Millionen-Ausgaben, nur wofür? Das Geheimnis um die Kunst-Ankäufe des Landes Sachsen-Anhalt
Hauptinhalt
von Lars Frohmüller und Daniel George, MDR SACHSEN-ANHALT
21. November 2023, 17:14 Uhr
Etwas mehr als zwei Millionen Euro hat das Land Sachsen-Anhalt in den vergangenen zehn Jahren für Kunst-Ankäufe ausgegeben. Für welche Werke von welchen Künstlerinnen und Künstlern, das erfährt die Öffentlichkeit im Detail allerdings nicht – und das, obwohl die Ankäufe aus Steuergeldern finanziert werden. Nun kommt Kritik am Vorgehen des Landes auf.
- Welche Kunstwerke von welchen Künstlerinnen und Künstlern hat das Land Sachsen-Anhalt angekauft? Diese Frage bleibt bislang unbeantwortet.
- Nun wird allerdings Kritik am Vorgehen des Landes laut. Die Gründe für die Geheimhaltung seien nur "vorgeschoben", heißt es sogar.
- Andere Bundesländer gehen transparenter mit ihren Kunstsammlungen um – und damit auch der Verwendung von Steuergeldern.
Der weinrote Heizofen klappert ein wenig. Auch das Streichen des Pinsels über das Textil ist zu hören. Ansonsten aber herrscht Stille, als Linda Grüneberg in ihrem Hinterhof-Atelier nahe der Burg Giebichenstein in Halle an diesem Nachmittag an einem neuen Werk arbeitet.
Grüneberg ist Künstlerin. Sie schafft Werke, die möglichst viele Menschen sehen sollen. 2021 kaufte das Land Sachsen-Anhalt eines ihrer Kunstwerke. Ausgestellt wurde es anschließend im "Kloster Unser Lieben Frauen" in Magdeburg. "Das ist eine Ehre und Auszeichnung der eigenen künstlerischen Arbeit gewesen", sagt Grüneberg. "Ich würde mir das auch für andere Ankäufe wünschen, dass sie so präsentiert werden wie ich damals."
Was auch geschieht: Mehr als 8.000 Kunstwerke umfasst der Bestand der Landeskunstsammlung Sachsen-Anhalts nach Angaben des Landes. Etwa 70 Prozent davon sind laut der Dokumentationsstelle Kunst verliehen und zu großen Teilen öffentlich einsehbar – zum Beispiel in Landesbehörden, öffentlichen Institutionen oder Museen. Der Rest lagert in Depots.
240.750 Euro gab das Land Sachsen-Anhalt allein im vergangenen Jahr für Kunst-Ankäufe aus. In den vergangenen zehn Jahren waren es insgesamt etwas mehr als zwei Millionen Euro, Steuergelder.
Welche Werke von welchen Künstlerinnen und Künstlern konkret angekauft wurden? Andere Bundesländer und auch der Bund geben darauf öffentlich Antworten. Doch in Sachsen-Anhalt machen die Staatskanzlei und das Ministerium für Kultur daraus ein Geheimnis. Nur: warum?
Liste der Kunst-Ankäufe als "Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch" eingestuft
Bereits Ende vergangenen Jahres hatte sich der Landtagsabgeordnete Holger Hövelmann (SPD) per Kleiner Anfrage nach den Kunst-Ankäufen des Landes Sachsen-Anhalts erkundigt. Schließlich ist ein stärkeres Engagement des Landes in puncto Präsentations- und Vermittlungs-Möglichkeiten für bildende und angewandte Kunst sogar im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Frage Hövelmann: "Welche Kunstwerke wurden in den Jahren 2020, 2021 und 2022 aus Mitteln des Landes erworben? Bitte nach Werk, Kunstform, Künstlerin/Künstler und Kaufpreis aufschlüsseln." Antwort Landesregierung: "Die Übersicht ist der Anlage zu Frage 2 zu entnehmen. Die Anlage ist als 'Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch' eingestuft."
