen etlichen Regalen und Stiegen voller Weinflaschen habe ich Frank Hanke getroffen. Der 51-Jährige war sichtlich erleichtert, dass die Corona-Zahlen fallen und die Gastronomie ihren Betrieb wieder aufnehmen darf. Die Hankes haben zwar während der Pandemie über einen Online-Shop auch Wein an ihre Kunden verkaufen können, doch die Hauptabnehmer sind Restaurants und Hotels. Die Fässer im Keller blieben also voll.
Zwar werde der Wein nicht so schnell schlecht wie beispielsweise Bier, sagt der Winzer, aber die nächste Ernte komme bestimmt, und dann würde es ohne Verkäufe ganz schön eng im Keller. Doch nun gehe es ja wieder los, und auch auf dem Jessener Weingut könnten wieder Besuchergruppen empfangen werden. Hankes haben für ihre Gäste schon Weinwanderungen geplant, mit Abstand und viel frischer Luft durch die Natur. Die einfachen Dinge im Leben wieder zu schätzen, das hätten viele Menschen durch die Corona-Krise gelernt, sagt Frank Hanke. Und er hofft, dass das noch eine Weile so bleibt.
15:15 Uhr | Alte Bibliothek in Zeitz erwacht zu neuem Leben – Katharina und Lukas
Die Rahnestraße in Zeitz erfreut sich trauriger Berühmtheit. Im Gespräch mit Passanten heißt es immer wieder: "Das ist unser negatives Aushängeschild." Die alten Häuser verfallen, leere Ladenlokale und zerbrochene Scheiben prägen das Bild. Nur der Asphalt ist frisch. Dabei liegt die Straße in unmittelbarer Nähe zum historischen Stadtzentrum. Eine millionenfach geklickte Reportage im Internet hat die Rahnestraße als Sinnbild der Zeitzer Probleme ausgemacht.
Dabei tut sich hier etwas: Die alte Bibliothek wird gerade wieder zu neuem Leben erweckt. Einen "Experimentierraum für Kunst- und Kreativschaffende" will die Stadt schaffen. Die Lesersäle werden in Veranstaltungsräume und Künstlerateliers umgewidmet, Stück für Stück. Ein Modell, das Schule macht. Der Strukturwandel verlangt nach neuen Industrien und Nutzungen. In einer alten Nudelfabrik haben sich Software-Entwickler angesiedelt. Es ist ein kleiner Hype um Zeitz entstanden. Auch vor den Toren der Stadt, wo wir als nächstes hinfahren.
14:35 Uhr | Wanderinnen und Wanderer sorgen sich um die Natur – Johanna und Leonard
Mit uns sind auch einige Familien auf dem Brockengipfel – wie Sven, Lydia und Marius. Sie sind aus Nordrhein-Westfalen angereist und total wanderbegeistert. Der Brockenaufstieg war für sie gar kein Problem. Sie kommen seit Jahren in den Harz. Die Situation der Bäume belastet sie. Gleichzeitig äußern sie auch Kritik – und zwar an den Touristenattraktionen am Wurmberg. Sie mögen – neben dem Brocken – lieber Orte, an denen nicht so viele Menschen unterwegs sind und wünschen sich, dass es mehr Angebote für Wohnwagen gibt. Mit solch einem sind sie nämlich auch dieses Mal wieder angereist.
Kurt kommt aus Halberstadt und kennt Sachsen-Anhalt, speziell die Region Harz, sehr gut. Er findet, dass das Land eine positive Entwicklung genommen hat, wie etwa der Ausbau der A14 zeige, der langsam voran gehe. Kurt blickt positiv in die Zukunft. Für die Wahl wünscht er sich, dass eine stabile Regierung möglich wird. Doch er sorgt sich wegen der hohen Stimmanteile der AfD, weil ihm von der Partei erkennbare zukunftsweisende Konzepte fehlen.
