Rassismus-Beratungsstelle 60 Fälle von Rassismus, aber nur eine Entschuldigung
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17. März 2020, 11:54 Uhr
Die Rassismus-Beratungsstelle "Entknoten" hilft Betroffenen von Rassismus, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Viele Betroffene wollen von den Tätern nicht mehr als eine Entschuldigung. Doch meist bekommen sie nicht einmal die. Warum "Entknoten" trotzdem eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene ist.
Es ist nicht weit vom Magdeburger Hauptbahnhof bis in die Brandenburger Straße 9. Fast braucht man länger, um im Gebäude die richtige Tür zu finden. Die Nähe zum Bahnhof ist wichtig. Denn die Beratungsstelle "Entknoten" ist die einzige in Sachsen-Anhalt, die speziell Betroffene von Rassismus betreut. Eine ihrer beiden Filialen ist in der Brandenburger Straße in Magdeburg.
Wer die Filiale von "Entknoten" betritt, landet meist zuerst auf der blauen Ledergarnitur gleich neben der Tür. Eine Wasserkaraffe steht auf dem Tisch, die beiden Beraterinnen bieten Apfelsaft und Kaffee an. Wer hier sitzt, soll sich wohlfühlen. Denn was dann kommt, wird meist anstrengend.
Auf der blauen Couch haben schon viele Menschen gesessen und erzählt, wie sie rassistisch diskriminiert worden sind. Haben gefragt, was sie jetzt tun sollen. Ob und wie sie sich wehren können.
Rassismus ist überall
Die wenigsten sitzen nur zum Reden auf der Couch. Fast alle suchen konkrete Unterstützung, eine "Intervention", wie die Beraterinnen das nennen. "Meist kommen die Menschen in die Beratung, wenn es wirklich um ihre Existenz geht", sagt eine der Beraterinnen. "Wenn sie befürchten, ihren Job, ihren Ausbildungsplatz, ihre Wohnung zu verlieren." Rassismus gebe es in allen Lebensbereichen. In der Schule, bei Behörden, im öffentlichen Raum. Für Betroffene bedeutet das auch, dass es nur wenige Orte gibt, an denen sie sich sicher fühlen können.
Auch die beiden Beraterinnen von "Entknoten" fühlen sich nicht sicher genug, um ihre Namen in einem Artikel zu lesen oder ihr Foto veröffentlicht zu sehen. Eine von ihnen ist selbst immer wieder Opfer von Rassismus. Die Beratungsstelle ist Teil des Netzwerkes LAMSA, in dem Migrantenselbstorganisationen sich zusammentun.
Finanziert wird "Entknoten" vom Landes-Demokratiezentrum Sachsen-Anhalt, bis 2024 ist die Finanzierung gesichert. Seit 2016 gibt es die Beratungsstelle mit einer Filiale in Magdeburg und einer Filiale in Halle. Seitdem würden die beiden Frauen jedes Jahr etwa 60 bis 70 Menschen beraten. Die meisten davon sind über das weit verzweigte Netzwerk von LAMSA auf sie gestoßen.
Beim Erstgespräch: Vier Augen sehen mehr als zwei
Wer sich bei "Entknoten" mit seinen Sorgen meldet, wird zu einem Gespräch in eine der Filialen in Magdeburg oder Halle gebeten. Das Erstgespräch mit den Betroffenen führten die Beraterinnen immer zu zweit: "Einfach, weil vier Augen mehr sehen als zwei und wir so mehr mitbekommen und besser helfen können."
Wichtig sei dabei, die Diskriminierungserfahrung nicht anzuzweifeln, sondern den Betroffenen Glauben zu schenken. Alleine das helfe Ratsuchenden schon – denn außerhalb der Beratungsstelle müssten sie oft die Erfahrung machen, dass ihre Erlebnisse klein geredet werden.
Ein Beschwerdebrief
Wie es nach dem Beratungsgespräch weitergeht, hänge ganz davon ab, was die betroffene Person sich wünsche. Oft schreibe "Entknoten" einen Beschwerdebrief an die diskriminierende Stelle.
In dem Brief könnten die Ratsuchende noch einmal aus ihrer Perspektive deutlich machen, was passiert sei. Manchmal würden in dem Brief aber auch bestimmte Dinge eingefordert – beispielsweise, die Diskriminierung zukünftig zu unterlassen.
Keine Entschuldigung
Meist, erklären, die Beraterinnen, gehe es den Menschen nur um eine Entschuldigung. Sie wollten sichergehen, dass niemand anderes das durchmachen müsse, was ihnen geschehen ist.
Es geht gar nicht um eine Anklage. Meist machen sie sich sogar Sorgen, dass wegen ihrer Beschwerde jemand den Job verliert.
Das sei jedoch noch nie passiert. In den meisten Fällen geschehe erst einmal lange nichts. Man müsse dran bleiben, nachhaken, bis etwas passiere. Im letzten Jahr sei unter den etwa 60 Fällen trotzdem nur ein einziger gewesen, in dem die diskriminierende Stelle sich für die Diskriminierung ehrlich entschuldigt habe. "Meist kommt das eher so von unten, etwa: 'Es tut uns leid, dass Sie sich diskriminiert gefühlt haben.'"
