Keine Besserung in Sicht Kitapersonal am Limit: Jetzt protestieren Kinder im Landtag
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06. Dezember 2024, 18:49 Uhr
Sachsen-Anhalt hat nach wie vor zu wenige Erzieherinnen und Erzieher in seinen Kindertageseinrichtungen. Immer wieder verlangen Verbände und Angestellte, den sogenannten Personalschlüssel zu verbessern. Doch aus der Landespolitik gibt es keine Signale, den Status quo zu verändern. Auch bei der Sitzung des Sozialausschusses am Mittwoch gab es dazu keine echte Diskussion.
- Am Mittwoch haben zwei Kitagruppen im Sozialausschuss des Landtages für bessere Arbeitsbedingungen ihrer Erzieher demonstriert.
- In Ilsenburg im Harz klagt das Kitapersonal über die hohe Belastung – trotzdem wird dort Personal entlassen.
- Die Forderung, um die Situation zu verbessern: Personal halten, auch wenn weniger Kinder in die Kitas kommen.
Es ist kalt an diesem Mittwochmorgen in Magdeburg, als eine Gruppe Kindergartenkinder am Landtagsgebäude ankommt. Sie haben kleine Plakate gemalt. Darauf stehen Sätze wie: "Ich wünsche mir ungestresste Erzieher." Begleitet werden die Kleinen von ihren Erzieherinnen. Die Protestaktion soll auf die angespannte Personalsituation in den Kitas im Land aufmerksam machen. "Die Kinder brauchen die Politiker, die für sie entscheiden", sagt Jana Kühne. Sie ist Leiterin der Kita "Die Wurzel" in Magdeburg.
Gemeinsam mit einer weiteren Kitagruppe gehen sie schließlich in den Landtag. Ihr Ziel: der Sozialausschuss. Dort sprechen die Abgeordneten an diesem Vormittag noch einmal über geplante Änderungen im KiFöG, dem Kinderförderungsgesetz. Vorher wollen die Kinder, ihre Erzieherinnen und einige Vertreter von Kitaträgern und Verbänden noch einmal auf die Politiker einwirken.
Große Veränderungen in den Kitas wird es nicht geben
Die Kinder übergeben ihre Plakate und Zettel an die Abgeordneten im Sozialausschuss. Inwieweit die Forderungen und Wünsche von den Kindern formuliert wurden, lässt sich nicht sagen. Die Politikerinnen und Politiker zeigen sich aber interessiert, nehmen alles entgegen und wechseln einige Worte mit den Kindern. Dann müssen die Kleinen den Raum der Ausschusssitzung wieder verlassen. Der Landtag hat jedoch Kameras aufgebaut, die einen Livestream auf eine Leinwand im Foyer übertragen.
Doch große Veränderungen im KiFöG wird es nicht geben, das wird schnell deutlich. Die Gesetzesänderung dient vor allem der Fortführung von Projekten. So werden zum Beispiel die Stellen der Sprachfachkräfte zum größten Teil bis 2026 weiterfinanziert. Final über die Änderungen entscheiden muss der gesamte Landtag. Doch eine Verbesserung des Personalschlüssels in Kitas, wie von Teilen der Opposition, den Verbänden und Kitamitarbeitern gefordert, wird es nicht geben.
Auch eine echte Diskussion über den Personalschlüssel gibt es in der Ausschusssitzung an diesem Tag nicht. Dabei stand dazu eigentlich einiges auf der Tagesordnung. Doch die Beratungen über eine Petition sowie drei Anträge von Linken und Grünen strich der Ausschuss gleich zu Beginn der Sitzung.
Kita in Ilsenburg: Erzieherin kann nicht mal zur Toilette gehen
Warum der Personalschlüssel ein so entscheidendes Thema ist, wird deutlich, wenn man eine Kita besucht. Im "Kinderland am Eichholz" in Ilsenburg im Harz stimmen sich die Kinder gerade auf Weihnachten ein. Zusammen mit zwei Erzieherinnen sitzt eine Gruppe um einen Weihnachtsbaum. Es werden Weihnachtslieder gesungen. Eine Erzieherin spielt dazu Gitarre.
Doch so entspannt wie in diesem Moment ist es hier nicht immer. "Teilweise steht eine Kollegin allein mit 25 Kindern", berichtet Kitaleiterin Cindy Schulze. Das bedeutet dann auch: Mal eben den Raum verlassen, weil man vielleicht auf Toilette muss, geht nicht. Die Situation belastet die Erzieher in der Kita – und macht sich auch für die Eltern bemerkbar. Etwa zehnmal musste die Kita in diesem Jahr bereits ihre Öffnungszeiten verkürzen.
Das, was wir hier aufbauen, ist die Zukunft der Gesellschaft. Das ist das A und O, was sich jeder vor Augen führen sollte.
