Neues Schuljahr in Corona-Pandemie "Wir müssen die Klassenzimmer sicher bekommen!"

15. Juli 2021, 19:55 Uhr

Die Inzidenzen bewegen sich aktuell auf einem niedrigen Niveau. Doch die Delta-Variante breitet sich aus. Besonders gefährdet: die nicht geimpften Schülerinnen und Schüler. Zwar nahen die Sommerferien. Doch Eltern, Lehrer und Experten fordern, die Schulen bereits jetzt besser für das neue Schuljahr vorzubereiten.

Stefan Kalweit-Schaulies fragt beharrlich. Seit Ende Mai stellt der 43 Jahre alte Magdeburger jeden Tag auf Twitter dieselbe Frage an Bildungsminister Marco Tullner: "Wie viele Luftfilteranlagen werden in Sachsen-Anhalts Schulen vor der Bundestagswahl noch installiert, um einen einigermaßen sicheren Schulalltag zu realisieren? Wird da noch gearbeitet oder schon resigniert?"

Bislang wird Kalweit-Schaulies ignoriert. Doch das Thema liegt ihm am Herzen. Der alleinerziehende Vater zweier Kinder im Grundschulalter sagt: "Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei. Die Lockerungen kommen meiner Meinung nach zu früh."

Denn auch oder gerade weil in der kommenden Woche die Sommerferien in Sachsen-Anhalt beginnen: Eltern, Lehrer und Experten fordern, die Schulen bereits jetzt besser für das neue Schuljahr vorzubereiten.

Stefan Kalweit-Schaulies, alleinerziehender Vater aus Magdeburg 1 min
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"Das ist ein Armutszeugnis"

Natürlich sei es wichtig, im neuen Schuljahr in den kompletten Präsenzunterricht zurückzukehren und ihn aufrechtzuerhalten. Doch: "Das Ganze muss dann auch sicher sein. Es muss alles getan werden, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus in den Schulgebäuden so klein wie möglich zu halten."

Sein Eindruck sei allerdings, "dass da in Sachsen-Anhalt nicht genug getan wird. Wir wollen die Schulen offen lassen, aber keiner weiß, zu welchem Preis. Keiner weiß, wie die Langzeitfolgen bei Kindern sind. Das ist einfach nur ein großes Experiment mit den Kindern, mit denjenigen, die gerade am wenigsten geschützt sind."

Stefan Kalweit-Schaulies sagt: "Die Menschheit ist im Begriff, auf den Mars zu fliegen, aber wir bekommen es nicht hin, die Klassenzimmer sicher zu machen. Das ist ein Armutszeugnis. Wir müssen die Klassenzimmer sicher bekommen!"

Kommen die Luftfilter?

Mit seiner Kritik bezieht sich Kalweit-Schaulies, der als technischer Sachbearbeiter arbeitet, nicht einmal auf die Schule seiner Kinder. Die besuchen nämlich eine Schule in freier Trägerschaft. Dort werde zwar auch nur gelüftet, aber immerhin sei die Digitalisierung weit fortgeschritten.

"Wie ich aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis allerdings weiß, ist das nochmal ein großer Unterschied zu normalen Schulen", sagt er. Heißt: Dort sei die Situation weit komplizierter. Der Vater meint: "Die Digitalisierung wurde immer noch nicht flächendeckend eingeführt. Da fehlt mir auch beim Bildungsministerium der Nachdruck, es nicht nur im Wahlkampf zu versprechen und dafür einzusetzen, sondern es auch in den Schulen umzusetzen."

Außerdem "reicht Lüften allein meiner Meinung nach nicht aus", so Kalweit-Schaulies. "Wenn es schon technische Möglichkeiten in Form von Luftfilteranlagen gibt, warum nutzen wir sie dann nicht auch? Zumal sie ja vom Bund gefördert werden."

Stefan Kalweit-Schaulies sagt: "Corona hat alle Unzulänglichkeiten und Defizite des Bildungssystems beleuchtet und hervorgehoben, all das, was noch nicht funktioniert und besser werden muss." Im besten Fall schon im neuen Schuljahr. Der Familienvater hofft bis dahin auf Antworten der Verantwortlichen – und von Marco Tullner auf Twitter.

Zittrige Hände im kalten Klassenzimmer

Für Lehrer und Lehrerinnen ist das Thema ein schwieriges. Offen reden will kaum jemand von ihnen über die Corona-Bedingungen an den Schulen. Vermutlich aus Angst vor Konsequenzen.