Themen, die ihm wichtig sind, sind zum einen der Umweltschutz: "Das sieht man ja: Hier war Jahrzehnte lang alles grün. Und jetzt? Tote Bäume!" Außerdem wünscht er sich, dass in den Tourismusgebieten mehr Kulturprogramme gefördert werden. Museen und andere Einrichtungen kosteten zwar Geld, seien aber wichtig für die Menschen und zögen Touristen an, meint Kurt.
14:15 Uhr | Auf dem Brocken angekommen – Johanna und Leonard
Geschafft! Wir haben unseren großen Meilenstein für heute erreicht und sind am Brockengipfel angekommen. Jetzt ist erstmal Zeit für eine Pause und für weitere Gespräche mit den Wanderinnen und Wanderern, die mit uns hier oben angekommen sind.
13:55 Uhr | Auch in Jessen ist Meckern keine Lösung – Jana
Ich bin von Holzdorf etwa zehn Kilometer weiter nach Jessen gefahren. In einem kleinen Park an einem Pflegeheim wollte ich eigentlich Mittagspause machen, doch dann saß dort auf einer Bank Susanne (Name von der Redaktion geändert). Sie arbeitet in dem Pflegeheim und wartete vor Dienstbeginn auf das Ergebnis ihres Corona-Tests. Die Pandemie habe die Abläufe im Heim ganz schön verändert sagt sie, doch mittlerweile hätten sich alle daran gewöhnt und die Lage sei entspannt.
Ob die Politiker in der Corona-Krise aus ihrer Sicht etwas anders hätten machen sollen, will ich weiter wissen. Nach kurzem Zögern verneint die Anfang-60-Jährige. "Als Außenstehender kann man immer meckern", sagt sie, doch niemand habe wissen können, wie sich die Pandemie entwickelt. Überhaupt sei Meckern keine Lösung. Die Menschen sollten lernen, das zu schätzen, was sie haben, anstatt sich über alle möglichen Dinge aufzuregen. Jeder sei seines Glückes Schmied. Die Politik solle sich dafür einsetzen, die sozialen Unterschiede in der Gesellschaft nicht noch größer werden zu lassen. Die Landesregierung müsse sich für alle ihre Bürger stark machen.
13:25 Uhr | Drei Osnabrücker finden den Harz beeindruckend – Johanna und Leonard
Wir steigen weiter den Brocken auf. Bisher sind wir noch nicht vom angedrohten Gewitter, dafür aber vom Schweiß ein bisschen nass. Allmählich sehen wir mehr Touristen.
Auf unserem Weg haben wir Katie und Verena mit Hündin Cessy getroffen. Die drei kommen aus Osnabrück und finden den Harz wunderschön. Die toten Bäume fallen ihnen zwar auch auf, aber als Osnabrückerinnen vom Flachland finden sie die Wanderroute einfach beeindruckend. Was sie schade finden, ist, dass die Orte trotz der niedrigen Inzidenzen noch etwas ausgestorben und dadurch weniger einladend wirken. Sie vermuten, dass das Corona geschuldet ist, und freuen sich auf die nächsten Tage - und auf die Ankunft auf dem Gipfel. Dahin machen wir uns jetzt auch auf den Weg.
12:50 Uhr | Zwei Unzufriedene aus Holzdorf sagen ihre Meinung – Jana
In der Nähe des Bahnhofs habe ich Jenny und ihren Sohn Julian getroffen. Die 35-Jährige ist eine dieser unzufriedenen Holzdorfer, von denen ich schon beim Bäcker gehört habe. Jenny ist Altenpflegerin, geht nur in Nachschichten arbeiten, ihr Mann arbeitet im Fahrzeugwerk Empl im benachbarten Elster – doch das Geld ist knapp bei der Familie. Viel zu viele Steuern müssten sie zahlen, sagt Jenny. Dafür leiste der Staat viel zu wenig.
