Beispiel Zeitz Was junge Menschen vor der Landtagswahl bewegt
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29. Mai 2021, 09:51 Uhr
Junge Menschen unter 18 dürfen in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl nicht mitwählen. Doch sie sind sehr politisch. MDR SACHSEN-ANHALT hat in Zeitz nachgefragt, was junge Menschen vor der Wahl bewegt. Die Besonderheit in Zeitz: Die Stadt gehört zum Landtagswahlkreis mit der ältesten Bevölkerung.
Groß und hell erscheint das Schulgebäude der "Schule am Schwanenteich" an einem grauen, regnerischen Tag in Zeitz im Burgenlandkreis. Die Schülerin Chantal Hilt und ihr Mitschüler John Heiland, beide 16 Jahre alt, besuchen hier die neunte Klasse. Nicht mehr lange, und sie werden die Sekundarschule verlassen, eine Ausbildung beginnen. Was wünschen sie sich für Zeitz, ihre Heimatstadt? Wie blicken sie auf die anstehende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, an der sie noch nicht teilnehmen dürfen?
Chantal würde sich wünschen, das politische Geschehen bereits mit beeinflussen zu können: "Wir haben ja ab 16 ein Alter, wo man sagen kann: Wir haben schon eine Perspektive, wie es im Leben weitergehen soll. Und wir sind insofern schon seit 16 Jahren dabei und haben mitbekommen, wie jetzt was so funktioniert und wie nicht."
Ihr Mitschüler John ergänzt, dass auch er gerne wählen gehen würde:
Ich würde das schon sehr begrüßen, wenn man ab 16 schon wählen dürfte und mitentscheiden könnte, weil es ja auch um unsere Zukunft geht.
In der Schule üben die beiden bereits das Wählen mit einer Jugendwahl, die die Schulsozialarbeiterinnen vorbereiten. Sie stellen ihnen vorab die Wahlprogramme der einzelnen Parteien vor und vermitteln anschließend das Gefühl einer echten Wahl mit Wahlschein, Wahlkabine und Wahlurne.
An die Jugend denken
Der Landtagswahlkreis "41 Zeitz" zählt in Sachsen-Anhalt mit einem Durchschnittsalter von 50,60 Jahren zu den ältesten Wahlkreisen. Es wählen also mehrheitlich ältere Menschen, die die Zukunft der Jungen dadurch mitbestimmen. Was wollen die Jugendlichen ihnen vor der Landtagswahl sagen?
Chantal wünscht sich etwa, "dass sie vielleicht daran denken, dass wir Jugendliche in einer anderen Zeit groß werden und es nicht mehr so wie früher ist, sondern moderner und mit mehr Technik". Und sie sagt: "Ich finde, dass die Menschen, die für uns momentan wählen, diesen Fortschritt, den wir leben, gar nicht mitbekommen und einfach noch in ihrer 'älteren Zeit' leben, während die Jugend und die neue Generation eigentlich in die Moderne geht."
Die älteren Menschen, die sie in Zeitz spazieren gehen sehen, regen sich laut Chantal oft über die Jugend und ihre laute Musik auf. Dieses Problem kennen auch die Jugendlichen aus Quedlinburg, wie ein Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT im vergangenen Jahr gezeigt hat.
John fehlen seit der Corona-Pandemie vor allem große Feste und Orte des Zusammentreffens in Zeitz. Sobald die Corona-Zahlen es wieder zulassen, freue er sich auf Feste, die mehr Leben in die Stadt bringen und auch Menschen außerhalb von Zeitz anziehen könnten. Auch mehr Kulturangebote, beispielsweise durch die Nutzung der leer stehenden Häuser in Zeitz, würde er begrüßen.
Ein Wunsch: mehr Einrichtungen für Jugendliche
Was dem 16-jährigen Schüler außerdem fehlt, sind mehr Jugendeinrichtungen in der Stadt. Im Gespräch erinnert sich John, dass er früher gerne in den "Jugendtreff Kiko" in Zeitz-Ost gegangen ist. Das Haus, in dem das Angebot für Jugendliche untergebracht war, ist aber mittlerweile abgerissen. Die Einrichtung ist in das "Haus der Jugend" ans andere Stadtende gezogen. John konnte die Angebote am neuen Standort nicht mehr regelmäßig wahrnehmen.
Ein Besuch im "Haus der Jugend" zeigt, dass die Freizeitangebote vielfältig sind. Sie reichen von Jugend-Café über Hausaufgabenbetreuung bis hin zum Musikunterricht und -therapie. Laut Jugendbetreuer Stefan Pöschel seien genug Angebote da, doch für ältere Jugendliche, die auch mal Zeit ohne Betreuung verbringen möchten, seien sie wohl nicht attraktiv genug.
"Was fehlt, sind Toleranzplätze"
Wie sieht es in größeren Städten aus, wie etwa in Wittenberg? Auch dort haben wir mit einer Gruppe Jugendlicher gesprochen, die sich regelmäßig den Jugendclub "Techna" der Volkssolidarität trifft. Was den 10- bis 15-Jährigen in ihrer Stadt fehlt, sind demnach vor allem öffentliche Fußballplätze in Wittenberg.
Leiter des Jugendclubs ist Danny Hoffmann. Er ist direkter Ansprechpartner für die Kinder und Jugendlichen, die sich hier zum Beispiel auf einer Bühne ausprobieren können und zahlreiche Spielmöglichkeiten haben.