Eine Lehrerin aus Halle schreibt eine anonyme E-Mail an MDR-SACHSEN-ANHALT. Sie nennt sich Sabine und berichtet von großen Versäumnissen an ihrer Schule: Weder die Schulleitung noch die meisten Kollegen und Kolleginnen hätten die Corona-Maßnahmen in den vergangenen Wochen ernstgenommen – ob im Lehrerzimmer oder bei Besprechungen.

"Die Maskenpflicht an Grundschulen bestand ja nur auf den Gängen des Schulgebäudes und im Pausenbereich, also auf dem Schulhof", schreibt sie. "Im Klassenraum schien Corona somit als kein essentielles Problem angesehen worden zu sein." Sie habe sich auch dort eine Maskenpflicht gewünscht.

An keiner Stelle gab es eine Einschränkung in den unterschiedlichen Fachlehrplänen, die geholfen hätte, Stoff zu bündeln beziehungsweise in diesen Zeiten wegzulassen.

Grundschullehrerin aus Halle

Genau wie die Ausstattung jedes Klassenraums mit einem CO2-Messgerät. Denn: "Es ist sinnlos, alle 20 Minuten, zum Teil auch bei sehr kalten Außentemperaturen, die Fenster zu öffnen, ohne den CO2-Gehalt zu kennen. Oft saßen Kinder meiner Klasse tatsächlich eingewickelt in Winterjacke, Schal und Mütze am Platz. Manchmal zitterten die kleinen Hände, wenn wir etwas mit Füller ins Heft geschrieben haben. Schön anzusehen war das definitiv nicht und manchmal hart an der Schmerzgrenze."

Zum Abschluss schreibt Sabine: "An keiner Stelle gab es eine Einschränkung in den unterschiedlichen Fachlehrplänen, die geholfen hätte, Stoff zu bündeln beziehungsweise in diesen Zeiten wegzulassen. Welchen Druck dies nicht nur auf Lehrer, sondern vor allem auf die Kinder und ihre Eltern ausübt, liegt offen auf der Hand." Nicht alles Erlernte aus dem vergangenen Schuljahr solle im neuen Schuljahr deshalb "als im Geiste verankert" angesehen werden.

"Das muss sich ändern – so schnell wie möglich"

Solche Schilderungen von Lehrer und Lehrerinnen hört Ines Bieler immer wieder. Mehr als 20 Jahre lang hat sie selbst als Lehrerin gearbeitet. Sie hat Deutsch, Geschichte und Englisch unterrichtet. Mittlerweile gibt sie an der Martin-Luther-Universität Halle Tipps für digitales Lernen weiter, die sie von Workshops mitbringt.

Immer wieder tauscht sich die 54-Jährige, die in Könnern lebt, mit Lehrern und Lehrerinnen aus Sachsen-Anhalt aus. Sie weiß, wo es in der Praxis hakt: "Die technische Ausstattung der Schulen ist noch lange nicht da, wo sie sein müsste. Da schlagen jetzt die Versäumnisse der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zu Buche." Bieler sagt: "Das muss sich ändern – so schnell wie möglich. Denn die mangelnde Ausstattung ist ein Hinderungsgrund, den Unterricht noch digitaler zu gestalten."

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Do 15.07.2021 14:00Uhr 03:42 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/landespolitik/video-536064.html

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Doch: Nur die Technik zur Verfügung zu stellen, damit sei es nicht getan. "Da gibt es unter den Lehrenden einen großen Bedarf an Fortbildungen", sagt Bieler. Und sie ist sich sicher: "Der Unterricht wird sich auf lange Sicht in seiner Struktur und in seinem Ablauf ändern." Denn: "Wir haben jetzt gesehen, dass Lernen nicht an den Raum gebunden ist."

Deshalb ist für Ines Bieler auch klar: "Wir reden alle schon von einer vierten Welle. Wir wissen, dass es dann zumindest punktuell wieder zu Einschränkungen kommen wird und das wieder eine Herausforderung für die Schulen sein wird. Es wird wieder eine Lernphase für die Schulen, weil wieder ein neues Modell entwickelt werden muss, in dem die Präsenz einen viel höheren Stellenwert haben wird als zuletzt." Und das will gut vorbereitet sein.

Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

MDR/Daniel George

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – das Radio wie wir | 14. Juli 2021 | 17:00 Uhr

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