Die Täter, so die Beraterinnen, schieben die Schuld meist auf die Opfer und wehren ab: "Es heißt dann meist: 'Das war nicht so gemeint' oder 'Warum ist die Person so empfindlich'." Das sei nach außen hin meist die einzige Reaktion auf die Briefe. Das heiße aber nicht, dass tatsächlich nichts geschehe: "Häufig wird eine offizielle Entschuldigung als Schuldeingeständnis gesehen, deswegen bleibt man nach außen hin lieber still. Innerhalb der Institutionen wird das aber durchaus besprochen."
Diskriminierung in der Nachbarschaft
Mit welchen Sorgen wenden Betroffene sich an "Entknoten"? Die Beraterinnen erzählen von einer jungen Familie mit einem Kind, mit der eine Nachbarin offenbar ein Problem hatte. Weil die Familie angeblich zu laut war, habe die Nachbarin regelmäßig die Polizei gerufen und sich sogar bei der Wohnungsgenossenschaft beschwert. Bei einem Vermittlungsgespräch mit den Frauen von "Entknoten" habe die Wohnungsgenossenschaft keine neutrale Position eingenommen, sondern von Anfang an die Nachbarin unterstützt.
Die Situation habe sich erst verbessert, als die anderen Nachbarn befragt wurden – und sich einig waren, dass die Familie kein bisschen lauter sei als andere Hausbewohner. "Sonst enden solche Fälle meist so, dass die Diskriminierten wegziehen", sagt eine der Beraterinnen.
"Wir geben keine Pakete an Ausländer"
Sie erzählt außerdem von einem Betroffenen, der an einer Paketstation sein Paket nicht abholen durfte. Der Mann habe alle nötigen Papiere dabei gehabt – nur sei sein Pass eben kein deutscher gewesen. Er habe sein Paket nicht bekommen. Die Begründung: "Wir geben keine Pakete an Ausländer."
Erst, als eine der Beraterinnen den Mann am nächsten Tag in den Paketshop begleitete, habe er sein Paket abholen dürfen: "Wir waren zu zweit, ich habe extra laut gesprochen, damit alle im Raum mitbekommen, was passiert ist. Wahrscheinlich haben die sich dann nicht mehr getraut, uns abzuweisen." Der Fall sei der einzige 2019 gewesen, in dem es eine ehrlich Entschuldigung gegeben habe. Allerdings nicht von den Mitarbeitern im Laden. Sondern von der Paket-Zentrale, an die "Entknoten" sich gewendet hatte.
Ein Teil der Lösung
Sich täglich mit Rassismus zu beschäftigen, zuzuhören, zu unterstützen, das ist anstrengend, erzählt eine der Beraterinnen. Sie ist schwarz und macht selbst immer wieder Erfahrungen mit Rassismus: "Ich glaube schon, dass die Arbeit für mich deswegen noch einmal belastender ist als für meine weiße Kollegin." Für sie sei es jedoch auch schön, zu wissen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht allein sei – genau wie für die Ratsuchenden: "Das nimmt ein Stück der Last und schafft Verbundenheit", sagt sie.
Gleichzeitig tue es gut, zu wissen, dass der eigene Job Teil der Lösung sei. Die andere Beraterin erzählt, sie sei schon vor ihrer Arbeit in der Beratungsstelle jahrelang für LAMSA aktiv gewesen und habe immer wieder sehen müssen, wie ihre Freunde und Kollegen rassistische Diskriminierung erfahren hätten.
Wir waren das, was im Beratungsangebot in Sachsen-Anhalt noch gefehlt hat.
Damals habe es für sie keine spezielle Anlaufstelle gegeben. Die Antidiskriminierungsstelle des Landes habe es noch nicht gegeben, Opferberatungsstellen waren und sind nur im Falle eines körperlichen Angriffs zuständig. "Jetzt mit den Jahren sieht man: Unser Angebot wird gut angenommen. Wir können für Betroffene konkret etwas verändern." Das sei ein gutes Gefühl.
Der Weg ist noch lang
Insgesamt, da sind die beiden Beraterinnen sich einig, müsse sich aber in Deutschland noch einiges ändern, wenn Rassismus effektiv bekämpft werden soll. "Die Behörden und Politiker müssen Rassismus als Problem anerkennen." Aktuelle rücke Rassismus nur deswegen in den Fokus der Aufmerksamkeit, weil Betroffene laut würden. Es brauche mehr Solidarität aus dem Rest der Gesellschaft.
"Jeder muss sich damit auseinandersetzen, wo er selbst rassistisch ist", sagt eine der Beraterinnen. Denn wir seien alle in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der nicht-weiße Menschen benachteiligt seien und und weiße Menschen profitierten.
Wenn man Menschen darauf hinweise, dass sie etwas Rassistisches gesagt oder getan hätten, reagierten sie oft abwehrend: "Bei denen kommt an: ‚Du bist furchtbar, böse, ein schlechter Mensch." Sie wünsche sich, dass Menschen und Behörden den Hinweis auf ihren eigenen Rassismus als Chance sehen würden. Als Möglichkeit, etwas zu lernen und sich mit der eigenen Prägung auseinanderzusetzen – und letztendlich Dinge besser zu machen.
Auch dabei will die Beratungsstelle "Entknoten" helfen. "Rassismus ist oft so festgefahren", sagt eine der Beraterinnen. Sie sitzt auf der blauen Ledercouch, auf der sonst die Rassismus-Betroffenen ihre Geschichten erzähen. "Wir wollen helfen, das aufzulösen. Zu entknoten eben."
Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen – mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft und International Area Studies in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für Veto-Mag.
Quelle: MDR/Alisa Sonntag
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