Für die Kinder zum Beispiel gebe es in Holzdorf kaum Freizeitmöglichkeiten. Einen Jugendclub würde sie sich für ihren Sohn wünschen. Der Zwölfjährige vermisst auch einen Spiel- oder Sportplatz, er würde gern mit Freunden Tischtennis oder Basketball spielen. Doch in Holzdorf geht das nicht. Von der Wahl am Sonntag erhofft sich Jenny einen Politik-Wechsel. Die Politiker, die derzeit Sachsen-Anhalt und Deutschland regieren, hätten in den vergangenen Jahren nicht genug getan.
12:20 Uhr | Gespräch mit einer Rückkehrerin in Zeitz – Katharina und Lukas
Bärbel ist 71 Jahre alt. Im leichten Sommerkleid spaziert sie durch den Brückenweg Richtung weiße Elster zum Bahnhof. Bärbel ist Neu-Zeitzerin. Obwohl, nicht ganz: Alt-Neu-Zeitzerin. Nach 30 Jahren in Niedersachsen ist sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Während die Maler gerade die Wände ihrer neuen Wohnung streichen, entdeckt sie Zeitz ein zweites Mal.
In der DDR hat Bärbel eine Ausbildung zur Friseurin gemacht. Kurz nach der Wende zog sie dann aber nach Verden in Niedersachsen. Es folgten viele unterschiedliche Jobs, unter anderem als Floristin und Gärtnerin. Ihr Mann, mit dem sie all das erlebt hat, ist mittlerweile gestorben. Dann der Entschluss: "In Verden hält mich nichts mehr." Ihr Haus dort verkauft sie gerade. Sie will zurück in die Nähe ihres Sohnes. Der war damals in Zeitz geblieben.
Bärbels erster Gedanke, als sie am Zeitzer Bahnhof aus dem Zug stieg? "Ich war geschockt. Das sieht ja aus wie nach dem Krieg!" Doch auf den zweiten Blick gefällt ihr die alte Heimat. Sie hofft, dass die vielen leerstehenden Häuser bald saniert werden. An die hügelige Landschaft muss sie sich als eingefleischte Farradfahrerin, nach den Jahren auf dem platten Land, aber erst wieder gewöhnen. Natur, Kultur, die Nähe zu Leipzig – auf all das freut sich Bärbel jetzt. Und sagt: "Ist schon aufregend, so ein Neuanfang."
Seit der Wiedervereinigung hat sich die Bevölkerung von Zeitz fast halbiert. Leerstand gehört neben den aufwändig restaurierten Gebäuden zum Stadtbild. Immerhin: In den vergangenen Jahren ist der Wegzug gestoppt worden. Zeitz scheint vom Boom des nahengelegenen Leipzigs zu profitieren. Die Stadt will sich neu erfinden. So gibt es 2,1 Millionen Euro für ein Projektbüro mit dem Titel "Stadt der Zukunft". Am Donnerstag hat Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den Genehmigungsbescheid überreicht.
Diesen neuen Schwung in Zeitz hat auch Bärbel nach kurzer Zeit schon bemerkt. Ihr Wunsch ist, dass sich die Stadt weiter belebt und verjüngt. Denn alles, was hier aufgebaut wird, was Initiativen anstoßen, funktioniert nur, wenn auch genug Leute hier leben. Da ist sich Bärbel sicher.
11:45 Uhr | Auf dem Weg zum Brocken – Johanna und Leonard
Auf dem Weg zum Brocken treffen wir Astrid und ihren Mann Andreas aus Düsseldorf. Die beiden sind mit Hund Ferdi unterwegs. Ferdi gehört einer Freundin, die die Düsseldorfer aktuell besuchen. "Wir waren schon so häufig hier", beginnt Astrid zu erzählen. Gerade im Vergleich zu Urlauben im Allgäu oder bei sich Zuhause in der Eifel schätzt das Paar den Wald im Harz sehr. "Es ist nur so schade, was sie hier aus dem Wald gemacht haben, dass sie das Totholz nicht rausgeholt haben."
