Kritik aus Wissenschaft Was Lobbyisten in Sachsen-Anhalt dürfen und was nicht

10. Dezember 2020, 20:06 Uhr

In Sachsen-Anhalt gibt es vergleichsweise strenge Regeln für Lobbyisten. Wissenschaftler fordern trotzdem weitergehende Gesetze, unter anderem einen Fußabdruck für Interessenvertreter.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Auch in der Landespolitik in Sachsen-Anhalt spielen Interessenvertreter und -vertreterinnen eine Rolle, erklärt Timo Lange. Der 38-Jährige arbeitet für die Nichtregierungsorganisation LobbyControl. In den Bundesländern gebe es vor allem in den Bereichen Lobbyismus, in denen die Länder allein zuständig sind für politische Entscheidungen – also zum Beispiel in den Bereichen Bildung oder Naturschutz. Deswegen gibt es auch in Sachsen-Anhalt Regeln, die den Lobbyakteuren Grenzen aufzeigen sollen.

Dabei geht es laut Timo Lange weniger darum, zu verhindern, dass schmierige Geldkoffer von Hand zu Hand wandern – "das ist ganz klar eine Straftat und kein Lobbyismus", sagt er. Schwieriger wird es bei den Dingen, die nicht so eindeutig sind. Zum Beispiel, wenn eine Abgeordnete oder ein Beamter einen Nebenjob hat, der ihm Interessenkonflikte beschert. Oder, wenn ehemalige Staatssekretärinnen oder Minister sich aus der Politik verabschieden und direkt für einen Lobbyverband arbeiten. Lange erklärt: "Für diesen Graubereich braucht es klare Regeln."

Es steht viel auf dem Spiel. Laut Lange geht es um nicht weniger als die Demokratie. Denn je weniger transparent Lobby-Akteure handeln, desto mehr leidet das Vertrauen in den Staat.

Wenn Lobby-Akteure die Politik intransparent oder einseitig beeinflussen, kann das dazu führen, dass einzelne Interessen mehr Gehör finden als andere, die nicht so laut sind. Dann kann es passieren, dass Menschen das Vertrauen in die Demokratie und den Staat selbst verlieren.

Timo Lange, LobbyControl

Der Bund diskutiert noch – Sachsen-Anhalt hat es schon

Mit seinen Regeln zur Lobbyregulierung ist Sachsen-Anhalt dem Bund in manchen Aspekten einen Schritt voraus. Daniel Rasch ist Politikwissenschaftler und hat analysiert, wie Lobbyismus in den verschiedenen Bundesländer reguliert ist. "Sachsen-Anhalt liegt dabei im oberen Mittelfeld", sagt Rasch. Das Lobbyregister, über dessen Ausgestaltung der Bund noch diskutiert, gilt in Sachsen-Anhalt längst. Interessenvertreterinnen und -vertreter in Sachsen-Anhalt müssen sich dort registrieren – zumindest, wenn sie in Gesetzgebungsverfahren im Landtag ihre Interessen vertreten wollen.

Was hat Daniel Rasch bei seiner Forschung noch herausgefunden?

  • Die neuen Bundesländer sind in Sachen Lobbyregulierung besser aufgestellt. Das liegt daran, dass die Lobbyismus-Regelungen hier deutlich später entstanden sind – und deswegen auch moderner sind.
  • Je länger die CDU in einem Bundesland an der Regierung beteiligt war, desto geringer ist Lobbyismus in dem jeweiligen Bundesland reguliert. Die CDU steht traditionell für einen Politikstil, der Verbände in den politischen Prozess mit einbindet.

In Sachsen-Anhalt gibt es außerdem Verhaltensregeln für Abgeordnete und Beamte. So steht beispielsweise in Paragraph 70 des Landesbeamtengesetzes, dass Beamte keine Geschenke oder Belohnungen annehmen dürfen. In Paragraph 65 steht, dass Beamte keiner Nebentätigkeit nachgehen dürfen, die ihre Unparteilichkeit beeinflusst. Für Landtagsabgeordnete gibt es ähnliche Regeln. Unter anderem sind sie verpflichtet, dem jeweiligen Landtagspräsidenten ihre Nebentätigkeiten offenzulegen und ab einer bestimmten Summe auch die Einkünfte daraus.

Karenzzeiten zum "Abkühlen"

Auch für den Wechsel aus einem Beamtenverhältnis zu einem neuen Arbeitsplatz – möglicherweise bei einem Lobbyverband – gibt es in Sachsen-Anhalt Regeln. Wenn sie aus ihrem Job ausscheiden, haben Beamtinnen und Beamte fünf Jahre lang die Pflicht, ihrem alten Arbeitgeber Bescheid zu geben, wenn Sie einen neuen Job beginnen. In diesem Zeitraum kann die Behörde der ehemaligen Mitarbeiterin oder dem ehemaligen Mitarbeiter untersagen, das neue Arbeitsverhältnis zu beginnen.

