Junge Entscheidungsträger in der Politik Politikwissenschaftler: "Den Parteien droht eine Vergreisung"

24. Juli 2020, 19:24 Uhr

Den Parteien in Deutschland droht auf lange Sicht eine "Vergreisung". Das sagt der Parteienforscher und Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Hier erklärt er, wie CDU, SPD und Co. erfolgreicher bei der Nachwuchssuche werden können. Teil 3 des Themenschwerpunktes von MDR SACHSEN-ANHALT.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Haben CDU, SPD und Co. ein Problem bei der Suche nach Nachwuchs? Der Parteienforscher und Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer sagt: Ja.

Das ist Prof. Dr. Oskar Niedermayer

Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer war von 1993 bis 2007 Professor am Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität in Berlin. Niedermayer leitete dort das Otto-Stammer-Zentrum für Empirische Politische Soziologie. Am Institut für Parlamentarismusforschung beschäftigt Niedermayer sich mit Parteien- und Parteiensystemforschung, außerdem mit politischer Soziologie. Der 67-Jährige ist Träger des Otto-Kirchheimer-Preises.

MDR SACHSEN-ANHALT hat Oskar Niedermayer gefragt, an welchen Stellen es beim Generationenwechsel in den Parteien hakt.

Niedermayer...

...über die Nachwuchsfindung von Parteien

Problem ist nach Einschätzung von Oskar Niedermayer nicht unbedingt das Durchschnittsalter neuer Parteimitglieder. "Es sind insgesamt zu wenige Menschen, die in die Parteien gehen", sagt der Wissenschaftler. Wenn Menschen in Parteien gingen, seien sie meist auch recht jung. Das bewirke nur in der Summe recht wenig.

...auf die Frage, ob die schwierige Nachwuchsfindung zum Problem wird

"Ja, das ist ein Problem", sagt Niedermayer. "Den Parteien droht auf lange Sicht eine Vergreisung." Dabei versuchten die Parteien durchaus, dem entgegenzuwirken, beobachtet Niedermayer. Die Anreize zögen bisher aber nicht ausreichend junge Menschen an – was nach Einschätzung des Wissenschaftlers auch an der Einstellung vieler junger Menschen insgesamt liegt. "Die politische Betätigung in einer Partei verlangt den Einsatz von Zeit, Mühe und Ressourcen. Das widerspricht eigentlich dem, was bei jungen Leuten en vogue ist, wenn es um politische Beteiligung geht."

Da soll es schnell gehen. Man will sich nicht langfristig binden, will projektbezogen arbeiten. Man will nicht direkt in eine Organisation gehen, es soll Spaß machen und direkt etwas bewirken. Das ist bei Parteien eben nicht der Fall.

Parteienforscher Oskar Niedermayer über politische Ambitionen vieler junger Menschen

Stattdessen sei in Parteien ein langer Atem gefragt, sagt Niedermayer. "Wenn Sie dort wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen Sie schon so etwas machen, was man bisher immer Ochsentour genannt hat."

...auf die Frage, ob von "Fridays for Future" am Ende nur die Grünen profitieren.

Die Bewegung "Fridays for Future" nütze am Ende natürlich vor allem den Grünen, sagt Oskar Niedermayer. "Die anderen Parteien tun zwar auch etwas für die Umwelt, haben aber nicht das Image wie die Grünen." Die Partei stehe dagegen für Umweltkompetenz. Dass die Jugendorganisation der Grünen in Sachsen-Anhalt seit vorigem Sommer ein Mitgliederplus von 68 Prozent zu verzeichnen hat, überrascht Niedermayer deshalb nicht.

...mit Ratschlägen, wie Parteien die Suche nach Nachwuchs glücken kann.

Das Allerwichtigste ist nach Einschätzung des Experten, die Hürden für einen Beitritt in die Partei so niedrig wie möglich zu gestalten. Wichtig sei außerdem die Ansprache junger Menschen durch Gleichaltrige. Bedeutet im Umkehrschluss: Den Jugendorganisationen kommt laut Niedermayer eine besondere Rolle bei der Suche nach Nachwuchs zu.

Parteien müssen auf die Leute zugehen. Wir haben genügend Untersuchungen, die zeigen, dass die Hemmschwelle, selbst aktiv zu werden, höher ist, als wenn man in anderen Kontexten – also über Familie, Freunde oder sonst wo – angesprochen wird.

Oskar Niedermayer Parteienforscher und Politikwissenschaftler

Bedeutend sei auch, zu ermöglichen, dass Jugendliche in ihrem eigenen Kontext politisch aktiv werden könnten. "Indem man Chatgroups macht oder Foren im Netz einrichtet, in denen Jugendliche sich austauschen können", wie Niedermayer vorschlägt. Es müsse Wege geben, damit es nicht unbedingt erforderlich sei, zur nächsten Ortsvereinssitzung zu kommen. Noch sei die innerparteiliche Kultur vielerorts nicht besonders ansprechend für Jugendliche, bilanziert Niedermayer.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. Juli 2020 | 12:00 Uhr

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