Tatsächlich kämen sie aktuell nur noch wegen der Freunde hier in die Region und nicht mehr wie früher wegen der Natur: "Wir wollen einen richtigen Wald". Die Zustände hier gefallen ihnen aktuell nicht. Sie wünschen sich, dass sich das wieder ändert.
Was sie etwas verärgert: Dass sie Kurtaxe zahlen müssen und dafür in ihren Augen der Wald nicht hergerichtet wird. Außerdem erzählen sie: "Bei uns in der Eifel gehen sie immer direkt in den Wald rein, wenn es da Probleme mit Borkenkäfern gibt, und holen die raus. Schade, dass das hier nicht auch so gehandhabt wird."
10:45 Uhr | In der Zeitzer Wasservorstadt – Lukas und Katharina
Die Überbleibsel des ehemaligen Zitza Werks bilden die Skyline der Zeitzer Wasservorstadt. Der helle Backstein des Fabrikkomplexes ist verwittert, keines der Fenster ist heil, an einem Nebengebäude ist das Dach eingestürzt. 1996 liefen hier die letzten Haarpflegemittel vom Band.
Beatrice ist 33 und lebt ihr Leben lang in Zeitz. Wie jeden Morgen ist sie am Mühlgraben mit ihrem Rüden Ozzy unterwegs. Die Faszination für die Brache teilt sie nicht. "Ich verstehe nicht, warum es nicht weitergeht. Die Stadt ist tot." Ihr Ziel am heutigen Morgen ist ihr Kleingarten an der Naumburger Straße. Dort warten die Stallhasen ihrer Töchter noch auf ihr Frühstück. Hasen und Kleingarten – das ist Beatrice Versuch, ihre Kinder von "dummen Gedanken" abzulenken: "Die rennen sonst nur in den alten Gebäuden rum. Und die sind nicht sicher."
Beatrice Töchter sind 14 und zehn Jahre alt. Da kommt es schon mal vor, dass die Große die Kleine mit auf Entdeckungstour nimmt. Beatrice macht sich dann Sorgen. Sie wünscht sich in Zeitz mehr Angebote für Kinder und Jugendliche, "einen Jugendclub zum Beispiel oder eine Mädchenfußballmannschaft" in ihrer Nachbarschaft. "Dann hätten die etwas zu tun". Jetzt warten aber erstmal die Hasen auf Futter und frisches Wasser. Und vielleicht finden ja auch die Töchter bald Gefallen an Nachmittagen im Schrebergarten.
09:50 Uhr | In der Bäckerei in Holzdorf – Jana
In der Bäckerei Hofmann hat mir Petra Schmiel einen Kaffee verkauft. Die 61-Jährige arbeitet seit 16 Jahren in dem kleinen Geschäft in Holzdorf, kennt viele ihre Kunden persönlich und weiß auch um die Sorgen und Probleme der Holzdorfer.
Viele sind unzufrieden, sagt sie. Klimaschutz sei schön und gut, doch wenn das immer weiter steigende Benzinpreise bedeute, sei der ländliche Raum viel mehr betroffen als zum Beispiel die Stadt. "Wir können hier nun mal nicht in die Straßenbahn steigen", sagt die Verkäuferin. Hier komme man nun mal nur mit dem Auto zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Arzt. Von der Politik erwartet sie deshalb, den Öffentlichen Nahverkehr auszubauen und damit auch auf dem Land eine Alternative zum Auto zu schaffen.
09:30 Uhr | Unser erstes Gespräch in Schierke – Johanna und Leonard
Unser erstes Gespräch führen wir direkt während unseres Morgenkaffees im Schierker Kurpark. Gesprächspartner ist Oliver Hensel, Unternehmer und unter anderem Betreiber der Pension, in der wir übernachten durften. Er hat sich in seiner Studienzeit in Wernigerode nicht nur in seine Frau, sondern auch in den Harz verliebt und lebt schon lange in der Region. Momentan bewegen ihn die Themen Corona und Tourismus, die regionale Entwicklung und die Wandlung der Harzer Wälder besonders.
