Mehr Reichsbürger im Land Verfassungsschutzbericht: 2021 war Jahr des radikalen Protests

14. Juni 2022, 19:48 Uhr

Die Zahl der Extremisten in Sachsen-Anhalt ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Im Verfassungsschutzbericht 2021 zählt das Innenministerium erstmals über 3.000 Extremisten. Die größte Gruppe stellen weiterhin Rechtsextremisten, doch für den Zuwachs sorgen vor allem Reichsbürger. Diese tummeln sich auch auf den Corona-Protesten.

Erstmals zählen Sachsen-Anhalt Verfassungsschutzbehörden mehr als 3.000 Extremisten im Land. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 hervor, den Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) und Verfassungsschutzchef Jochen Hollmann am Dienstag vorgestellt haben.

Der Anstieg von 2.970 (2020) auf nunmehr 3.100 Personen geht vor allem auf die Reichsbürger-Szene zurück. Diese bestehe mittlerweile aus 600 Extremisten – so viele, wie auch Linksextremisten in Sachsen-Anhalt erfasst wurden. Die Zahl von Letzteren wuchs nur leicht, ähnlich wie die der Rechtsextremisten (1.250 Anhänger und Anhängerinnen). Die islamistischen Szene (400 Anhänger und Anhängerinnen) und den sogenannten Ausländerextremismus (250) sieht der Verfassungsschutz hingen unverändert.

Reichsbürger: Szene wuchs mit Corona-Protesten

Als Treiber der Radikalisierung hat die Behörde die Corona-Pandemie und ihre Folgen ausgemacht. Laut Innenministerin Zieschang versuchten Extremisten, den legitimen Protest gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen "für ihre Zwecke zu instrumentalisieren". Das sei ihnen jedoch nur in Einzelfällen gelungen.

In manchen Orten Sachsen-Anhalts hatten Reichsbürger in der Vergangenheit die Proteste selbst angemeldet oder diese aktiv unterstützt. Verfassungsschutzchef Hollmann ergänzte, gerade diese Gruppe hätte sich unter Protestgruppen gemischt oder an deren Spitze gestellt und "das offene Forum gesucht".

Vom Zulauf habe demnach auch Sachsen-Anhalts wohl bekannteste und größte Reichsbürger-Vereinigung, das "Königreich Deutschland" profitiert. Dieses expandiert derzeit auch im Nachbarland Sachsen.

Unter den Reichsbürgern sieht der Verfassungsschutz auch rund 50 Personen, die der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen sind. Ob es im Zuge der Corona-Protesten auch zu Personalwechseln zwischen den einzelnen Szenen gekommen sei, konnte Hollmann vorerst aber noch nicht beantworten. Analysen dazu liefen noch. Es handle sich um einen längerfristigen Prozess. Man müsse schauen: "Wer bleibt jetzt übrig?", so Hollmann.

Verschiebungen im Neonazi-Spektrum

Eindeutiger fallen die Tendenzen im Rechtsextremismus aus. Dort hat mittlerweile die Partei "Der III. Weg" die NPD als Aktivposten abgelöst. Letztere habe zwar noch die größte Mitgliederanzahl, befinde sich aber weiterhin im Niedergang, sagte Hollmann. Zudem bildeten sich verstärkt "kleine, oft im verborgenen agierende Gruppierungen". Zu denen zählt der Verfassungsschutz auch die "Harzrevolte", die auch maßgeblich die Corona-Proteste in Halberstadt prägte.

Verfassungsschutzchef fordert mehr Aufmerksamkeit für Linksextremismus

Eine Mahnung richtete Verfassungsschutzchef Hollmann beim Linksextremismus an Medien und Politik: Der nicht-gewaltbereite Teil der linksextremistische Szene stehe nicht genug im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei stabilisierten Organisationen wie die "Rote Hilfe" aus Sicht des Verfassungsschutzes auch die gewaltbereite Linksextremisten.

Auch in dieser Szene zeigte die Pandemie ihren Einfluss: Linksextremisten hätten neben (rechts)extremistischen Gegnern wiederholt auch nicht-extremistische "Impfgegner" angegriffen. Hollmann sprach von einer "schrittweisen Ausdehnung" von Feindbildern.

"Hybride Bedrohungen" durch russische Staatsmedien und Nachrichtendienste

Der Verfassungsschutz befasst sich auch mit Gefahren von außen, spricht von "hybriden Bedrohungen", die von autokratischen Staaten wie Russland oder China ausgängen. So hätten die deutschsprachigen Ableger russischer Staatsmedien versucht, die Landtagswahl 2021 als "manipuliert" darzustellen, und Desinformationen über Coronaschutzimpfungen verbreitet.

Ein bundesweiter Cyberangriff durch die Gruppe "Ghostwriter" habe zudem Sachsen-Anhalt betroffen. Die Phishing-Mails erreichten auch Abgeordnete aus dem Bundesland. Experten und Behörden vermuten hinter Ghostwriter wahlweise das belarussische Militär oder den russischen militärischen Nachrichtendienst GRU.

MDR (Thomas Vorreyer, Julia Heundorf), dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT Heute | 14. Juni 2022 | 19:00 Uhr

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