Bedeutet: Hövelmann durfte die Liste nur in der Geheimschutzstelle des Landtages einsehen. Über die Details reden, darf er nicht. Für die Öffentlichkeit blieb eine Gesamtübersicht der angekauften Werke mit Namen der Künstlerinnen und Künstler verborgen.
Wofür werden Steuergelder ausgegeben?
Nun, mehr als ein Jahr später, sagt Hövelmann im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT, ihm seien auf der Liste keine Besonderheiten aufgefallen. Trotzdem erklärt der Landtagsabgeordnete: "Wir geben öffentliche Gelder dafür aus, dass Künstlerinnen und Künstler aus Sachsen-Anhalt ihre Werke an das Land veräußern können. Wir unterstützen damit die Künstlerinnen und Künstler. Wir machen die Kunstwerke zugänglich. Wir sichern auch die Kunstschätze Sachsen-Anhalts. Das ist eigentlich etwas Tolles, etwas richtig Gutes."
Doch dann kommt das Aber: "Deshalb verstehe ich nicht, warum die Landesregierung der Meinung ist, die Namen der Künstlerinnen und Künstler, die Namen der Kunstwerke und die materiellen Werte, die hinter den Ankäufen stehen, dürften nicht öffentlich genannt werden." Hövelmann sagt: "Ich würde das sofort öffentlich machen. Da würden sich die Künstlerinnen und Künstler doch freuen. Und ich glaube, die Öffentlichkeit hat auch einen Anspruch darauf, zu erfahren, wofür die Steuergelder ausgegeben werden."
Kunstbeirat spricht Empfehlung für Ankäufe aus
Das Land Sachsen-Anhalt erwirbt seit 1991 kontinuierlich Kunstwerke. Ankäufe unterliegen inhaltlichen sowie künstlerischen Kriterien. So erklärt es das Land auf seiner Website. Empfehlungen für Neuerwerbungen würden demnach durch einen unabhängigen Kunstbeirat erfolgen. Dabei würde ein Schwerpunkt auf zeitgenössische Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus Sachsen-Anhalt liegen.
Mit dieser Ankaufs-Politik habe das Land unter anderem durch die Förderung von regionalen Künstlerinnen und Künstlern, die Ergänzung bestehender musealer Sammlungen sowie die Stärkung von künstlerischen Potentialen und Entwicklungen gleichermaßen, den Aufbau einer repräsentativen Landes-Sammlung zum Ziel.
Auch eine Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT nach einer Auflistung der angekauften Kunstwerke wird allerdings abgelehnt: "Eine Einzel-Aufstellung über die Ankäufe mit Namen der Künstler, der Werke und der Kaufpreise ist aus Gründen des Datenschutzes nicht möglich", heißt es aus der Staatskanzlei.
Hövelmann sagt: "Die Begründung ist ja, es sind schutzwürdige Interessen der Künstlerinnen und Künstler. Das halte ich für einen vorgeschobenen Grund. Was sollen das für Gründe sein? Jeder Künstler freut sich, wenn das Land Sachsen-Anhalt ihm ein Kunstwerk abkauft und er oder sie noch die Chance hat, dass die Kunst öffentlich zugänglich gemacht wird, dass sie gezeigt wird, dass Menschen sie sich anschauen können." Und weiter: "Ich glaube auch, es gibt keine rechtlichen Hinderungsgründe, also auch keinen Datenschutz oder sonst irgendwelche Dinge, die das verbieten. Ich glaube, da geht es darum: Will man es oder will man es nicht?"
Landesdatenschutzbeauftragter widerspricht Begründung der Staatskanzlei
Tatsächlich hält die Ablehnung der Anfrage aus Gründen des Datenschutzes auch einer Überprüfung beim Landesdatenschutzbeauftragten Albert Cohaus nicht stand – genau so wenig wie die Einschätzung als "Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch".