Zum einen erzählt er, dass der Harz stark unter den Tourismuseinbrüchen durch Corona gelitten habe. Schierke hat insgesamt ca. 550 Einwohner, unter Normalbedingungen aber 350.000 Übernachtungen im Jahr und ist stark auf den Tourismus angewiesen. "Vom Bäcker über Pensionen bis zu Verleihern: Hier hat eigentlich jeder mit Tourismus zu tun", sagt er. Die Hilfen für Betriebe hätten zwar ein paar, aber längst nicht alle Einbußen abfangen können. Hensel mutmaßt deswegen, dass einige Betriebe für immer schließen müssen. Persönlich würde er sich wünschen, dass die Politik nicht nur die Betriebe und die Mitarbeiter, sondern auch die Unternehmer stärker berücksichtigt hätte.
Ein weiteres Thema, das Hensel beschäftigt, ist die langfristige Entwicklung der Region. Nach Investitionen in ein großes Parkhaus und die Schierker Feuersteinarena – dort kann man unter anderem Schlittschuh fahren – seien die Investitionen für eine geplante Bergwelt ausgesetzt worden. Hier brauche es Ersatzprojekte und Alternativen, meint er - und hofft, dass sich bald etwas tut.
Von der Entwicklung der Region sind aber nicht nur Tourismusprojekte, sondern auch der Wald im Harz betroffen. Die Bilder der durch Dürreperioden, Borkenkäfer und andere Stressfaktoren sterbenden Fichtenwälder im Harz laufen schon seit Jahren immer wieder über die Bildschirme. Hensel sagt, dass der Verlust der Fichtenwälder nicht nur negativ wahrgenommen, sondern im Ort heiß diskutiert werde.
Während einige den Verlust der Fichtenwälder als tragisch erlebten und gerade Nutzwaldbesitzer große Verluste hinnehmen müssten, könne man in der Veränderung des Waldes auch eine Chance sehen, meint Hensel. Besonders im Nationalpark Harz, wo die toten Bäume oft stehen gelassen werden, seien positive Effekte zu beobachten. Statt Fichtenmonokulturen würden neue, widerstandsfähige Mischwälder nachwachsen, im toten Gehölz steige die Anzahl der Insekten und damit auch anderer Lebewesen. Außerdem sei das Gehölz eine schöne, natürliche Barriere gegen Rotwild, das sonst junge Bäume und Rinden abfrisst und die Entwicklung des Waldes verhindern kann. "Ich bin zuversichtlich, dass sich hier alles wunderschön entwickeln wird. Die Natur ist so schnell", sagt er.
Nicht nur zuversichtlich, sondern geradezu enthusiastisch blickt Hensel der Zukunft entgegen – trotz aller Herausforderungen. Er freut sich, dass die Touristen wiederkommen können, dass langsam das Leben wieder losgeht. Und er freut sich auf die Entwicklungen, die kommen werden. "Der ganze Ort, jeder hat hier gerade ein Lächeln im Gesicht", sagt er. Ein schönes Schlusswort, finden wir. Zeit, unseren Kaffee auszutrinken und uns auf den Weg auf den Brocken zu machen – bevor doch noch der Hagel einsetzt.
09:15 Uhr | Guten Morgen auch aus Holzdorf! – Jana Müller
Einen schönen guten Morgen auch aus Holzdorf im Landkreis Wittenberg, ganz im Osten von Sachsen-Anhalt Oder wie die Bewohner hier sagen "von dort, wo Sachsen-Anhalt anfängt". Ich bin Jana Müller und stehe gerade vor der Kirche St. Nicolai im Herzen von Holzdorf. Mein erstes Ziel ist eine kleine Bäckerei gegenüber - der perfekte Ort für einen Kaffee und ein paar nette Gespräche. Ich bin gespannt.