Hoffmann sieht noch einen anderen, wichtigen Aspekt mit Blick auf die Bedürfnisse der Wittenberger Jugend: "Ich denke, dass den Jugendlichen hier einfach wirklich Toleranzplätze fehlen, wo Jugendliche jugendlich sein können, wo sie auch Fehler machen dürfen, wo sich probieren dürfen und testen dürfen – und ein kulturelles Angebot oder Kinder- und Jugenddiscos im öffentlichen Bereich."
Sich politisch dafür einsetzen, dass solche Orte entstehen, können sich die Jugendlichen in ihrem Alter noch nicht, zumindest nicht über die Landtagswahl. Mit den Wahlen auseinandergesetzt haben sich die Jugendlichen offenbar auch nur rudimentär. In dem sehr jungen Alter nicht verwunderlich.
Hoffmann, der die Kinder gut kennt, erzählt, dass im Jugendclub schon mal Gespräche über Politik zustande kämen, aber: "Das, was in den sozialen Medien ist – die Meinungen werden eins zu eins kopiert. Mit effektiven Wahlprogrammen hat sich auch keiner wirklich beschäftigt. Das ist, glaube ich, auch zu komplex. Und die Politik geht da auch zu wenig auf die Jugendlichen zu."
Zum ersten Mal wählen
Zurück in Zeitz: Für die Auszubildende Carolin Reinhäckel steht am 6. Juni die erste Wahl ihres Lebens an. Wie fühlt sich das an?
Also ich finde, das ist eine gute Möglichkeit, zum ersten Mal wählen zu können und zum ersten Mal Einfluss auf das gesellschaftliche Leben zu nehmen. Ich fühle mich da auch ein bisschen in der Verantwortung für spätere Generationen und natürlich auch für die Gegenwart.
Reinhäckel ist in der Region geblieben, macht ihre Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten bei der Stadt Zeitz. Die Möglichkeiten für die Jugend vor Ort sieht sie jedoch eher eingeschränkt: "Also als junger Mensch hier zu leben, ist in Ordnung. Aber mir fehlt persönlich so ein bisschen die Jugend. Also so das Leben innerhalb von Zeitz. Es gibt nicht so viele Geschäfte, es fehlt schon einiges, was in anderen in anderen Städten besser ist. Aber ansonsten muss ich sagen, lebe ich sehr gerne hier. Es ist ländlich, es ist es ruhig und auch sehr rustikal irgendwie."
Muss Großstadtflair her?
Was hier jungen Menschen in Zeitz offenbar fehlt, wird im nahe gelegenen Leipzig geboten. Das liegt nur rund 40 Minuten Bahnfahrt entfernt und ist für die jungen Menschen schnell attraktiv. Auch die 16-jährige Chantal sehnt sich nach mehr Großstadtflair im Kleinen, nach mehr Jugendkultur: "Durch mehr Jugendclubs und Jobangebote kommen auch mehr Jugendliche zu uns. Wenn sie sagen: 'Ja, nach Feierabend treffen wir uns alle auf ein Bierchen in der Kneipe, Entspannung im Nachhinein.' Das ist ja hier nicht wirklich groß zu haben.
Wir bräuchten Tätowierer, Piercer, Bars, Diskotheken, in denen man abends feiern gehen kann. Das ist so ein bisschen das, was hier fehlt.
John und Chantal werden nicht auf Dauer in Zeitz bleiben. John etwa zieht für einen Job bald weg: "Ich finde keine Perspektive in Zeitz, es gibt hier keinen Job, der mir gefällt und den ich auch gerne für mein Leben machen würde." Es gebe zu wenig Jobs in Zeitz. Erst im Mai hat die Firma Puraglobe bekannt gegeben, am Standort Zeitz zu investieren und so rund 100 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Für John ist das jedoch schon zu spät.
Mehr Repräsentation nötig
Die Wünsche der Jugendlichen zumindest in der Zeitzer Region sind klar: mehr Plätze und Räume für sie, mehr Jugend-Angebote. Die Frage ist, ob die Jugendlichen sich mit diesen Wünschen auch repräsentiert fühlen?
Chantal etwa denkt, dass die Politik nicht wirklich mit ihrer Generation redet. "Es wird nicht mit uns gearbeitet. Es werden nur die älteren Menschen für uns gefragt – und nicht die Jugend. Als wären wir für die noch gar nicht existent."
John pflichtet ihr bei, dass der Hauptfokus auf der älteren Generation liege: "Das sieht man daran, dass die Stadt stirbt, mehr Junge gehen und Ältere bleiben. Es wird viel für die ältere Generation gemacht, dass sie überhaupt bleiben und ein gutes Leben haben. Aber da wird die jüngere Generation vernachlässigt."
Auch wenn es bei dieser Landtagswahl für die beiden Jugendlichen noch nicht möglich ist, haben sie zumindest bei der nächsten die Chance, ihre Stimme für ihre Wünsche zu nutzen.
Über die Autorin Ann-Kathrin Canjé arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT und MDR KULTUR, bis März 2021 volontierte sie beim MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNK. Vor dem Volontariat hat sie in der Onlineredaktion des Berliner Radiosenders FluxFM gearbeitet. In ihrer Arbeit liegen ihr besonders Themen wie Gleichberechtigung und Anti-Diskriminierung am Herzen, weil es für sie wichtig ist, Stimmen sichtbar zu machen, die im alltäglichen Geschehen oft unter gehen. Wenn Ann-Kathrin gerade nicht journalistisch unterwegs ist versucht sie ihre Zeit zum Reisen, Lesen und Schreiben zu nutzen.
Hintergründe und Aktuelles zur Landtagswahl – unser multimediales Update
In unserem Update zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt geben unsere Redakteure einen Überblick über die wichtigsten politischen Entwicklungen – und ordnen sie ein.
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MDR/annkathrincanje
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