Denn: "Die Definition hierfür ist, dass es ausgeschlossen ist, die Dokumente zu veröffentlichen, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann", erklärt Cohaus. Und: "Auf den ersten Blick erscheint es nicht nachvollziehbar, welche Nachteile Sachsen-Anhalt oder der Bundesrepublik entstehen, wenn Gelder ausgegeben werden für Kunstwerke und dann der Bürger erfährt, was für Kunstwerke angekauft worden sind und auch zu welchem Preis."
Cohaus sagt: "Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist, und davon gehe ich aus, ist es nicht nachvollziehbar, warum man die Werke und ihre Künstler nicht bekannt gibt. Jeder Künstler ist froh, wenn er Anerkennung findet in der Öffentlichkeit, denn Kunst will gezeigt werden und da ist es doch von Vorteil, wenn man sagen kann: 'Ich bin ein renommierter Künstler. Selbst das Land kauft meine Kunstwerke an.' Im Gegenteil: Es ist für die Künstler sogar schädlich, wenn geheim gehalten wird, welcher Künstler mit welchem Werk angekauft wird."
Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen ist, und davon gehe ich aus, ist es nicht nachvollziehbar, warum man die Werke und ihre Künstler nicht bekannt gibt.
Die Suche nach den Gründen
Auch der Landesdatenschutzbeauftragte sieht Widersprüche im Umgang des Landes mit seiner Kunstsammlung. Schließlich werde bei Ausstellungen auch veröffentlicht, wer das Werk geschaffen hat und wie es heißt. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit dem angekauften Werk der Künstlerin Linda Grüneberg aus Halle. Und: "Wenn es bei jedem Einzel-Kunstwerk in der Ausstellung möglich ist, diese Informationen zu geben, dann ist es auch möglich, diese Informationen sowohl im Einzelfall als auch im Listen-Fall weiterzureichen", sagt Cohaus.
Und weiter: "Deswegen werden wir die Staatskanzlei fragen, was sich hinter dieser Einsortierung als 'Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch' verbirgt. Welche Gründe gibt es dafür und gibt es sie immer noch? Und da die Landesregierung angekündigt hat, auf Dauer doch eine entsprechende Liste zu veröffentlichen in der Zukunft, stellt sich die Frage: Ist das überhaupt vertraulich, wenn es jetzt schon geplant ist, sie zu veröffentlichen? Dann kann ich diese Informationen auch jetzt schon herausgeben."
Mehr Transparenz in Sachsen und Thüringen
Kein Problem mit dem Datenschutz oder anderen Hinderungsgründen hat offenbar das Land Thüringen, was seine Kunst-Ankäufe angeht:
"Im Zusammenhang mit der jeweiligen Präsentation wird die Öffentlichkeit über die Landes-Kunstsammlung informiert", erklärt eine Sprecherin der Thüringer Staatskanzlei auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT und verweist konkret auf diverse Ausstellungs-Projekte.
Auf einer Website im Internet finden sich außerdem Namen angekaufter Werke einer Ankauf-Initiative während der Coronapandemie. Auch die jeweiligen Künstlerinnen und Künstler werden mit Bild und Kurzbiografie vorgestellt. Einzig die Preise der erworbenen Kunstwerke würden dem Vertrauensschutz unterliegen, erklärt die Thüringer Staatskanzlei – und stellt auf Nachfrage eine Liste aller angekauften Werke der vergangenen vier Jahre zur Verfügung.
Ziel der Ankäufe ist es, Künstlerinnen und Künstler an wichtigen Punkten ihrer Karriere zu unterstützen.
Auch Sachsen geht transparent mit seinen Kunst-Ankäufen um. Seit 2011 werden die Neu-Ankäufe jedes Jahres in der Ausstellungs-Reihe "WIN/WIN" vorgestellt. Im Internet ist eine öffentlich einsehbare Auflistung der angekauften Werke aus den vergangenen drei Jahren zu finden, mitsamt Daten und Bildern.
Bereits im Vorfeld informiert die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen außerdem in einer Pressemitteilung über die Künstlerinnen und Künstler, von denen jene Werke stammen. Denn: "Ziel der Ankäufe ist es, Künstlerinnen und Künstler an wichtigen Punkten ihrer Karriere zu unterstützen", erklärt eine Sprecherin des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus.