09:10 Uhr | Guten Morgen aus Zeitz! – Katharina Neuhaus und Lukas Paul Meya
Unsere Tour beginnt im Burgenlandkreis. Bis Sonntag wollen wir dann noch weiter nach Querfurt, in den Südharz, nach Hettstedt, über Bernburg bis nach Magdeburg. Jetzt geht’s für uns dahin, wofür Zeitz neben seinem Barockschloss ebenfalls steht - das industrielle Erbe.
09:00 Uhr | Guten Morgen aus Schierke! – Johanna Daher und Leonard Schubert
Wir, also Leonard Schubert und Johanna Daher, beginnen den Tag in Schierke, da wir heute hoch auf den Brocken wollen. Wir sind schon total gespannt, wen wir dort – mit Abstand – treffen und welche persönlichen Geschichten uns die Menschen erzählen werden. Vorher haben wir an der ortseigenen, handgeschriebenen Wettertafel vor der Touristeninformation geschaut, was uns erwartet: 19 Grad, nachmittags kann es regnen. Mal schauen, ob Sie später zwei durchnässte Reporter sehen werden oder nicht.
Die Route der Reporterinnen und Reporter
Das sind die fünf Redakteurinnen und Redakteure
Katharina Neuhaus Dortmund Scharnhorst war ihr nicht weit genug im Osten. Für's Volo ging's also – zack – gen Leipzig. Ihre prägendste Job-Station vor dem MDR war die Multimedia-Redaktion von DER SPIEGEL. Ihr großartigster Medien-Moment, der Gewinn des Hauptpreis für Multimediales Storytelling beim LUMIX Festivals für jungen Bildjournalismus 2020.
Lukas Paul Meya Er ist ursprünglich Bielefelder und hat Politik und Kunst studiert. Erst in Halle, dann in London. Hin- und hergerissen zwischen harter Wissenschaft und schöner Kunst, wurde er Entwickler von politischen Bildungsapps in Berlin. Eigentlich ein Traumjob – gäbe es nicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Deshalb macht Lukas Paul Meya jetzt sein Volontariat beim MDR.
Jana Müller
Sie ist in Gräfenhainichen groß geworden, arbeitet seit 2018 bei MDR SACHSEN-ANHALT im Regionalstudio Dessau. Sie berichtet aus der Region Anhalt und Wittenberg hauptsächlich für den Hörfunk, aber auch für Fernsehen und Online. Schon während ihres Studiums an der Martin-Luther-Universität in Halle machte Jana Müller erste Radio-Erfahrungen bei Radio Brocken und 89.0 RTL, danach zog es sie aber erst einmal zum Fernsehen. Bei den Regionalfernsehsendern in Dessau und Bitterfeld-Wolfen war sie als Redakteurin aber auch als Kamerafrau unterwegs.
Zu ihren absoluten Lieblingsorten in Sachsen-Anhalt zählt der Zschornewitzer See, den sie als Ruderin schon unzählige Male auf und ab gefahren ist.
Leonard Schubert
Er arbeitet seit Februar 2020 für MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.
Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.
Johanna Daher
Seit Februar 2018 ist sie Teil der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Ihr typischer Satz in den sozialen Medien beschreibt sie ihrer Meinung nach ziemlich gut: "Christin, Journalistin und Optimistin mit einer Liebe zum Multimedialen, Interaktiven und Programmieren."
Johanna Daher kommt gebürtig aus Nordhessen, hat in Dortmund Journalistik und in Wernigerode an der Hochschule Harz "Medien- und Spielekonzeption" studiert. Deshalb hat sie ihre Masterarbeit über "Newsgames", also Spiele für den Journalismus, geschrieben. Wie man eigene Spiele entwickeln und Teil der Games-Branche werde kann, das zeigt sie regelmäßig auf ihrem YouTube Kanal (Johanna Daher).
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 04. Juni 2021 | 13:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/8d5aeda0-0a93-4680-9a1b-ee654f106105 was not found on this server.