Diese sogenannte Karenzzeitregelung gilt in Sachsen-Anhalt für Staatssekretärinnen und Staatssekretäre sowie Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter – allerdings nicht für Menschen mit einem Ministerposten und auch nicht für Abgeordnete. 2014 und 2018 hatten Abgeordnete den Versuch gestartet, auch für Ministerinnen und Minister eine Karenzzeit von zwei Jahren einzuführen. Beide Male war der Versuch gescheitert. Auf Bundesebene gilt schon seit 2015 eine mindestens einjährige Karenzzeit für Ministerinnen und Minister sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretäre.

Das Lobbyregister hat Lücken

In Sachen Karenzzeitregelung hängt Sachsen-Anhalt also hinterher. "Auch, wenn fünf Jahre Karenzzeit für Beamte üppig ist im Vergleich mit dem, was auf Bundesebene gilt", sagt Daniel Rasch. Sachsen-Anhalts Lobbyregister sieht er genauso kritisch: "Insgesamt ist es zwar umfangreicher als in vielen anderen Ländern – aber sehr hilfreich sind die Informationen, die im Register stehen, nicht." Seiner Ansicht nach wäre es gut, wenn in dem Register nicht nur Interessenvertreterinnen und -vertreter vermerkt wären, sondern unter anderem auch, wann sie mit wem gesprochen haben.

Außerdem ein Problem: Das Lobbyregister in Sachsen-Anhalt bezieht sich nur auf den Landtag. Wer in den Ministerien Lobbyarbeit machen will, muss sich nicht registrieren. Dabei passiert dort ein großer Teil der politischen Arbeit. Viele Gesetzesentwürfe entstehen in den verschiedenen Ministerien. Für Lobby-Akteure sind sie also ein wichtiger Anlaufpunkt.

Rasch wünscht sich für Sachsen-Anhalt ein sogenanntes Transparenzgesetz, das es Bürgerinnen und Bürgern erleichtert, auf Informationen der Behörden zuzugreifen. Für ein solches Gesetz kämpft seit Jahren auch schon Harald von Bose, der Landesbeauftragte für Informationsfreiheit Sachsen-Anhalts – mit mäßigem Erfolg. Auch Timo Lange von LobbyControl ist für ein Transparenzgesetz.

Wie viel Regelung ist zu viel?

Er geht allerdings noch einen Schritt weiter: Lange ist ein Verfechter des sogenannten "legislativen Fußabdrucks". Würde dieser Teil der Gesetzgebung in Sachsen-Anhalt, müsste bei jedem Gesetz vermerkt werden, welche Lobby-Akteure an dem Gesetz mitgewirkt haben. Ein solcher legislativer Fußabdruck ist auch aktuell Diskussionsthema im Bundestag. Sollte er umgesetzt werden, wäre damit ein ganz neues Level an Transparenz in der Gesetzgebung erreicht.

Eine warnende Stimme zu dem Thema kommt allerdings von Politikwissenschaftler Benjamin Höhne. Lobbyismus zu regulieren, sei nur bis zu einem bestimmten Punkt sinnvoll, sagt er. "Wenn bei jedem Gespräch zwischen Interessenvertreter/innen und Politiker/innen automatisch die Öffentlichkeit mit dabei ist, kann das auch negative Folgen haben. Das würde zum Beispiel Kompromisse erschweren." Schließlich gehe es in solchen Gesprächen oft auch darum, auszuloten, was der andere denkt. Wenn dabei alles hundertprozentig transparent ist, befürchtet Höhne, dass sich Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter wieder in die Hinterzimmer zurückziehen.

Er betont, dass Lobbyismus auch eine wichtige Funktion habe. Er stehe für Pluralität.

Interessengruppen versorgen die Politik mit Informationen, die sie sonst nur schwer bekommen würden. Woher sollen zum Beispiel die Ministerien wissen, wie Gesetze am besten ausformuliert sein sollen, wenn sie gar nicht mit den betroffenen Gruppen reden können?

Benjamin Höhne, Politikwissenschaftler

Timo Lange von LobbyControl hofft trotzdem darauf, dass sich mit einer strengeren Regulierung von Lobbyismus auf Bundesebene auch die Situation in Sachsen-Anhalt ändert. "Es ist davon auszugehen, dass die Länder sich das auch genauer anschauen, wenn es auf Bundesebene dazu neue Gesetze gibt", sagt er. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis in Sachsen-Anhalt strengere Regeln für Lobbyismus gelten.

Alisa Sonntag
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Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen – mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für Veto-Mag, Krautreporter und den Freitag.

Quelle: MDR/aso

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