Land gewährt Einblick ins Kunst-Depot
Tatsächlich öffnet die Staatskanzlei auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT auch die Türen des Kunst-Depots im Landesverwaltungsamt. Dort lagert ein Teil der Landes-Kunstsammlung in dafür freigeräumten Büros und Kellerräumen. Aus den Werken dort wird kein Geheimnis gemacht. Name des Werkes und der Künstlerin oder des Künstlers stehen auf kleinen Schildern geschrieben, genau wie das Jahr des Ankaufs. Alles ohne Probleme zu erkennen – zumindest für die MDR-Kameras, nicht für Privatpersonen.
Anja Langer, in der Dokumentationsstelle Kunst für die Werke verantwortlich, erklärt: "Die Dokumentationsstelle Kunst ist verantwortlich für alle Kunstwerke der angewandten und bildenden Kunst, die sich im Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt befinden. Vorerst gibt es eine Erfassung jedes einzelnen Kunstwerkes in analoger und digitaler Form. Und zum anderen gibt es dann auch viele Prozesse, die Verwaltungs-Prozesse, die konservatorische Betreuung und auch die Archivierung, die dazu beiträgt, dass diese Kunstwerke lange erhalten bleiben."
Warum keine Gesamtübersicht veröffentlicht wird, dazu will Langer keine Auskunft geben und verweist auf die Staatskanzlei. Die erteilt allerlei Auskünfte, zum Beispiel welche Art von Werken von wie vielen Künstlern in den vergangenen zehn Jahren angekauft wurden. Auch die Gesamtausgaben pro Jahr werden veröffentlicht. Nur die Liste aller angekauften Kunstwerke bleibt geheim.
Eine erneute Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT nach den Gründen beantwortet die Staatskanzlei unter anderem wie folgt: "Die Veröffentlichung von Vertrags-Details, insbesondere hinsichtlich der Kaufpreis-Gestaltung und Weitergabe von Angaben über die Künstlerinnen und Künstler sowie deren Werke in Sammel-Aufstellungen oder Werk-Datenbanken bedarf grundsätzlich der gesonderten Zustimmung der Betroffenen. Diese liegt nicht vor."
Weiter heißt es: "Es sind Betriebs- und Geschäftsgrundlagen der betroffenen Künstler bzw. Galerien zu wahren. Wir sind bestrebt, Transparenz zu fördern und die Öffentlichkeit angemessen zu informieren. Gleichzeitig müssen jedoch die Grundsätze des Datenschutzes gewahrt bleiben."
Wunsch nach mehr Sichtbarkeit
Zurück ins Atelier von Linda Grüneberg in Halle. Die Künstlerin ist noch immer dankbar, dass eines ihrer Werke vom Land Sachsen-Anhalt angekauft wurde. Und mit Blick auf die Transparenz in anderen Bundesländern sagt sie: "Ich würde mir das auch für Sachsen-Anhalt wünschen, weil das eine Chance für beide Seiten wäre, für die Künstler und für das Land selbst." Schließlich sei die Landes-Kunstsammlung doch "ein Aushängeschild der Nachwuchs-Kunst und der Förder-Landschaft in Sachsen-Anhalt", so Grüneberg. "Ich glaube schon, dass da Potenziale noch nicht gesehen werden und, dass es da noch viel Raum gibt, diese zu zeigen und nach vorn zu bringen."
Die Staatskanzlei jedenfalls erklärt, in Planungen zu sein, um die Landes-Kunstsammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Die Gespräche werden intensiv weitergeführt", heißt es. "Plan ist es, dass man 2024 soweit ist, dass eine erste Präsentation gezeigt werden kann." Ob um die Übersicht aller Kunst-Ankäufe dann weiter ein Geheimnis gemacht wird?
MDR (Daniel George)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. November 2023 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/91415e66-c0cf-4e10-89f5-b9b057307515 was not found on this server.