Dabei versuche man, die Betreuung immer aufrechtzuerhalten, teilweise mit Personal aus dem angrenzenden Hort, so Schulze. Das ist möglich, weil der Hort zum selben Träger wie die Kita gehört. Doch es ist nur eine Notlösung. "Ich wünsche mir einfach, dass wir eine gute Besetzung bekommen. Dass wir wirklich den individuellen Bedürfnissen der Kinder wieder nachgehen können", sagt die Kitaleiterin. Sie fügt an: "Das, was wir hier aufbauen, ist die Zukunft der Gesellschaft. Das ist das A und O, was sich jeder vor Augen führen sollte."
Ländermonitor der Bertelsmann-Stiftung
Wie die Personalsituation in den Kitas verglichen mit anderen Bundesländern ist, zeigt der Ländermonitor Frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung. Demnach werden in Sachsen-Anhalt 91 Prozent der Kinder in Gruppen mit einem nicht kindgerechten Personalschlüssel betreut. Nur in Mecklenburg-Vorpommern (94,6 Prozent) und in Sachsen (93,3 Prozent) werden den Angaben zufolge noch mehr Kinder nicht den Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung entsprechend betreut. Der Bundesdurchschnitt liegt hier bei 65,6 Prozent.
Positiv hebt die Bertelsmann-Stiftung in ihren am Mittwoch veröffentlichten Zahlen und Mitteilungen jedoch hervor, dass der Anteil an Kitamitarbeitern, die mindestens über eine Qualifikation als Erzieher verfügen, in Sachsen-Anhalt verglichen mit dem Bundesdurchschnitt sehr hoch ist.
Erzieher müssen entlassen werden
Doch statt mehr, sind sie in der Kita in Ilsenburg erst mal weniger Erzieher geworden. Waren es zu Jahresbeginn noch 31 Erzieher, sind es aktuell nur noch 24. Dem Kitaträger, der PIN GmbH, blieb nach eigenen Angaben keine andere Wahl, als das Personal zu reduzieren. Geschäftsführerin Manuela Tönnies erklärt: "Im Personalkostenbereich ist ein Mindestpersonalschlüssel vom Gesetzgeber vorgegeben und der ist im Jahresmittel einzuhalten. Und da können wir natürlich nicht, weil wir keine Refinanzierungsquelle haben, mehr Personal vorhalten, als es der Mindestpersonalschlüssel rechnerisch hergibt."
Kurzum: Es gibt also nur so viel Geld, um ein Minimum an Personal für die Anzahl der Kinder bezahlen zu können. Und da im "Kinderland am Eichholz" in Ilsenburg dieses Jahr weniger Kinder betreut werden als noch im Vorjahr, musste man sich von Erziehern trennen.
Situation in der Kita in Ilsenburg könnte sich 2025 verschärfen
"Wir werden 2025 wohl nicht umhin kommen, ungefähr sechs Mitarbeiter nach einem Sozialplan entlassen zu müssen", befürchtet Tönnies angesichts der weniger Neuanmeldungen für das kommende Jahr. Das wäre fast ein Viertel des Personals. So wird man sich wohl von den jüngeren Erzieherinnen und Erziehern trennen müssen. Im Zweifelsfall gehen die dann anschließend in andere Bundesländer.
Forderung: Geburtenrückgänge nutzen
Der Paritätische, zu dem auch die von Tönnies geleitete PIN GmbH gehört, verlangt deswegen von der Politik, neue Rahmenbedingungen zu schaffen, um Personal nicht entlassen zu müssen. Die Argumentation: Kommen aufgrund geburtenschwächerer Jahrgänge weniger Kinder in die Kitas, würde sich die Betreuungssituation mit dem aktuellen Personal automatisch verbessern. Aber eben nur, wenn niemand entlassen wird.
Deswegen appelliert der beim Paritätischen zuständige Referent für Frühkindliche Bildung und Jugendhilfe, Martin Hoffmann: "Es gibt gerade die Möglichkeit, die Qualität in den Kindertageseinrichtungen wirklich zu verbessern – für die Kinder, aber auch für die Erzieherinnen." Der in Sachsen-Anhalt derzeit geltende Personalschlüssel in Kitas sei vergleichsweise niedrig und führe dazu, dass das Personal am Limit arbeite und oft überlastet sei. Ähnlich sieht das auch die Bildungsgewerkschaft GEW.
Dass sich Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) diesen Schuh nur bedingt anziehen will, zeigt eine Äußerung der Ministerin aus dem Oktober: Grimm-Benne hatte da klargemacht, dass es den Kommunen freistehe, mit eigenem Geld mehr Kitapersonal einzustellen als im vom Land finanzierten Mindestpersonalschlüssel vorgesehen.
Hoffmann bestätigt das, argumentiert aber: "Wir kennen aus der Praxis die Realität: Die Träger bekommen meistens auch nur diesen Minimumschlüssel als Maximalschlüssel finanziert." Kreise und Kommunen sähen sich dagegen nicht im Stande, mehr Personal zu finanzieren. Deswegen sieht er die Landesregierung in der Pflicht, den aktuellen Personalbestand abzusichern.
Danach sieht es aktuell allerdings nicht aus.
MDR (Engin Haupt) | Erstmals veröffentlicht am 05.12.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 04. Dezember 2024 | 19:00 Uhr
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